Zum 85. Geburtstag von Dieter Dorn
Das Theater – eine der größten Erfindungen der Menschheit
von Ruth Renée Reif
30. Oktober 2020
Dieter Dorn gehört zu den herausragenden Regisseuren der Gegenwart. Über 100 Theater- und Opernwerke brachte er auf die Bühne. Am 31. Oktober 2020 wird er 85 Jahre alt.
„Es gibt Türen, die zu diesem oder jenem Theater führen“, sagte Dieter Dorn einmal im Gespräch. „Durch eine muss man irgendwann gehen. Dann ist man in bestimmten Räumen und arbeitet darin. Ich habe die Farben meiner Palette relativ früh gefunden.“ Als prägend für seine Arbeit empfand er seine Begegnung mit Bertolt Brecht, den er in seiner 2013 erschienenen Autobiografie Spielt weiter! als sein „großes, ja umschwärmtes Idol“ bezeichnet, und das episches Theater.
Dieter Dorn wurde in Leipzig geboren und besuchte dort die Theaterhochschule. 1956 verließ er die DDR und wechselte an die Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel in West-Berlin. Nach Stationen in Hannover, Essen und Hamburg kam er 1976 an die Kammerspiele München, wo er 1983 die Intendanz übernahm. „Der Gedanke der Truppe, wie er von Shakespeare und Molière, meinen großen Vorbildern, verwirklicht wurde, gehörte von Anfang an zu meinen Vorstellungen“, erläuterte er. „Es war immer mein Traum, eine Truppe künstlerisch gleichgesinnter Schauspieler und Schauspielerinnen zu haben, die einander ergänzen und einen gemeinsamen Weg gehen.“ 2001 übernahm Dorn die Intendanz der Bayerischen Staatsschauspiels, an dem er zehn Jahre lang wirkte. Außerdem inszenierte er Schauspiel in Wien und Berlin.
Shakespeare und Mozart – eine nicht auszuschöpfende Quelle für Dieter Dorn
1979 debütierte er als Opernregisseur. Mit Karl Böhm am Pult inszenierte er an der Wiener Staatsoper Mozarts Entführung aus dem Serail. Edita Gruberova sang die Rolle der Constanze. Und die Ausstattung entwarf Jürgen Rose, der all die Jahre hindurch als Dorns kongenialer Ausstatter fungierte. Shakespeare und Mozart bezeichnete Dorn als seine „Theatergötter“ und als eine nicht auszuschöpfende Quelle: „Beide interessieren sich unglaublich für den Menschen, für die eine Seite und die andere Seite des Menschen, und beide haben an einer wichtigen Stelle die Komik, die Ironie.“
Ebenfalls mit Karl Böhm und Jürgen Rose setzte Dorn im selben Jahr bei den Salzburger Festspielen Ariadne auf Naxos von Richard Strauss in Szene. Als Ariadne stand Hildegard Behrens auf der Bühne. Bacchus verkörperte James King. Auch eine neue Oper hob er bei den Salzburger Festspielen aus der Taufe. 2003 inszenierte er mit Alfred Muff als Alter Mann und Laura Aikin als Mädchen Bad’jat Hans Werner Henzes L’Upupa und der Triumph der Sohnesliebe. Ein deutsches Lustspiel, elf Tableaux aus dem Arabischen, ein ironisches Singspiel über die Oper mit Zitaten aus der Zauberflöte und anderen Opern, bewussten Unstimmigkeiten sowie einem Durcheinander an Sprachstilen.
Bei den Bayreuther Festspielen setzte Dorn 1990 Richard Wagners Romantische Oper Fliegender Holländer in Szene, die drei Jahre lang gezeigt wurde. 1993 inszenierte er im Cuvilliés-Theater in der Münchner Residenz Mozarts Così fan tutte, 1997 folgte an der Bayerischen Staatsoper Le nozze di Figaro. Beide Regiearbeiten waren damals bahnbrechend und kamen zu den Münchner Opernfestspiele 2010 erneut auf den Spielplan. Dorn konzentrierte sich in den nahezu leeren Räumen von Jürgen Rose auf die Entwicklung der Figurenbeziehungen. 2008 eröffnete mit seiner Inszenierung von Verdis Idomeneo das Cuvilliés-Theater wieder seine Pforten. Am Pult stand Kent Nagano. Zu den Mitwirkenden gehörten John Mark Ainsley als Idomeneo, Pavol Breslik als Idamante, Juliane Banse als Ilia, Annette Dasch als Elettra, und Ausstatter war Jürgen Rose. Dorn erhielt aus diesem Anlass von Thomas Langhoff die Tabatiere „Büchse der Pandora“, eine Wanderreliquie aus dem Nachlass von Boleslaw Barlog für den jeweils „besten Theaterleiter und Regisseur“ bestimmt.
2013 begann Dorn am Grand Théâtre Genève seine Ring-Inszenierung, mit der 2019 auch die feierliche Wiedereröffnung des Hauses gefeiert wurde. Das Theater ist für Dorn ein gesellschaftliches Instrument, bezahlt von der Polis. Dem Sponsorenwesen steht er kritisch gegenüber. Zwar zeigte er sich beeindruckt von den in der Metropolitan Opera in New York ausliegenden Büchern, in die sich einfache Leute mit ihren Spenden eintragen können. „Andererseits haben wir gerade an der Metropolitan Opera erlebt, dass eine entscheidende Sponsorin ihre Millionen zurück haben wollte, weil meine Tristan-Inszenierung nicht ihren Vorstellungen entsprach.“ Und er warnte: „Die Unabhängigkeit ist ungeheuer in Gefahr.“ Wenn die öffentlichen Haushalte das Sponsorenwesen für einen weiteren Ausstieg aus den Subventionen nutzen, drohe dem Stadttheater, „übernommen im Stolz des Bürgertums, es dem Feudalen gleichzutun“, der Untergang.
Der spielende Mensch, der eine Gegenwelt entstehen lässt
Ungebrochen blieb immer Dieter Dorns Glaube an das Theater als solches: „Der spielende Mensch, der eine Gegenwelt entstehen lässt – das ist Theater. Und die Verabredung, dass man diesem Spiel zusieht, ist eine der größten Erfindungen der Menschheit. Und das wird auch nicht verlorengehen.“