William Youn

„Bei Schu­bert bin ich ganz ich selbst.“

von Rüdiger Sturm

30. August 2020

William Youn legt das erste Album seiner Gesamteinspielung der Sonaten von Franz Schubert vor. Im Gespräch erzählt er von seinen Gefühlen für Schubert und warum er keine Beethoven-Sonaten aufnehmen möchte.

In den Medien wird der preis­ge­krönte Pianist William Youn als einer der „führenden Mozart- und Chopin-Experten“ bzw. als „echter Poet“ mit „bravou­röser Anschlags­technik“ gefeiert. Jetzt legt der 38-jährige Südko­reaner Album einer Gesamt­ein­spie­lung von Schu­berts Sonaten vor. Im Gespräch zeigt der Wahl­münchner eine ausge­prägte, auch selbst­kri­ti­sche Beschei­den­heit und eine Fähig­keit zur klaren Analyse.

CRESCENDO: Sie meinten einmal, dass Sie Mozarts Klavier­so­naten aufge­nommen hätten, weil Sie „fast Angst“ davor hatten. Wie war das bei Schu­bert?
William Youn:
Bei Mozart geht es mir immer noch so. Ich habe fünf Jahre lang fast jeden Tag Mozart geübt, Texte von ihm gelesen, doch wenn ich ihn aufführe, dann fühle ich mich trotzdem so, als würde ich auf einem gläsernen Tablett tanzen. Schu­bert wiederum habe ich durch meine Freundin entdeckt, als ich nach kam. Wir haben damals viel Winter­reise gehört. Und ich finde, dass mir seine musi­ka­li­sche Sprache mehr liegt als die von Mozart. Bei der Inter­pre­ta­tion von Mozart komme ich mir wie ein Schau­spieler vor, bei Schu­bert bin ich ganz ich selbst. Seine Gefühls­welt liegt mir also näher.

Welche Gefühle sind es, mit denen Sie sich bei Schu­bert iden­ti­fi­zieren können?
Was mir sehr gefällt bei Schu­bert, ist die Anmu­tung von Einsam­keit – als Mensch und als Künstler. Ich mag es auch, dass er bei aller Melan­cholie kein Selbst­mit­leid zeigt. Eigent­lich ist er immer sehr hoff­nungs­voll. Wenn ich seine Musik spiele, fühle ich mich getröstet.

Sie verstehen ihn also instinktiv besser als Mozart?
Ja, und deshalb fällt es mir auch leichter, ihn zu spielen. Bei Mozart findet sich sehr viel Abwechs­lung. Er hat oft mehrere Stücke gleich­zeitig geschrieben, einer­seits heitere, ande­rer­seits tief­trau­rige Musik. Bei Schu­bert gibt es nicht dieses emotio­nale Hin und Her, und so kann ich besser in den Fluss seiner Musik eintau­chen.

Inwie­weit setzen Sie gegen­über anderen Inter­preten eigene Akzente?
Mit gefällt es nicht, wenn Schu­bert mit viel Pathos, das heißt mit lang­samem Tempo und viel Rubato, gespielt wird. Ich finde, um es bild­lich auszu­drü­cken, dass es in seiner Musik viel Wasser gibt. Das heißt, die Musik muss immer fließen wie die Zeit, sie muss im Moment entstehen und sollte nicht konzi­piert klingen. Infol­ge­dessen spiele wohl etwas flüs­siger als andere, was für manche Zuhörer viel­leicht zu natür­lich klingt, aber so ist eben mein Ansatz.

Wie würden Sie im Vergleich Ihren Mozart-Ansatz beschreiben?
Bei Mozart bin ich emotio­naler als andere Inter­preten. Es gibt Pianisten, die spielen Mozart fast wie eine Zen-Medi­ta­tion – nicht viel Pedal, nicht sehr laut. Aber ich finde, seine Musik lebt von der Emotion. Wenn ich eine Mozart-Sonate inter­pre­tiere, versuche ich das immer wie ein Thea­ter­stück oder eine Oper aufzu­be­reiten. Es gibt viele Charak­tere, es gibt Dialoge. Dem puris­ti­schen Zuhörer mag meine Inter­pre­ta­tion viel­leicht als zu roman­tisch anmuten, aber es gibt viel Romantik in Mozart, es geht bei ihm fast immer um die Liebe.

Schu­berts Klavier­so­naten genossen ja lange nicht die gleiche Aner­ken­nung wie die Mozarts oder Beet­ho­vens…
Schu­bert gene­rell wurde spät entdeckt. Seine Sonaten wurden zuerst von Swja­to­slaw Richter und Wilhelm Kempff in den 50er‑, 60er-Jahren einge­spielt. Jetzt gibt es sehr viele Aufnahmen, aber nur von den späten Sonaten, die er am Ende seines Lebens kompo­nierte.

William Youn und sein Schubert-Projekt
William Youn: „Schu­berts Sonaten sind wie sehr persön­liche Tage­bü­cher, die man nach seinem Tod entdeckt hat.“
(Foto: © Irène Zandel)

Sie dagegen stellen die frühen den späten Sonaten gegen­über, etwa der B‑Dur Sonate D 960 aus dem Todes­jahr die erste Sonate in E‑Dur D 157 aus dem Jahr 1815.
Es gibt auch viele Sonaten, die er nicht zu Ende kompo­niert hat. Die sind noch keine , aber ich betrachte sie als Expe­ri­mente. Und diese Expe­ri­mente fügen sich am Ende seines Lebens auf unglaub­liche Weise zusammen. Für mich ist das ein biss­chen so, als würde aus dem häss­li­chen Entlein ein Schwan. Das ist aber zuge­ge­be­ner­maßen nicht vergleichbar mit den Beet­hoven-Sonaten, die ja als das Neue Testa­ment gelten.

Warum kontras­tieren Sie auf der ersten CD ausge­rechnet die erste und die letzte Sonate?
Die Hörer sollen die Möglich­keit bekommen, die Wirkung der beiden zu verglei­chen. Ich glaube, sie werden erstaunt sein, dass viele Elemente der letzten in der ersten stecken. Das ist gewis­ser­maßen wie der Anfang und das Ende eines Romans.

Wenn Beet­ho­vens Sonaten das Neue Testa­ment sind, was sind dann die Sonaten Schu­berts?
Sie sind wie sehr persön­liche Tage­bü­cher, die man nach seinem Tod entdeckt hat. Ich glaube, neben Mozart war Schu­bert der Kompo­nist, der am schnellsten geschrieben hat. Brendel meinte einmal, Beet­hoven kompo­niere wie ein Archi­tekt und Schu­bert wie ein Schlaf­wandler. Das finde ich tref­fend.

Wie fühlt man sich wenn man Schu­bert einge­spielt hat – im Vergleich zu Mozart?
Mozart ist viel anstren­gender. Da muss man mehr inter­pre­tieren. Die einzelnen Sätze sind kürzer, da muss ich viele Farben einsetzen und erzählen, bei Schu­bert hatte ich das Gefühl, ich tauche ein und die Musik entwi­ckelt sich natür­lich. Aber zwischen den Sessions, die wir auf Schloss Elmau aufge­nommen haben, bin ich in die Natur gegangen.

Wann gibt es die nächsten Einspie­lungen?
Das dritte Album ist fertig, das vierte nehme ich im Winter auf. Insge­samt werden das sieben CDs.

Woher stammt eigent­lich der Plan, die Schu­bert-Sonaten einzu­spielen?
In diesem Fall kam der Chef von Sony Clas­sical auf mich zu, das war seine Idee. Bei den Mozart-Sonaten war es seiner­zeit anders­herum. Denn der Markt brauchte davon nicht unbe­dingt eine neue Aufnahme. Aber ich konnte das Label über­zeugen. Ich kann auch Sachen nur gut machen, wenn ich daran glaube. Durch die Mozart-Aufnahmen wurde dann wiederum der Sony-Chef auf mich aufmerksam.

William Youn und sein Schubert-Album
William Youn: „Einen Auftrag anzu­nehmen, an den ich nicht zu 100 Prozent glaube, würde keinen Sinn ergeben.“
(Foto: © Irène Zandel)

Und wann kommen die Beet­hoven-Sonaten dran?
Es gibt Inter­preten, die das besser können als ich. Ich glaube, für Beet­hoven muss man „laut“ sein, wie ich das formu­lieren würde.

Wie meinen Sie das?
Wenn ich Beet­hoven spiele, dann habe ich das Gefühl, ich muss sehr viel schreien, um mich deut­lich auszu­drü­cken. Beet­hoven war ein ganz deut­li­cher Mensch. Anders gesagt: Es steckt sehr viel Beet­hoven in Beet­ho­vens Musik. Mozart und Schu­bert waren dagegen eher Beob­achter, die gut mit der Musik beschreiben konnten, da gibt es einen inneren Dialog. Schu­berts Ansatz ist mir nah, Beet­ho­vens eher fremd. Deshalb fällt es mir beson­ders schwer, ihn zu spielen. Ich habe auch kein Bedürfnis nach einer Einspie­lung.

Und wenn sich Ihr Plat­ten­label eine wünscht?
Im Konzert versuche ich auch immer wieder, Beet­hoven zu spielen. Seine Kammer­musik zum Beispiel ist wunderbar. Aber eine Aufnahme ist etwas anderes. Einen Auftrag anzu­nehmen, an den ich nicht zu 100 Prozent glaube, würde keinen Sinn ergeben.

Welche Kompo­nisten würden Sie denn gern einspielen oder genauer erfor­schen?
Ich habe eine Zeit­lang bewusst nicht viel Chopin gespielt. Im Februar hatte ich einen Klavier­abend in , bei dem ich wieder ein paar Stücke spielte. Ich dachte, das würde mich schon wieder inter­es­sieren. Denn ich bemerkte, dass ich anders inter­pre­tiere als früher. Natür­lich ist mein großes Ziel immer noch Bach. Ich weiß, dass ich das gut kann. Und ich mag seine Musik immer mehr. Aber ich bin noch nicht so weit. Es fehlt mir noch das Selbst­be­wusst­sein.

Machen Sie sich bei einer Einspie­lung eigent­lich Gedanken um die Verkaufs­zahlen?
Gefühls­mäßig bedeutet schneller Erfolg für mich, dass man auch schnell vergessen werden kann. Aber wenn man etwas beson­ders mag, selbst wenn es nicht sofort erfolg­reich ist, dann wird das bleiben. Das zählt für mich mehr. Davon abge­sehen, sind die Tantiemen von CDs sehr gering. Es geht haupt­säch­lich darum, Aufmerk­sam­keit und in der Folge Konzerte zu bekommen.

Für Konzerte gibt es aufgrund der Covid-Krise Einschrän­kungen. Wie erleben Sie die Situa­tion des Jahres 2020?
Zuerst fand ich es toll, eine Auszeit zu haben, aber dann begann ich mir Sorgen zu machen, zumal ich von immer mehr Veran­stal­tern und Agen­turen hörte, die plei­te­gingen. Bei mir fängt es langsam wieder an. Ich habe bereits die ersten Konzerte gespielt, die auch ausver­kauft waren. Die Leute sind sehr hungrig nach Musik­auf­füh­rungen, und bei Klavier­kon­zerten ist das einfa­cher als bei Orches­ter­kon­zerten. Aber selbst bei mir wurden 30 Konzerte abge­sagt, etwa die Hälfte soll nächste Saison nach­ge­holt werden. Zumin­dest konnte ich meine Fixkosten zahlen, aber ich brauche auch keinen beson­deren Luxus.

Mit 18 zogen Sie zu Ihrem Lehrer Karl-Heinz Kämmer­ling nach Deutsch­land. Fühlen Sie sich hier auch in Zeiten der Krise heimisch?
Auf jeden Fall. Es gibt hier viele Veran­stalter, gute Orchester und insge­samt hohen Respekt gegen­über der Musik. Ich finde es zum Beispiel rührend, wenn ich an einem kleinen Ort spiele, in dem seit vielen Jahren ein Musik­verein aktiv ist. Als ich nach Deutsch­land kam, hatte ich nicht vor, so lange zu bleiben. Aber dann habe ich gemerkt, dass ich hier etwas errei­chen kann. Und dass man auch Europa und seine Kultur verstehen muss, um spielen zu können. Ich vermisse meine Familie, und ich würde mir wünschen, dass ich in der U‑Bahn nicht ange­starrt werde, weil ich ein Asiate bin. Es gibt nur zwei kultu­relle Aspekte, bei denen ich mich Südkorea verbunden fühle: das und die Sprache. Das wird sich nie ändern. Aber ich über­lege mir sogar, ob ich nicht die Staats­an­ge­hö­rig­keit wechsle, weil Deutsch­land viel mehr Bedeu­tung für mich hat als Südkorea.

Und mit welchem Aspekt der deut­schen Menta­lität können Sie sich am meisten iden­ti­fi­zieren?
Zuver­läs­sig­keit. Man bespricht nicht viel, aber wenn man etwas bespro­chen hat, dann bleibt es dabei.

: „Piano Sonatas“, William Youn (2 CDs, Sony)
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