KlassikWoche 21/2020
Der Waltz-»Fidelio«: Ist das Kunst, oder war das geklaut?
von Axel Brüggemann
18. Mai 2020
Die „Fidelio“-Inszenierung von Christoph Waltz am Theater an der Wien und die Frage, warum das Bühnenbild von Frank Barkow aussieht wie eine Arbeit des Architekten Khoa Vu.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit einer exklusiven Recherche zum Bühnenbild der Christoph-Waltz-„Fidelio“-Produktion in Wien von Frank Barkow – handelt es sich um Piraterie geistigen Eigentums? Und dann natürlich: der ganz normale Corona-Wahnsinn.
WALTZ-FIDELIO: EIN PLAGIAT?
2013 entwarf der Architekt Khoa Vu „Double Negative“ (oben), die Bühne von Frank Barkows „Fidelio“ von 2020 gleicht dem im Detail.
Ist die „Fidelio“-Produktion am Theater an der Wien in der Regie von Christoph Waltz (bekanntlich eines der ersten Corona-Opfer und als Geister-Oper von ORF, fidelio und arte übertragen) eine große Lüge? Hat der Bühnenbildner und Architekt Frank Barkow seine opulente, weiße Helix-Treppe nur geklaut? Auf jeden Fall gibt es einen Entwurf des Architekten Khoa Vu, der Barkows Bühnenbild bis ins Detail gleicht – und: bereits aus dem Jahr 2013 stammt. Das beeindruckende Licht-Loch mit weißen Treppen ist auf Vus Website zu sehen, eine Vorstudie zu einem Bibliotheksbau unter dem Titel „Double Negative“. Außerdem wurde es immer wieder auf der Social-Media-Plattform Pinterest geteilt. Ist es möglich, dass das Produktionsteam des Theaters an der Wien mit internationalen Stars und internationaler Aufmerksamkeit hemmungslos abgekupfert hat – und dass es bislang niemandem auffiel?
Ich habe Kontakt mit Khoa Vu aufgenommen, der aus allen Wolken gefallen ist. Er habe bereits davon gehört, schrieb er mir, „ich war schockiert, als ich die Bilder gesehen habe. Man muss ernsthaft davon ausgehen, dass Barkow meine Idee kopiert hat. Das Team Barkow/Leibinger hat mich dafür nicht kontaktiert, geschweige denn eine Zusammenarbeit angeboten.“
Nach einigen Tagen bekam ich eine Antwort aus dem Büro Barkow. Dort gesteht man – juristisch clever – ein, dass man nicht ausschließen könne, das Bild von Vu „im Zuge unserer Recherche“ gesehen zu haben. Das Bühnenbild sei allerdings mehr durch die Arbeit des Bühnenbildners Josef Svoboda geprägt, „dessen Arbeiten uns Christoph Waltz am Anfang der gemeinsamen Überlegungen vorstellte“. Das Büro Barkow gibt zu: „Das nun zum Vergleich herangezogene Bild ist eine Momentaufnahme, die zugegebenermaßen dem Foto des ‚Fidelio‘ Sets sehr ähnelt.“ Gleichsam besteht man aber darauf, dass beide Werke individuelle Originale seien: „Unser Bühnenbild ist aber nicht als Einzelaufnahme, sondern als Sequenz gedacht. Es wurde in engem Austausch mit dem Regisseur konzipiert und dient der gesamten Inszenierung mit ihren unterschiedlichsten Szenen.“
Die offensichtliche Ähnlichkeit des Raumes – und zwar bis in kleinste Details – machen es schwer vorstellbar, dass Vus Bild nicht als konkrete Vorlage für die Wiener Inszenierung gedient haben soll. Umso wichtiger scheint eine Debatte über Urheberrechte in der Oper zu sein. Wann ist ein Kunstwerk eine Kopie, wann eine eigene Leistung? Kommt es in Produktionsprozessen vor, dass man irgendwann selber an die eigene Urheberschaft einer fremden Idee glaubt? Das Theater an der Wien verweist auf die Antwort des Büros Barkow und verzichtet zunächst auf eine eigene Stellungnahme. Ein derartiger Fall sei am Haus bisher allerdings noch nie aufgetaucht, heißt es. Mir gegenüber hat Vu Interesse an einem Gespräch mit Frank Barkow bekundet, dem Khoa Vus Kontakt ebenfalls weitergeleitet wurde. (Die kompletten Statements der Künstler hier.)
ABTRITTE UND ANGRIFFE
Abgetreten: Österreichs Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek – auch Monika Grütters steht in der Kritik.
Kanzler, äh, Ministerpräsident Markus Söder hat einen Neustart der Künstler-Hilfen versprochen, unter anderem 1.000 Euro monatlich für Solo-Selbstständige. Ob es dieses Mal besser klappt als viele andere Ankündigungen? Die Österreicher haben inzwischen auf jeden Fall die Konsequenz gezogen: Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek hatte den Rückhalt unter Künstlern verloren, und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gab ihr durch einen kritischen Fragebogen und dem Vorpreschen, dass das Grafenegg Festival stattfinden werde, den letzten Hieb. Inzwischen ist Lunacek zurückgetreten – ihre Nachfolgerin soll heute vorgestellt werden. Sie wird sich mit zwei wichtigen Papieren auseinandersetzen müssen: Orchester haben Angebote zum Weiterspielen gemacht, und Künstleragenturen fordern ebenfalls einen Hilfsfonds.
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Auch in Deutschland spitzt sich die Lage weiter zu: Kulturstaatsministerin Monika Grütters verliert ebenfalls an Zustimmung. Im Netz kursiert ein spannender Artikel von 2018, in dem Jörg Häntzschel das erbarmungslose Machtsystem der Politikerin seziert. Und ganz aktuell geht auch die FAZ mit Grütters ins Gericht. Patrick Bahners nimmt ihre Rhetorik aufs Korn: „Diejenigen, deren Lebensunterhalt an dieser Maschine hängt, haben einen Anspruch darauf, dass der Staat sie nicht fallen lässt. Kann man aber Geld für diese Nothilfe wirklich nur dadurch locker machen, dass man sie als Beitrag zur Rettung der Demokratie ausgibt? In der Haltung hinter solchen Sprüchen fallen Überforderung und Geringschätzung der Kultur zusammen.“
Ich habe mich gestern mit der Sprecherin für Kultur und Medien der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag unterhalten. Elisabeth Motschmann gesteht Fehler in der Kommunikation mit Künstlern ein und drängt auf einen weiteren Hilfsfonds, besonders für freischaffende Künstler. Sie fordert mehr Empathie für die Notleidenden und mehr Kampf in der Politik. „Es kann nicht angehen, Künstler in Hartz IV zu schicken“, sagt Motschmann, „wir müssen auf staatliche Hilfen drängen.“ Dass Angela Merkel die Kultur zur Kanzler-Sache gemacht hat, begrüßt die CDU-Politikerin.
ES GEHT LOHOOOS!
Während – das muss man ihm lassen – mein Freund Franz-Friedrich Laufenberg (ich weiß, und hier gibt’s auch noch ’nen Nachklapp am Ende!!!) die Öffnungs-Debatte in Deutschland durch sein Ersatz-Programm am Staatstheater Wiesbaden anführt (der aktuelle Theater-Fahrplan der Politik hier), war es in Österreich das Grafenegg Festival, das vorgeprescht ist und – noch vor den Salzburger Festspielen – erklärt hat: Das Festival findet statt. Wie und mit welchem Programm? Das wird am 3. Juni bekannt gegeben. Salzburg selber plant ebenfalls weiter ein abgespecktes Festival, wie genau das aussehen wird, soll Ende des Monats bekannt gegeben werden. Die Bregenzer Festspiele haben derweil erklärt, man könne dieses Jahr nicht spielen. Ab 29. Mai sind in Österreich Veranstaltungen mit bis zu 100 Zuschauern erlaubt, ab 1. Juli sind bis zu 250 Zuschauer möglich. In einem dritten Schritt sollen ab 1. August Veranstaltungen mit bis zu 500 Zuschauern erlaubt sein – und unter besonderen Auflagen sogar mit bis zu 1.000 Menschen im Publikum.
Eines der ersten Festivals, das ankündigte, diesen Sommer zu spielen: Grafenegg in Niederösterreich
Für große, subventionierte Häuser und Festivals bedeutet das, man kann – auch mit empfindlichen Verlusten – spielen, wenn die Politiker die Kosten absegnen. Fakt ist nämlich auch: Weniger Zuschauer bedeuten weniger Einnahmen. Das Klavier-Festival Ruhr will auch Programm zeigen, unter anderem mit Rudolf Buchbinder. Intendant Franz Xaver Ohnesorg erklärte mir am Telefon: „Momentan hoffen wir, dass die Pianisten zwei Vorstellungen für eine Gage spielen – sodass wir fast das gleiche Publikum bedienen können.“ Was die Situation für kleinere Theater bedeuten kann und warum eine Öffnung dort oft undenkbar ist, zeigt das Rhein Neckar Theater in einem erschütternden YouTube-Video. Man hört, dass die Nachfragen nach Konzerten unter Gesundheits-Vorschriften groß sind. Und es bleibt immer auch ein Restrisiko: Im Hinterkopf haben wir die Geschichte des Amsterdamer Gemengd Koor, der fünf Tage vor dem Lockdown im Concertgebouw auftrat. Von den 130 Sängern infizierten sich 102 mit Sars-CoV‑2, ein Sänger und drei Partner von Mitgliedern verstarben.
CORONA-WORTE DER WOCHE
Helge Schneider über seine Perspektiven
Mein Lieblings-Satz zu Corona stammt in dieser Woche von Komponist und Klarinettist Jörg Widmann. In einem Interview mit der NZZ sagte er: „Nie hatte ich Zeit. Jetzt habe ich sie – und kann nichts mit ihr anfangen. Früher dachte ich immer, ich würde wohl eines Tages an einem Herzinfarkt sterben. Heute tippe ich eher auf Leberzirrhose.“ Bedenkenswert das Facebook-Statement von Helge Schneider. Der erklärte, vollkommen ernst, dass er unter den Hygiene-Anforderungen nicht spielen könne, nicht in Autokinos auftritt – und gar nicht, bis nicht alles wieder so sei, wie es einmal war. Kunst braucht, so argumentiert er, Ansprache, Reaktion und Körperlichkeit. Ich weiß um die Schwierigkeiten von Künstlern (die der freien Journalisten sind ähnlich) – und dennoch: irgendwie, ganz innen, glaube ich: Der Mann hat Recht!
PERSONALIEN DER WOCHE
Pianist Alexander Krichel spielt im Autokino.
Da haben wir letzte Woche aber wieder etwas losgetreten: Nun setzt Manuel Brug den vorläufigen Schlusspunkt in der Debatte über den Gesundheitszustand von Katharina Wagner und die öffentlichen Falsch-Diagnosen von Christian Thielemann. Mehr ist nicht zu sagen. +++ Burgschauspielerin Maria Happel ist zur neuen Leiterin des Max Reinhardt Seminars ernannt worden. Happel tritt ihren Job am heutigen Montag (18. Mai) an. +++ Pietari Inkinen bleibt bis 2025 Chefdirigent der Deutschen Radio Philharmonie:„Ich mag die Spontaneität der Musiker, ihre Offenheit, ihre Vielseitigkeit, ihr Streben nach Qualität.“ +++ Pianist Alexander Krichel hat ein sehr schönes Konzert in einem Autokino in Iserlohn gegeben (hier der WDR-Mitschnitt) – am Ende wurde „ApplauHupt“… +++ Der Österreicher Johannes Pell wird neuer Chefdirigent der Staatsoperette Dresden. +++ Der Kulturjournalist und Kritiker Derek Weber ist an Covid19 verstorben, die Salzburger Nachrichten rufen ihm liebevoll nach.
Was für turbulente Wochen – bitte, halten Sie die Ohren steif.
Ihr