Anna Prohaska und Isabelle Faust
Surreale Kontraste
von Corina Kolbe
20. September 2022
Die Sopranistin Anna Prohaska und die Geigerin Isabelle Faust erkunden György Kurtágs rätselhafte »Kafka-Fragmente«.
Expressives Singen über mehrere Register, Flüstern, Glucksen, Ächzen, Kichern, Schreien: In seinen surreal wirkenden Kafka-Fragmenten op. 24 verlangt der ungarische Komponist György Kurtág der Sopranstimme enorm viel ab. Anna Prohaska, bestens vertraut mit zeitgenössischer Musik, meistert die Herausforderungen ebenso souverän wie Isabelle Faust, die auf dieser Aufnahme den nicht minder anspruchsvollen Part der Solo-Violine übernimmt. Mal klingt der Geigenton weich, dann wieder schrill und kratzig. Der Bogen schlägt gegen Saiten, die an anderer Stelle knallend gezupft werden.
Gut eine Stunde lang durchlaufen Prohaska und Faust zu zweit diesen schwierigen Parcours. Kurtágs aus 40 Miniaturen zusammengesetztes Stück steckt voller Kontraste und grotesker Momente. Wie Kafkas Prosa spiegeln die Fragmente höchst eindrücklich existenzielle Grenzsituationen wider. Als Vorlagen verwendete der Komponist Auszüge aus Kafkas Tagebüchern und Briefen, die unvollendete Erzählung Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlass. Der Grundrhythmus der Musik – ein gleichmäßiges Schreiten – wird immer wieder jäh durchbrochen. Etwa im Chassidischen Tanz, wo ein Beinbruch ironisch als „schönstes Erlebnis“ des Lebens gepriesen wird. Das längste Stück des Zyklus, Der wahre Weg, das sich in fast beklemmender Langsamkeit entfaltet, hat Kurtág seinem Freund Pierre Boulez gewidmet. Wer genau hinhört, kann einen neuen Zugang zu Kafkas Welt finden.