KlassikWoche 07/2019
Welser-Mösts Ambitionen und Bonner Streitereien
von Axel Brüggemann
7. Februar 2019
Ich freue mich, dass Sie den ersten Newsletter „Brüggemanns Klassik-Woche“ von CRESCENDO bekommen: Neuigkeiten aus der Musikwelt, alle sieben Tage! Antworten auf die Fragen „Was ist?“, „Was war?“ und „Was lohnt?“
Herzlich willkommen in einer neuen Klassik-Woche!
Ich freue mich, dass Sie den ersten Newsletter „Brüggemanns Klassik-Woche“ von CRESCENDO bekommen: Neuigkeiten aus der Musikwelt, alle sieben Tage! Antworten auf die Fragen „Was ist?“, „Was war?“ und „Was lohnt?“
Was ist?
Stecken wir denn bereits im Beethoven-Jahr? Überall wird der 250. Geburtstag des Komponisten geplant: Eine Fidelio-Inszenierung von Christoph Waltz in Wien, ein Spielfilm im ZDF, Multimedia-Experimente in Bonn, jedes Orchester und jeder Künstler scheinen ein eigenes, ganz besonderes Ständchen für 2020 zu planen. Eine Flut von Beethoven-Büchern ist bereits geschrieben. Zu viel! In den USA haben die New York Philharmonics ihr Beethoven-Programm gerade auf drei Symphonien zusammengestrichen, um nicht in den zwei Symphonie-Zyklen der Carnegie Hall unterzugehen (hier wurde just der Posten des Präsidenten mit Henry Timms neu besetzt). Ein bisschen scheint es, dass wir bei all dem Ta-ta-ta-taaa bereits Anfang 2020 Beethoven-taub sein könnten.
In der Beethoven-Stadt Bonn spielt sich derweil ein absurder Verteilungskampf ab: Der lokale Sportverband greift Beethoven-Orchester-Chef Dirk Kaftan an und fordert weniger Subventionen für die Musik. Für unseren neuen, monatlichen CRESCENDO Podcast habe ich mich mit dem Dirigenten über diese Posse unterhalten. Kaftan will weiter für „Tiefenkultur“ statt für „Hochkultur“ kämpfen.
Bei „BTHVN2020“, so der verunglückte Name der Bonner Festivitäten, geht es um Millionen Fördergelder, die zwischen Nike Wagners Beethovenfest und anderen Kulturinstitutionen verteilt werden. Die Protagonisten liegen sich in den Haaren und Politiker scheinen überfordert. Manuel Brug hat sich das für die WELT einmal kritisch angeschaut.
Auch in der Beethoven-Stadt Wien tobt ein Kulturkampf – es geht um die Nachfolge von Thomas Angyan, der 2020 seinen Job als Chef des Musikvereins verlässt (oder verlassen muss!). Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter hat bereits abgesagt. Gehandelt werden Nikolaus Pont vom Bayerischen Rundfunk und Stephan Gehmacher (einst ebenfalls beim BR und heute Chef der Philharmonie Luxemburg). Hinter vorgehaltener Hand kursiert noch ein anderer Name: der Dirigent Franz Welser-Möst. Doch der dementiert nun gegenüber der Klassik-Woche. Er sei von „Bachler, Rabl-Stadler, Holender, und, und“ drauf angesprochen worden, erklärt aber: „Ich habe mich nicht beworben und habe kein Interesse , das Pult gegen einen Schreibtisch einzutauschen. Das Gerücht wurde sehr stark im Restaurant SOLE von dessen Besitzer verbreitet. Echt Wien halt.…-:)“ (Der Beitrag wurde am 20.2.2019 geändert. In einer vorigen Version hatten wir noch spekuliert, dass auch Welser-Möst im Rennen sei.)
Der größte Kracher der Woche hat ebenfalls mit einem Dirigenten zu tun: Das Van-Magazin wirft Daniel Barenboim autokratische Wutausbrüche und diktatorische Methoden an der Staatskapelle Berlin vor. Mir würden da mindestens 10 weitere Dirigenten einfallen, ebenso wie 10 Chefredakteure oder Chefärzte! Warum sind Orchester, Betriebsräte und Politiker nicht stark genug, um derartige Ausfälle zu sanktionieren? Es ist das System, das Macht und Willkür noch immer Hand in Hand gehen lässt. Deshalb ein wichtiger Text, der zu Umstrukturierungen einlädt.
Was war?
Aufregende Woche an der Wiener Staatsoper: Zunächst gelang dem Dirigenten Axel Kober ganz ohne Probe (wie kann man so planen?) eine großartige Wiederaufnahme von Strauss« Arabella (mit Emily Magee, Chen Reiss, Thomas Konieczny, Daniel Behle u. a.), dann gab Piotr Beczala sein gefeiertes Rollendebüt als Cavaradossi. Allein die Première von Lucia di Lammermoor floppte am Samstag. Peter Jarolin schreibt in seiner „Kurier“-Nachtkritik, dass die altbackene Regie von Laurent Pelly langweilte, Olga Peretyatko Mühe mit der Titelrolle hatte und Dirigent Evelino Pidò „brachial“ und „laut“ war. Einzig Juan Diego Flórez konnte überzeugen. So klingt ein Totalverriss!
Gespalten wurde Barrie Koskys La Bohème in Berlin aufgenommen: Eine „verstörende Inszenierung“, die Mimis Leben als extreme Selbstentäußerung zeigt, schreibt Volker Blech in der Morgenpost, und Nikolaus Hablützel findet in der taz: „Kosky hat Puccini wörtlich genommen“ (Must-Read dieser Woche das Kosky-Interview mit Detlef Brandenburg in der Deutschen Bühne). In Stuttgart hat sich die Electro-Clash Künstlerin Peaches die Sieben Todsünden vorgenommen. Eine eklektizistische Revue, die das Publikum begeisterte, findet Andrea Kachelrieß in der Stuttgarter Zeitung, für Wiebke Hüster von der FAZ eine eher provinzielle Vorstellung: „Ein Theaterbart bleibt ein Bart, auch wenn er vor der Muschi hängt und nicht im Gesicht.“ Zu wenig Geisterbahn steckte für Peter von Becker in der Oper Elfi, einer Mordgeschichte nach einem Text von Tankred Dorst, den Wolfgang Böhmer nun in Musik gegossen und Regisseur Martin G.Berger auf die Bühne der Neuköllner Oper geholt hat. Mithilfe von künstlicher Intelligenz hat der Handy-Hersteller Huawei Schuberts Unvollendete in London vollendet – mit, nun ja: kühlem Finale.
An der Münchner Musikhochschule geriet ein Auftritt des Cellisten und AfD-Mitglieds Matthias Moosdorf aus den Fugen, als Komponist Moritz Eggert mit seinen Freunden gegen das Gastspiel demonstrierte (Zwischenrufe: „Applaus von rechts!“). Seither tobt der Krieg um Deutungshoheit: Eggert nimmt für sich nicht weniger als die absolute Wahrheit in Anspruch und Moosdorf das Gekränktsein – wieso sollten Debatten in der Musik anders verlaufen als in der Politik?
Eine Anti-Barenboim, die mit purer Leidenschaft verbunden wird, ist die Dirigentin Alondra de la Parra. So wie andere Dirigenten bringt sie ebenfalls gern einen Assistenten mit zu Proben – der allerdings kümmert sich nicht um die Musik, sondern um den Social-Media-Account der Dirigentin. In Orchestern heißt es, dass ebenso viel Zeit für Instagram wie für die musikalische Arbeit anfällt. Auf Hochglanz poliert war auch die dennoch sehr sehenswerte Doku über La Maestro von Christian Berger, die nun in der arte-Mediathek zu sehen ist.
Während Simon Rattle die Walküre in München konzertant und eher atemlos ruppig aufführte, gingen die Bayreuther Festspiele mit der Walküre auf Gastspielreise nach Abu Dhabi – Oper als Kulturexport. Für mich eine Frage der Toleranz, für Jan Brachmann von der FAZ eine der Emanzipation.
Was lohnt?
So eine Harfe kann ein zickiges Instrument sein – aber lange nicht so zickig wie jene Menschen, die eine Harfenistin buchen: aufgedonnerte Unternehmerinnen, gockelhafte Mediziner, verpeilte Hotelmitarbeiter, lateinisch sprechende Hausmeister, traurige Hochzeitsgesellschaften und schallend lachende Trauergemeinden – und natürlich der Papst. Durch dieses Publikums-Panoptikum rollt Silke Aichhorn ihre Harfe, und darüber hat sie nun das amüsante Buch „Lebenslänglich frohlocken“ geschrieben (aus dem sie in unserem Podcast exklusiv liest). Wer Aichhorns Geschichten liest, lernt viel über den Alltag eines selbstständigen Musikers, über Musikliebhaber, vor allen Dingen aber darüber, wie abenteuerlich das Leben sein kann, wenn man ohne Dünkel musiziert. Ein Muss nicht nur für Harfen-Freaks, sondern für jeden, der an die Menschlichkeit der Musik glauben will.
Ansonsten lohnt sich ein Blick auf das neue Video, das mein Kollege Mario Vogt mit dem Pianisten Alexander Krichel geführt hat. Es geht nicht um Beethoven, sondern um sein neues Album, um Mozart, Rachmaninow und seine Großmutter.
Ich hoffe, der neue Newsletter hat Sie gut informiert? Dann empfehlen Sie ihn gern weiter, ebenso wie unseren neuen monatlichen Podcast. Ansonsten: Halten Sie die Ohren steif.
Ihr