Christian Gerhaher
Erfüllung eines Traums
18. Oktober 2021
Sinnliche Klangfarben! Christian Gerhaher und Gerold Huber haben ihr Projekt der Gesamtaufnahme sämtlicher Lieder von Robert Schumann vollendet.
Musik und Literatur waren die beiden Begabungen Robert Schumanns, und welche die Überhand gewinnen sollte, lag keineswegs rasch auf der Hand: „Was ich eigentlich bin, weiß ich selbst noch nicht klar. Ob ich ein Dichter bin – denn werden kann man es nie – soll die Nachwelt entscheiden“, schrieb der Halbwüchsige. Wenn es je einen Sänger gegeben hat, der den beiden Polen Wort und Ton im Liedschaffen Schumanns mit gleicher Hingabe gerecht werden wollte, dann Christian Gerhaher.
Mit dieser Gesamtaufnahme hat sich der bekennende „Schumannianer“ einen Traum erfüllt – und weiß neben seinem langjährigen Partner Gerold Huber am Klavier auch eine Schar prominenter Mitstreiter an seiner Seite: Camilla Tilling, Julia Kleiter, Sibylla Rubens, Wiebke Lehmkuhl und Martin Mitterrutzner. Stimmlicher Exhibitionismus ist Gerhaher fremd. Der breiter gewordene, doch stets fokussierte Klang seines modulationsfähigen Baritons steht ganz im Dienste der musikalisch überhöhten Dichtkunst. Hand in Hand mit deklamatorischer Gewissenhaftigkeit geht eine sängerische Feinarbeit, bei der ihn Huber mit traumwandlerischer Sicherheit unterstützt oder ihm den nötigen Widerpart bietet.
Auf dieser Basis wird bei Gerhaher, vielleicht ein Paradox, manchmal kühle Präzision zum zentralen Ausdrucksträger, dann wieder eine fast fanatisch anmutende Dringlichkeit. Ein Vortrag ohne falsches Pathos jedenfalls, aber dennoch mit der erforderlichen Größe und Tiefe: etwa in den Beiden Grenadieren. Im Zweifel gilt die Vermittlung des Wortes immer mehr als jede bloß schöne Phrase. Gerade die romantischen Zwischentöne von der Heine’schen Ironie bis zum Schaudern des Unheimlichen kommen durch Gerhahers gleichsam kalligraphisch-feurigen Vortrag voll zur Geltung.