Wisława Szymborska, ausgezeichnet mit dem Orden des Weißen Adlers 2011

Wisława Szymborska

Direkt und undi­plo­ma­tisch

von Jan Opielka

27. Juni 2023

Die Lyrikerin und Literaturnobelpreisträgerin 1996 Wisława Szymborska gibt Anregungen für angehende Literaten.

Richter, schrieb Wisława Szym­borska einmal, müssten eigent­lich stets traurig sein, weil sie Urteile über Menschen spre­chen müssten. In dem Buch Sie sollten drin­gend den Kugel­schreiber wech­seln indes spürt der Lesende bei der polni­schen Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­gerin des Jahres 1996 keine Trau­rig­keit, obwohl sie als Kriti­kerin auch richtet. Ihre kurzen Briefe an Schrei­bende, „Anre­gungen für ange­hende Lite­raten”, sind mit jener fili­granen und zugleich spitzen Feder verfasst, in die die 2012 verstor­bene Lyri­kerin auch ihre Gedichte setzte: die klare Pointe, die erst im zweiten Blick Viel­deu­tig­keit entblößt. „Sie zwei­fellos der Emil Zátopek der Dich­tung“, schreibt sie an einen ange­henden Lite­raten. „Einige Ihrer Versuche enthalten sogar vage Anzei­chen, dass aus ihnen ein normales Gedicht werden könnte.“ Wem Vergleiche, wie hier mit dem legen­dären tsche­cho­slo­wa­ki­schen Lang­stre­cken­läufer, der als „Loko­mo­tive“ des Laufens galt, nicht die Lust am Schreiben nehmen, sondern anregen – für den ist das Buch etwas. Direkt, undi­plo­ma­tisch, fürs kurz­wei­lige Drin­blät­tern, für die Anre­gung, für ein Schmun­zeln, ein Nach­sinnen. Vor oder nach dem Laufen.

Fotos: Wisława Szymborska, ausgezeichnet mit dem Orden des Weißen Adlers 2011, Kanzleramt des Präsidenten von Polen