Wisława Szymborska
Direkt und undiplomatisch
von Jan Opielka
27. Juni 2023
Die Lyrikerin und Literaturnobelpreisträgerin 1996 Wisława Szymborska gibt Anregungen für angehende Literaten.
Richter, schrieb Wisława Szymborska einmal, müssten eigentlich stets traurig sein, weil sie Urteile über Menschen sprechen müssten. In dem Buch Sie sollten dringend den Kugelschreiber wechseln indes spürt der Lesende bei der polnischen Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 1996 keine Traurigkeit, obwohl sie als Kritikerin auch richtet. Ihre kurzen Briefe an Schreibende, „Anregungen für angehende Literaten”, sind mit jener filigranen und zugleich spitzen Feder verfasst, in die die 2012 verstorbene Lyrikerin auch ihre Gedichte setzte: die klare Pointe, die erst im zweiten Blick Vieldeutigkeit entblößt. „Sie zweifellos der Emil Zátopek der Dichtung“, schreibt sie an einen angehenden Literaten. „Einige Ihrer Versuche enthalten sogar vage Anzeichen, dass aus ihnen ein normales Gedicht werden könnte.“ Wem Vergleiche, wie hier mit dem legendären tschechoslowakischen Langstreckenläufer, der als „Lokomotive“ des Laufens galt, nicht die Lust am Schreiben nehmen, sondern anregen – für den ist das Buch etwas. Direkt, undiplomatisch, fürs kurzweilige Drinblättern, für die Anregung, für ein Schmunzeln, ein Nachsinnen. Vor oder nach dem Laufen.