Porträt von CRESCENDO Autor Axel Brüggemann

Selbstverliebte Superstars

Nein zum Zicken­alarm!

von Axel Brüggemann

20. Dezember 2018

Selbstverliebte Superstars und prekäre Arbeitsverhältnisse an den Stadttheatern – es läuft etwas schief in der Welt der Klassik! Ein Kommentar von Axel Brüggemann zur Zweiklassengesellschaft

Irgendwas läuft falsch in dieser wunder­schönen, aufge­regten und zum Teil sehr mit sich selbst beschäf­tigten Welt der klas­si­schen Musik. Zum einen ganz oben, dort, wo atem­be­rau­bende Gagen gezahlt und Klas­sik­künstler als Götter verehrt werden, zum andern ganz unten, an den deut­schen Stadt­thea­tern, wo die Finanz­lage prekär ist. Die Kluft zwischen Super­stars, die zuweilen nicht mehr zu wissen scheinen, wer ihr Publikum ist und wer ihre Gagen bezahlt, und dem tägli­chen Über­le­bens­kampf der Theater in den Städten ist kaum noch zu verstehen. Was beide Extreme eint, ist der schlei­chende Reali­täts­ver­lust, kein Verständnis dafür, dass einem Groß­teil der Menschen die Klas­sik­branche weit­ge­hend egal ist und dass alte Privi­le­gien endgültig auf den Prüf­stand gehören.

Noch vor wenigen Jahren haben es viele Klas­sik­künstler als Auftrag verstanden, genau jene Menschen als neues Publikum zu gewinnen, die noch nicht mit dem Klas­sik­virus infi­ziert waren. Wir sahen Musiker, die ihre Kunst erklärten, sie zu den Menschen brachten, wir erlebten, wie Stadt­theater ihre Türen öffneten, sich der Debatte stellten und in sozialen Netz­werken aus ihrer eigenen Blase treten wollten. Inzwi­schen hat sich das verän­dert. Dabei hat sich das Grund­pro­blem eher verschärft: Viele Menschen glauben, dass ein Leben ohne klas­si­sche Musik durchaus auch ein Leben sein kann. Das Feuil­leton berichtet kaum noch über Premieren und Konzerte, stellt kaum noch Klas­sik­künstler vor. Und auch im Fern­sehen wird hart um jede Klas­sik­sen­dung gerungen. Jede Opern­auf­füh­rung oder Musik-Doku muss sich vor dem Tatort, Polit-Repor­tagen oder Spiel­shows legi­ti­mieren.

Mit der Klassik-Bericht­erstat­tung verhält es sich inzwi­schen so wie mit der in den sozialen Netz­werken: Sie hat sich in die Blase der Fach­presse verab­schiedet und kreist dort haupt­säch­lich um sich selbst. Umso nötiger wäre es, dass Inten­danten, Künstler und Jour­na­listen wieder das hoch­halten, worum es in der Musik geht: Mensch­lich­keit, Fair­ness und Respekt.

Aber beson­ders die großen Klas­sik­stars scheinen von ihrer allge­meinen Bedeu­tungs­lo­sig­keit nur wenig mitzu­be­kommen. Wie auch? Sie werden für horrende Gagen durch die ganze Welt geflogen, über­nachten in Luxus­ho­tels, davor stehen eine Hand­voll Grou­pies, die sie beju­beln, und auch am Ende einer Vorstel­lung hören sie nichts als Applaus. Rote Teppiche, wohin sie gehen! Gleich­zeitig merken sie, dass so ziem­lich alle ihre Forde­rungen von Inten­danten oder Konzert­ver­an­stal­tern erfüllt werden: viet­na­me­si­sche Kokos-milch in der Garde­robe? Kein Problem! Nur Fünf-Sterne-Hotels ohne Teppich­boden? Natür­lich, Maestro! Keine Inter­views mit der lokalen Presse? Klar, das wäre ja unter ihrer Würde! Die Unter­wä­sche soll vor der Vorstel­lung noch schnell gewa­schen werden (gibt es wirk­lich!)? Sicher doch! Ja, es gibt sogar Künstler, die ernst­haft erwägen, nur noch am Nach­mittag aufzu­treten, weil sie nicht wissen, was sie bis zum Abend einer Auffüh­rung tun sollen. Liebe Leute, bei aller Vereh­rung: Geht’s noch?

Sicher, es wäre falsch, alle Klas­sik­stars über einen Kamm zu scheren. Aber die wach­sende Exal­tiert­heit bei gleich­zei­tigem Verschwinden der breiten Aufmerk­sam­keit ist schon frap­pie­rend. Zum Teil kommt einem diese Welt wie ein verzo­genes Kind vor. Begründet wird alles damit, dass Künstler Hoch­leis­tungs­sportler seien, sich auf ihre Auftritte fokus­sieren müssen, dass ihnen nichts zuge­mutet werden könne, was den Abend gefährdet. Viele Veran­stalter reagieren mit voraus­ei­lendem Gehorsam, oft bis zur Selbst­auf­op­fe­rung, um alle noch so absurden Wünsche zu erfüllen. Die Solisten scheinen Götter zu sein, und deshalb wird jeder Auftritt zum Gottes­dienst. Warum, verdammt, ist es aus der Mode gekommen, den modernen Diven und Divos einfach mal zu sagen: „Nein, dann eben nicht!“?

Kaum ein Hoch­leis­tungs­sportler wird umgarnt wie unsere Klas­sik­künstler. Leicht­ath­leten oder Kanuten bei Olym­pi­schen Spielen waschen ihre Klamotten sehr wohl selbst, wohnen im olym­pi­schen Dorf und wissen, dass sie Werbe­fi­guren für ihren Sport sind. Okay, im Fußball mag das anders sein. Aber auch, wenn das Diventum hier ebenso nervt, ist es Fakt, dass die meisten Profi-Kicker das Geld, das sie verdienen, auch wieder einspielen. Allein die Trikots, die mit den Namen Neymar oder Ronaldo verkauft werden, zeigen, dass diese Sportler welt­weite Super­stars sind. Ich habe noch nie einen Klas­sikfan mit einer Diri­genten-Devo­tio­nale oder einem Sopran-Sonnenhut gesehen. Die Wahr­heit ist: Den größten Teil der Welt­be­völ­ke­rung inter­es­sieren unsere Klas­sik­stars einfach nicht. Deshalb wäre ein biss­chen mehr Demut durchaus ange­bracht.

Was vielen Klas­sik­künst­lern nicht klar zu sein scheint, ist, dass auch ihre über­durch­schnitt­li­chen Gagen von 20.000 bis zu 40.000 Euro pro Abend nicht vom Publikum refi­nan­ziert werden. Selbst bei teuren Eintritts­karten reichen die Einnahmen am Ende eines Abends eben nicht für Orches­ter­mu­siker, Diri­genten, mehrere Solisten, das Haus­per­sonal und die Technik. Es gibt kaum ein Orches­ter­kon­zert – und erst recht keine Opern­pro­duk­tion –, bei der die Super­star-Gagen refi­nan­ziert werden können. Die braucht die Stadt , die das Land , die Berliner Phil­har­monie den Bund. Nicht einmal durch Betei­li­gung von Radio- oder TV-Über­tra­gungen oder groß­zü­gigen Spon­soren lassen sich Klas­sik­galas refi­nan­zieren.

Am Ende sind es alles Steu­er­zahler, die diese Art der Kunst und ihren Star­kult mitfi­nan­zieren. Wohl gemerkt: Es geht nicht darum, dass unsere Künstler weniger verdienen sollen. Aber viel­leicht wäre es hilf­reich, wenn sie sich wenigs­tens darüber bewusst wären, woher ihre Gagen eigent­lich kommen. Da wird man ja wohl erwarten dürfen, dass am Tag vor einem Konzert Inter­views gegeben werden, dass Künstler sich gegen­über Mitar­bei­tern von Konzert­häu­sern und Veran­stal­tern weit­ge­hend normal verhalten, dass sie verstehen, dass jedes Gewerk in einem Haus eben­falls viel, hart und leiden­schaft­lich arbeitet. Dass die Welt nicht allein um sie kreist. Ja, dass einem Groß­teil der Welt ziem­lich egal ist, was an einem Opern­abend passiert.

Trotzdem beharren viele Künstler auf ihren längst über­kom­menen Privi­le­gien. Auch, weil kaum einer den Mut aufbringt, einfach mal Nein zu sagen. „Nein, dann suchen wir uns einen anderen Tenor“, „Nein, dann diri­giert ein Diri­gent, der am Ende auch mit dem Publikum feiert“, „Nein, dann drehen wir die Doku lieber mit jemandem, der nicht so satt ist wie Sie, der noch Leiden­schaft hat“. Weder Veran­stalter noch Medien und erst recht nicht das Publikum müssen sich absurde Gagen-Forde­rungen, gigan­ti­schen Zicken­alarm oder Arro­ganz gefallen lassen. Die Klas­sik­branche ist groß genug, um neue Künstler zu entde­cken, statt für immer und ewig auf die satten Altstars zu setzen.

Der Zustand an der Klas­sik­spitze wird umso absurder, je mehr man in die Niede­rungen der deut­schen Stadt­theater blickt. Denn hier passiert genau das Gegen­teil. An vielen Häusern herrscht finan­zi­eller Notstand. Von der typisch deut­schen Idee des Ensemble­theaters ist schon lange nicht mehr viel übrig. Selbst ein Cava­ra­dossi oder eine Traviata werden heute meist nicht mehr aus dem eigenen Ensemble besetzt, sondern mit Gästen.

Und auch bei klei­neren Rollen greifen manche Häuser inzwi­schen lieber auf Billig­löhner zurück als auf eigenes Personal. Sie enga­gieren Studenten – entweder aus dem eigenen Opern­studio oder von der Hoch­schule – für Dumping-Gagen und verprellen lang­jäh­rige Mitar­beiter. Die Nach­wuchs­künstler werden mit dem Verspre­chen gelockt, dass sie durch ein Enga­ge­ment Aufmerk­sam­keit bekommen oder dass genau dieser Auftritt ihr großes „Sprung­brett“ sein könnte. Die Wahr­heit ist, dass derar­tige Verpflich­tungen einfach nur billig sind! Gleich­zeitig torpe­dieren sie das, was das deut­sche Stadt­theater einst ausge­macht hat: Häuser, an denen Sänger lang­fristig geför­dert wurden, an denen Stimmen sich auspro­bieren konnten, an denen gemeinsam mit einem Gene­ral­mu­sik­di­rektor am rich­tigen Reper­toire getüf­telt wurde.

Die Zustände sind an vielen Häusern prekär. Dabei ist die monat­liche Gage für Sänger an sich schon beschä­mend gering – weniger als 1.500 Euro sind keine Selten­heit. Im Beset­zungs­büro vieler Häuser geht es zu wie auf dem Basar: Sänger, die lange an einem Haus waren, werden gekün­digt, bevor ihr Vertrag unbe­fristet weiter­laufen würde. Frei­schaf­fende Sänger werden in einen aggres­siven Preis­kampf unter­ein­ander verwi­ckelt: „Ah, Sie wollen 1.000 Euro pro Auftritt inklu­sive Proben? Wir haben da eine andere schöne Stimme, die macht es für 600 Euro.“ Auch hier würde es ums Nein-Sagen gehen. In diesem Fall nicht vonseiten der Inten­danz, sondern vonseiten der Sänger. Die aber scheinen derart unter Druck zu stehen, dass sie bereit sind, ihre Würde und ihre Exis­tenz für die Hoff­nung auf ein biss­chen Ruhm zu verkaufen. Dabei ist mir kein Fall bekannt, in dem ein Einspringer in jemals für die Bühnen dieser Welt entdeckt wurde. Also, bitte, liebe Künstler: Seid soli­da­risch und sagt unter diesen Bedin­gungen einfach Nein.

Gleich­zeitig ist auch an vielen städ­ti­schen Bühnen, gerade in der Inten­danz und Drama­turgie, eine merk­wür­dige Welt­fremd­heit zu beob­achten. Oft wird gar nicht mehr klar, für wen da gespielt wird. Für die Künstler selber, die das Theater – und dagegen ist ja gar nichts zu sagen – als Raum der Frei­heit und des Expe­ri­ments verstehen? Dann aber wäre es nötig, das Publikum bei diesem Expe­ri­ment mitzu­nehmen, sich der Debatte zu stellen, die ganze Stadt zur ästhe­ti­schen Werk­statt zu verwan­deln. Dieser Prozess aber ist nur selten zu beob­achten. Statt­dessen setzt sich immer mehr eine Atti­tüde nach dem Motto „Wir sind die Künstler, und wenn ihr nicht versteht, was wir tun, seid ihr zu blöde“ durch. Manche Theater scheinen auch nur noch zu spielen, um den Kultur­po­li­ti­kern zu gefallen. Sie schielen auf Auslas­tungs­zahlen, schließen Ränge, verkaufen ein halb volles Audi­to­rium als „ausver­kauft“ und versu­chen, jede noch so absurde Spar­maß­nahme umzu­setzen. Ich glaube, für einige Inten­danten geht es inzwi­schen oft nur noch darum, ihre eigene Haut zu retten, nicht um die künst­le­ri­sche Qualität ihres Hauses.

Mich erin­nert die Klas­sik­szene immer mehr an eine sich selbst bestä­ti­gende Blase, die sich immer weiter von jenen verab­schiedet, die nicht Teil dieser Blase sind. Das Problem aber ist, dass wir genau auf diese Menschen ange­wiesen sind, da sie den Klas­sik­be­trieb mitfi­nan­zieren. Da die Klassik eine gesell­schaft­liche Größe ist, die von der gesamten Gesell­schaft – auch von jenen, die nicht in Opern und Konzerte gehen – mitge­tragen wird. Und dieser Verant­wor­tung sollten sich alle bewusst sein und sich darauf besinnen, worum es in der Musik eigent­lich geht: um Kommu­ni­ka­tion, einen huma­nis­ti­schen Grund­ge­danken, um produk­tiven und fairen Streit, um Expe­ri­mente, Risiko und vor allen Dingen um Leiden­schaft.

Fotos: Porträt von CRESCENDO Autor Axel Brüggemann