Anne Sofie von Otter

Endgül­tiges Abschied­nehmen

von Stefan Sell

24. Februar 2023

Christof Loy setzte Franz Schuberts Liederzyklus »Winterreise« mit Anne Sofie von Otter u.a. in Szene. Seine Regiearbeit mit dem Cembalisten Kristian Bezuidenhout, dem Geiger Claudio Rado und der Bratschistin Giulia Tornarolli liegt auf DVD und Blu-ray-Disc vor.

Einsam­keit haftet an jeder Ecke dieses abge­stan­denen Wiener Ball­saals. Verlassen stehen Stühle aufein­ander in tristem Schein. Verwirrte Irrlich­tern gleich schwirren Figuren aus Schu­berts Kosmos in Tanz und stummem Schau­spiel durch den vor sich hindäm­mernden Raum. „Keiner, der den Schmerz des Andern, und keiner, der die Freude des Andern versteht! Man glaubt immer, zuein­ander zu gehen, und man geht immer nur neben­ein­ander”, schrieb Schu­bert 1824 in sein Tage­buch.

Trailer zur DVD und Blu-ray Disc von Chris­toph Loys Insze­nie­rung Eine Winter­reise

In der Spiel­zeit 2021/2022 insze­nierte für das Theater Basel Eine Winter­reise, die ihres Glei­chen sucht. Auf DVD erschienen, zeigt sie den ewig suchenden Wanderer als „Fremd­ling überall”. Bravourös wie die groß­ar­tige Mezzo­so­pra­nistin einen geal­terten, um viele Winter gereiften Schu­bert verkör­pert, umkreist von einem Doppel­gänger, einer Prosti­tu­ierten, seinem Freund Franz von Schober und dessen Viola. Zu Beginn ihrer Lauf­bahn hätte ihr Schu­bert kaum etwas gesagt, erläu­tert von Otter, doch je älter sie werde, desto mehr würde sie sich zu ihm hinge­zogen fühlen. Das spürt man, denn sie spielt und singt mit einer Strin­genz und Inten­sität, die unter die Haut geht. Wenn kurz vor Ende die Insze­nie­rung noch eine Drehung ins Komi­sche nimmt, legt sie, die hier „Er” genannt wird, alle Trauer, alle Wehmut des endgül­tigen Abschied­neh­mens in den Trost Des Baches Wiegen­lied aus dem Zyklus Die schöne Müllerin. Das ist großes Kino. Doch ebenso könnte man glauben, die heim­liche Haupt­person sitzt unscheinbar am Hammer­kla­vier, innig, Lied verbunden, demütig und voller Hingabe, als würde auch er niemand anders als Schu­bert sein: konge­nial, der wunder­bare Pianist Kris­tian Bezu­iden­hout!

Fotos: Monika Rittershaus / Theater Basel