Joshua Bell

Diri­gent mit Instru­ment

von Walter Weidringer

24. Mai 2018

Joshua Bell ist seit Jahrzehnten ein Star der Violine. Seit 2011 leitet er auch die berühmte Academy of St Martin in the Fields – vom Instrument aus!

Joshua Bell ist seit Jahr­zehnten ein Star der Violine. Seit 2011 leitet er auch die berühmte Academy of St Martin in the Fields – vom Instru­ment aus!

Crescendo: Herr Bell, immer mehr Solisten diri­gieren auch. Ist diese Doppel­funk­tion von der Violine aus schwie­riger?

: Ich finde es sogar leichter! Als Diri­gent muss man Infor­ma­tionen über­mit­teln. Ob das mit einem Takt­stock, mit dem Bogen oder mit bloßen Händen passiert, ist eigent­lich egal. Über 90 Prozent dieser Infor­ma­tionen kann man in den Proben spre­chen, dort findet die Arbeit statt. Bei der Auffüh­rung muss man ohne Worte auskommen. Der Konzert­meister ist nicht ohne Grund ein Geiger: Er kann alle wich­tigen Dinge anzeigen – etwa mit der Attacke und Geschwin­dig­keit des Bogens. Die Academy kennt mich sehr gut, wenn wir zusammen Sinfo­nien aufführen, leite ich vom Konzert­meis­ter­pult aus. Als Solist wird man dann „nur“ zu einer Art von beson­derem Konzert­meister. Ohne Diri­genten hören die Musiker einander besser zu, es fühlt sich an wie Kammer­musik. Und ich kann jetzt jedem wich­tigen Detail selbst nach­gehen. Nach so vielen Jahren als Nur-Solist ist das ein beson­deres Vergnügen.

Gibt es musi­ka­li­sche Grenzen, also bestimmte Violin­kon­zerte, die kaum mehr möglich sind ohne externen Koor­di­nator?

Letztes Jahr haben wir Tschai­kowsky gespielt, mit klei­nerem Orchester finde ich das sogar kraft­voller, poin­tierter. Dieses Jahr folgt Henryk Wieniaw­skis Zweites Violin­kon­zert, das ich beson­ders liebe. Es ist schwierig, aber es funk­tio­niert. Bei den Proms kommt in diesem Sommer das Dritte Violin­kon­zert von , außerdem möchte ich Sibe­lius angehen, viel­leicht auch Barber. Weil die Academy so gut ist, steht uns prak­tisch alles offen, wenn wir nur wollen.

„Ohne Diri­genten hören die Musiker einander besser zu, es fühlt sich an wie Kammer­musik“

Die Basis dafür bildet wohl Ihr kammer­mu­si­ka­li­sches Selbst­verständnis – das Vermächtnis von Sir Neville Marriner?

Ja, bei uns lehnt sich niemand zurück und spult bloß etwas ab, damit könnte man gar nicht durch­kommen. In einem klei­neren Ensemble ist das Verant­wor­tungs­ge­fühl ungleich höher. Für Sir Neville, der die Academy 1958 gegründet und mehr als 50 Jahre lang geleitet hat, war höchste Qualität entschei­dend, von Anfang an. Ich möchte nicht explizit in seine Fußstapfen treten oder mich mit ihm messen. Mein Zugang ist, das optimal zu verwirk­li­chen, was ich an Energie und persön­li­cher Musi­zier­weise einbringen kann.

Sie haben jetzt mit der Academy Musik von Max Bruch aufge­nommen – ohne Diri­genten. Sein Erstes Violin­kon­zert haben Sie schon einmal mit der Academy einge­spielt. Wie kam es dazu?

Ach, ich war damals 18 und alles war ganz neu für mich. Es standen gleich zwei Alben auf dem Plan, eines mit kurzen Virtuo­sen­stü­cken, das andere mit Neville Marriner und der Academy. Ich kam ins Studio, das rote Licht ging an und wir spielten die Konzerte von Mendels­sohn und Bruch – ohne Probe! Das Mendels­sohn-Konzert habe ich Jahre später mit noch­mals aufge­nommen, aber zum Bruch-Konzert, das ich liebe und gerne spiele, bin ich für eine Aufnahme erst jetzt zurück­ge­kehrt. Ich kombi­niere es diesmal mit einer Aufnahme-Première für mich, seiner Schot­ti­schen Fantasie.

„Natür­lich, wenn man es wie Schlag­sahne spielt, dann klingt es auch wie Schlag­sahne“

Max Bruch sah sich immer im Schatten von Brahms und hat darunter gelitten, dass seine Violin­kon­zerte Nr. 2 und 3 nicht die gleiche Popu­la­rität erringen konnten.

Bruchs Pech war, dass ihm mit dem ersten Konzert ein Genie­streich gelungen ist. Die anderen sind zwar auch gut, aber ich habe sie bisher nicht aufge­führt. Viel­leicht sollte ich ihnen noch eine Chance geben – immerhin habe ich die Quali­täten des Schu­mann-Konzerts auch erst auf den zweiten Blick entdeckt.

Der Schot­ti­schen Fantasie begegnet man dafür nur noch selten.

Meine Idole wie Jascha Heifetz und Bronisław Huberman, dessen Geige ich spiele, hatten sie selbst­ver­ständ­lich im Reper­toire. Ich weiß nicht, ich vertraue meiner Mutter: Sie sagt, alle jungen Geiger auf Youtube würden die Fantasie spielen. Aber das ist genau das Problem: So viele junge Leute lernen dieses und ähnliche Stücke im Studium. Sobald sie Profis sind, wollen sie etwas anderes machen. Sogar das Mendels­sohn-Konzert leidet ein biss­chen darunter, eines der größten Werke für die Violine über­haupt. Die Schot­ti­sche Fantasie rührt mich zu Tränen, durch ihr Senti­ment und ihre Schön­heit. Mein Lehrer Josef Gingold, ein Schüler von Ysaÿe, hat in mir die Zunei­gung zu diesem Reper­toire geweckt. Auch Wieniawski oder Fritz Kreisler haben bedeu­tungs­volle Musik geschrieben. Natür­lich, wenn man es wie Schlag­sahne spielt, dann klingt es auch wie Schlag­sahne. Aber musi­ka­li­sche Tiefe gibt es nicht nur bei Brahms, Mozart oder Beet­hoven.

Viele Inter­preten leiden beim Anhören der eigenen Aufnahmen. Sie können sich selbst auch noch in einer TV-Serie sehen, in Mozart in the Jungle. Was ist schlimmer?

Ha ha, wenn ich ehrlich sein soll: Ich habe die Serie nie ange­schaut. Wahr­schein­lich ist es wirk­lich schlimmer, sich auch noch beim Schau­spielen beob­achten zu müssen. Meine Selbst­kritik ist gnadenlos!

Fotos: Bill Phelps