Dave Brubeck
Experimentieren mit ungeraden Taktarten
von Ruth Renée Reif
4. Dezember 2020
Dave Brubeck war ein Erneuerer des Jazz, ein begnadeter Pianist und ein überaus vielseitiger Komponist. Am 6. Dezember 2020 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.
Am 10. Dezember 1959 fand in der New Yorker Carnegie Hall ein besonderes Konzert statt. Dave Brubeck stand mit seinem Quartett, Leonard Bernstein und den New Yorker Philharmonikern auf der Bühne. Zur Aufführung kam das fünfsätzige Werk Dialogue for Jazz Combo and Orchestra von Brubecks Bruder Howard. Der Abend wurde ein gigantischer Erfolg. Von „Schreien spontaner Freude“ aus dem Publikum berichtete die Presse.
Ein Jahr zuvor hatte Brubeck jenes „Classic Quartet“ geschaffen, mit dem er die darauffolgenden zehn Jahre Musikgeschichte schrieb. Es bestand aus ihm am Klavier, Paul Desmond, mit dem Brubeck bereits seit 1951 zusammenarbeitete, am Saxofon, Joe Morello, den Brubeck 1956 angeworben hatte, am Schlagzeug und Eugene Wright am Bass.
Desmond war Brubecks kongenialer Partner. Er legte mit seinem Saxofon jenen zarten Schleier über Brubecks schweres polytonales Spiel am Klavier, das dem Quartett einen unverwechselbaren Klang verlieh. Desmond schuf auch jenes Stück, das zum Markenzeichen von Dave Brubeck wurde: Take Five. Bis zuletzt fehlte es in keinem seiner Konzerte. Aufgenommen wurde es 1959 für das legendäre Album „Time Out“.
Unmittelbarer Anlass, das Quartett zusammenzustellen, war eine Tournee, die das Außenministerium der Vereinigten Staaten im Zuge des Kalten Krieges organisierte. Unter dem Motto „Jazz Diplomacy“ wurden Bands in die Welt geschickt, um die amerikanische Demokratie und Toleranz zu bewerben. 14 Länder besuchte das Dave Brubeck Quartet 1958 auf seiner Reise, darunter Polen, die Türkei, Indien, Afghanistan, den Iran und den Irak. In Indien traf Brubeck mit dem Sitar-Spieler Halim Abdul Jaffer Khan zusammen. Auch Joe Morello, der neben seiner atemberaubenden Technik eine Ausbildung in klassischer Musik besaß, sammelte in Indien wertvolle musikalische Erfahrungen, u.a. bei dem südindischen Musiker Palani Subramania Pillai. Sie flossen ebenfalls in die Aufnahmen des Albums ein.
In dem Titel Blue Rondo à la Turk verarbeitete die Band Rhythmen, die Brubeck auf dem Weg ins Rundfunkgebäude in den Straßen Istanbuls gehört hatte. Als er den Musikern des Rundfunkorchesters davon berichtete: „Eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei-drei“, erklärten sie ihm, was für ihn der Blues, sei für sie der 9/8‑Takt. Brubecks Begeisterung für das Experimentieren mit ungeraden Taktarten geht auch auf sein Studium bei Darius Milhaud zurück. Als Sohn eines kalifornischen Viehzüchters geboren, hatte seine Mutter, eine Pianistin, ihn für die klassische westliche Musik begeistert. Und am Mills College in Oakland, nahm Brubeck 1942 Unterricht bei Milhaud, bei dem bereits sein Bruder Howard studiert hatte.
Die Aufnahme des Albums „Time Out“ erfolgte im Sommer 1959 im Studio von Columbia in New York in drei Sitzungen. Eigentlich sollte das Album, dessen ursprünglicher Titel „Out of Our Time“ war, in einer Sitzung fertig sein. Aber die Komplexität des musikalischen Materials erforderte zwei weitere Tage. Produzent war Teo Macero, der damals noch am Anfang seiner grandiosen Karriere stand.
Im September 1958 kam die LP „Time Out“ heraus. Auf ein solches Album war die Plattenfirma nicht vorbereitet, und es dauerte, bis sie dessen Potenzial erkannte. Brubecks Idee war es gewesen, ein Gemälde von Joan Miró auf das Cover zu bringen. Doch gelang es nicht, die Genehmigung dafür zu erhalten. Erst auf die LP „Time Further Out“ konnte der Miró kommen. Das Cover von „Time Out“ zeigte ein abstraktes Bild von Sadamitsu Neil Fujita.
Nach Tourneen durch die ganze Welt brach das Quartett schließlich auseinander. Desmonds Persönlichkeitsstörungen und damit auch seine Alkoholprobleme nahmen überhand. 1975 versuchte Brubeck, die Formation noch einmal aufleben zu lassen, und 1977 kam es zu einem letzten Auftritt. Wenige Monate später starb Desmond. Anfang der 2000er-Jahre nannte Brubeck seine Band mit dem Saxofonisten Bobby Militello, dem Schlagzeuger Randy Jones und dem Kontrabassisten Michael Moore abermals The Dave Brubeck Quartet.
2008 gab Brubeck bekannt, nicht mehr auf Tournee gehen zu wollen. Am 5. Dezember, einen Tag vor seinem 90. Geburtstag starb er in Norwack im Bundesstaat Connecticut. Beeindruckend ist die Bandbreite seines kompositorischen Schaffens. Er befasste sich nicht nur mit Jazz, indischen und indianischen Musiktraditionen, sondern schrieb auch sinfonische und kammermusikalische Werke sowie Ballettmusiken, Kantaten, Oratorien und Chorwerke. Über 45 geistliche Kompositionen veröffentlichte er, darunter die Kantate The Gates of Justice und die Messe To Hope! A Celebration.