Claire Huangci

„Spie­le­ri­sche Heraus­for­de­rungen sind wie ein Puzzle.“

von Katherina Knees

3. September 2021

Claire Huangci liebt die Vielseitigkeit des Klaviers, die Entdeckungen, die es ermöglicht und die Freiheiten, die es bietet.

CRESCENDO: Frau Huangci, wie filtert man aus dem riesigen Reper­toire für Klavier über­haupt die Stücke raus, die zu einem passen und die man spielen möchte?

Claire Huangci: Das ist bei mir nie richtig geplant, ich bekomme meine Inspi­ra­tion eigent­lich eher zufällig – wenn ich in eine Oper oder in ein Konzert gehe und da etwas höre, dann kann es sein, dass ich danach den Klang auch auf dem Klavier zum Leben erwe­cken möchte. Unter­schied­liche Instru­mente und auch Gesang inspi­rieren mich sehr, und ich habe am Klavier zum Glück tolle Möglich­keiten, ganz viele Farben heraus­zu­holen. 

Ist Ihr Wunsch, Beet­ho­vens Pasto­rale auf dem Klavier zu spielen, auch spontan in einem Orches­ter­kon­zert entstanden?

Das war eine tolle Entde­ckung für mich! Ich wusste schon lange, dass unter anderem alle Beet­hoven-Sinfo­nien bear­beitet hat, aber ich hatte immer den Eindruck, dass in seinen Tran­skrip­tionen zu viel von Liszt selbst drin­steckt. Deshalb war ich völlig über­rascht, als ich fest­ge­stellt habe, dass er in seiner Klavier­be­ar­bei­tung von der Pasto­rale wirk­lich nur Beet­ho­vens Noten­text benutzt hat. Es wirkt wie ein Studium des Stücks, fast ein biss­chen klinisch. Alle Stimmen sind da, es gibt keine Extra­noten, also kann man mit den Noten einer Orches­ter­auf­nahme sogar richtig folgen und alle Instru­mente darin entde­cken – es ist faszi­nie­rend. 

Hatten Sie beim Spielen den Klang der Instru­mente im Kopf und versucht, sie zu imitieren, oder wollten Sie einfach zeigen, wie das Stück auf dem Klavier klingen kann?

Beim Üben habe ich immer nur das Orchester gehört und gar keine Aufnahmen von anderen Pianisten. So hatte ich in meinem inneren Ohr den Orches­ter­klang gespei­chert, und der war immer präsent. Mit der Zeit hat sich das dann ein biss­chen verän­dert, und ich habe gemerkt, dass das Stück auch auf dem Klavier richtig gut funk­tio­niert. Außerdem hat man als Solistin in der Inter­pre­ta­tion natür­lich viel mehr Frei­heiten mit der Agogik und den kleinen Nuancen, weil man ja quasi im selben Moment auch die eigene Diri­gentin ist. 

Claire Huangci

»Aus jeder Beset­zung, in der ich spiele, nehme ich etwas für mich mit, es ist immer ein Austausch.«

Manchmal sitzen Sie allein an den Tasten, manchmal als Solistin vor einem Orchester, Sie spielen aber auch viel Kammer­musik. Ist diese Viel­sei­tig­keit für Sie wichtig?

Ich liebe jede dieser Erfah­rungen. Für mich ist die rich­tige wichtig, aber ich könnte mich nie für eine Rich­tung entscheiden. Ich finde, auch mit einem Orchester kann es sein wie mit einer großen Kammer­mu­sik­be­set­zung, und ich liebe es, Kammer­musik zu spielen. Ich habe auch schon ein Duo-Rezital mit einem anderen Pianisten gegeben, das war wirk­lich etwas Beson­deres. Aus jeder Beset­zung, in der ich spiele, nehme ich etwas für mich mit, es ist immer ein Austausch. Wenn ich ganz allein spiele, muss ich mir immer einen Extra-Schubs geben, denn ich sitze zwar allein auf der Bühne, aber ich erzähle eine genauso große Geschichte wie in einer Sinfonie oder einem Klavier­kon­zert. 

Ihre Disko­grafie spie­gelt diese Viel­sei­tig­keit wider. Wie fühlt es sich eigent­lich an, später die eigenen Aufnahmen anzu­hören?

Oh, ich höre mit Absicht nie meine fertigen Aufnahmen. Ich höre sie nur im Entste­hungs­pro­zess an, wenn noch etwas korri­giert werden muss. Aber niemals nach der Veröf­fent­li­chung, das vermeide ich. Ich glaube, wir Künstler sind einfach zu kritisch, wenn wir uns selbst anhören. Wenn es dann doch passiert, dass ich irgendwo etwas von mir hören muss, zum Beispiel bei einem Radio-Inter­view, dann kann das manchmal auch ein echtes Aha-Erlebnis sein, weil ich dann nach ein paar Monaten oder Jahren Abstand denke: Oh, das würde ich jetzt ganz anders spielen. Denn natür­lich verän­dern sich meine Inter­pre­ta­tionen auch immer wieder, und die Aufnahmen sind immer nur Moment­auf­nahmen von meinem Blick auf die Musik zu der dieser Zeit. Es ist auch schon passiert, dass ich etwas gehört habe und dachte: Wer ist das? Das ist ja schreck­lich! Und dann war es eine Aufnahme von mir selbst – aber das macht es auch immer wieder span­nend.

Claire Huangci

»Ich bin keine junge Wilde mehr, sondern ich habe einen größeren Über­blick, und das gibt mir spie­le­risch auch mehr Frei­heiten.«

Was sind denn die größten Einflüsse, die eine Inter­pre­ta­tion über die Jahre verän­dern? Es sind doch vermut­lich eher subtile Dinge, die über tech­ni­sche Fragen hinaus­gehen, oder?

Ja, es geht viel mehr um Timing, um Rhythmus, um Atmen, Anschlag, Arti­ku­la­tion, aber eben im ganz Kleinen. Die Nuancen haben einen immensen Einfluss auf die Inter­pre­ta­tion. Wenn ich zum Beispiel ältere Aufnahmen von mir höre, dann vermisse ich manchmal ein biss­chen Luft und Frei­raum. Jetzt bin ich kein Teen­ager mehr, keine junge Wilde, sondern ich habe einen größeren Über­blick, und das gibt mir spie­le­risch auch mehr Frei­heiten. 

Üben Sie denn heut­zu­tage auch anders als vor 20 Jahren?

Ja, als junge Solistin ging es darum, eine gute Basis aufzu­bauen und die Technik zu formen. Die habe ich vor allem im Curtis Insti­tute of Music in Phil­adel­phia bekommen, wo ich studiert habe, bevor ich mit 17 Jahren nach gekommen bin. Das war eine sehr beson­dere und inten­sive Zeit, und ich würde sagen, dass mich diese drei Jahre vom 12. bis zum 15. Lebens­jahr unglaub­lich geprägt haben. Dort wurde das Funda­ment gelegt. Es reicht aber nicht, dass man stun­den­lang einfach nur hart übt, sondern man muss sich vor allem immer fragen, warum eine bestimmte Stelle so schwierig ist. Man muss das verstehen wollen und die Bereit­schaft haben, die Probleme im Kopf zu lösen. Es ist fast ein biss­chen wie Wissen­schaft. Das könnte auch damit zusam­men­hängen, dass meine Eltern beide Wissen­schaftler sind. Sie haben mich, als ich noch sehr jung war, wenn etwas nicht geklappt hat und ich deshalb frus­triert war, auch immer nach dem Warum? gefragt. Deshalb begleitet mich diese Frage bis heute, und spie­le­ri­sche Heraus­for­de­rungen sind für mich immer wie ein Puzzle, das ich verstehen und lösen möchte. 

Claire Huangci
Claire Huangci: „Die Finger müssen ganz genau wissen, was sie tun.“
(Foto: © Mateusz Zahora)

Im Rahmen der Veröf­fent­li­chung Ihres neuen Bach-Albums mit den Toccaten hat der G. Henle Verlag auch Ihre Finger­sätze veröf­fent­licht. Wird damit ein großes Geheimnis gelüftet?

Finger­sätze sind eigent­lich keine Magie. Es gibt keinen rich­tigen und keinen falschen Finger­satz. Wenn ein Finger­satz bei mir selbst gut funk­tio­niert, dann hat das viele Gründe. Meine Hände sind zum Beispiel sehr klein. Bei den vielen verschie­denen Stimmen in den Toccaten war bei Bach für mich der Finger­satz deshalb das Wich­tigste, weil die Stücke viel schwie­riger sind, als man denkt. Und wenn man die Klar­heit und Trans­pa­renz haben möchte, sollte man sich über den Finger­satz viele Gedanken machen und viel auspro­bieren. Bei Bach denkt man manchmal, es ist auf dem Klavier nicht beson­ders schwer. Es ist nicht wie bei Liszt oder bei Rach­ma­ninow. Da tun einem viel­leicht irgend­wann die Arme weh, aber wenn man viel Bach probt, bekommt man eher Kopf­schmerzen. Einige der sieben Toccaten sind nicht sehr ange­nehm zu spielen, das könnte auch damit zusam­men­hängen, dass die Tasten beim Cembalo ein biss­chen schmäler sind. Deshalb musste ich mir über den Finger­satz völlig im Klaren sein, weil ich während des Spie­lens nicht darüber nach­denken kann. Die Finger müssen dann ganz genau wissen, was sie tun.

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Auftrittstermine und weitere Informationen zu Claire Huangci unter: clairehuangci.com