Cédric Tiberghien
Facetten eines Feuerwerks
von Barbara Schulz
19. Januar 2024
Nicht anders als Beethoven ist Cédric Tiberghien von der Kunstform der Variation fasziniert. Nun legt der französische Pianist sein zweites Variationen-Album vor: eine abwechslungsreiche Reise von Bach bis John Cage, immer in Beethovens Begleitung.
Ist eine Variation nur Veränderung? Oder ist sie Verbesserung, Verwandlung, Verschönerung, Verkleidung? Sie kann alles sein, wie der französische Pianist Cédric Tiberghien nun ein zweites Mal mit der Einspielung von Beethoven-Variationen eindrucksvoll virtuos und hochmusikalisch beweist. Nur knapp neun Monate nach der Veröffentlichung seines Albums Variation(s) Volume 1 legt Tiberghien nun Volume 2 vor (nachdem er vor bereits 20 Jahren die Eroica-Variationen eingespielt hat). Erneut stellt er – nun sieben – Variationszyklen des Improvisationsgenies Beethoven, der sich bereits mit 12 Jahren dem Gestaltungsprinzip der Variation teils mit viel Humor widmete, Werken von John Cage, Morton Feldman, George Crumb, Jan Pieterszoon Sweelinck und Johann Sebastian Bach gegenüber. Was nicht nur wegen der überraschend wenig rauen Zäsuren spannend ist, sondern auch dem Künstler Raum gibt, dem Kompositionsprinzip nachzuspüren und es zu gestalten. Und es gelingt Tiberghien mitunter in einer fast philosophischen Intensität, wenn er sich – so bei John Cage – beispielsweise die Frage stellt, ob „vielleicht der Klang selbst eine Variation der Stille“ ist.
Mag so manch einer auch kritisieren, dass die ein oder andere temporeiche Variation wie schülerhafte Etüdenakrobatik klingt, so kann dies durchaus auch als Gestaltungswille gelesen bzw. gehört werden. Auch in Tiberghiens Spiel blitzt wie bei Beethoven selbst immer wieder Ironie auf, wenn er martialisch oder geradezu motorisch intoniert, während er in den zurückgenommenen Stücken mit einer fast religiösen Demut, dann wieder mit heiterer Innigkeit bezaubert. Es ist dem Franzosen also ein weiteres Mal gelungen, seine Lust an der Vielfalt, am Vexierspiel, am sich Verkleiden, aber auch an der inneren Entblößung mal sensibel, mal messerscharf und doch immer mit innerem Feuer umzusetzen. Denn es ist wohl doch so, dass kaum etwas reizvoller ist und mehr Spaß macht, als die eigene Künstlerpersönlichkeit in all ihren Facetten zu zeigen. Schön, wenn es einer so unaufgeregt meisterhaft kann und selbst bei Beethoven noch neue Seiten zu entdecken weiß.