Giuseppe Verdi
150 Jahre Aida
von Ruth Renée Reif
23. Dezember 2021
Am 24. Dezember 1871 fand am Königlichen Opernhaus Kairo die Uraufführung von Giuseppe Verdis Oper Aida statt.
Giuseppe Verdis Aida zählt bis heute zu den weltweit meist gespielten und beliebtesten Opern. Große Sängerinnen standen Pate bei ihrem Siegeszug. Lilli Lehmann, Johanna Gadski, Maria Callas, Renata Tebaldi, Leontyne Price, Birgit Nilsson, Montserrat Caballé, Jessye Norman, Anna Netrebko verkörperten die Titelpartie auf der Bühne. Und auch zeitgenössische Regisseure fühlten sich immer wieder von dem Werk herausgefordert.
Aber nicht allein das Werk selbst, sondern auch die Umstände seiner Entstehung tragen, wie der Ägyptologe Jan Assmann feststellt, „opernhafte Züge“. Assmann verweist auf Aby Warburgs Forderung, das historische, kulturelle, ökonomische, politische und intellektuelle Umfeld in die Analyse eines Werks einzubeziehen. Ägypten bezeichnet Assmann als „Rahmenhandlung“ der Oper. Von hier aus erging der Auftrag an Verdi.
Zunächst erhielt Verdi das Angebot, eine Hymne zur Eröffnung des Kairoer Opernhauses zu komponieren. Er lehnte jedoch mit der Begründung ab, „morceaux de circonstance“ seien nicht seine Sache. So wurde das Opernhaus am 17. November 1969 mit einer Neuinszenierung seines Rigoletto eröffnet. Doch der Khedive Ismail Pascha, der Ägyptens seit Ende der 1860er-Jahre als osmanischer Vizekönig regierte, ließ nicht locker. Er war Französisch erzogen und wollte Ägypten nach europäischem Vorbild modernisieren. In diesem Sinne hatte er auch das Opernhaus errichten lassen, gebaut aus Holz für 850 Zuschauer.
Schließlich wurde Camille Du Locle, der Librettist von Verdis Don Carlo und Assistent an der Pariser Oper, eingeschaltet. Der Bühnenbildner, Regisseur und spätere Archäologe, Ägyptologe und Gründer der Ägyptischen Museums in Kairo Auguste Mariette, hatte 1869 das Szenario für eine im Alten Ägypten spielende Oper verfasst. Eines der vier Exemplare, die er davon hatte drucken lassen, schickte er an Du Locle, damit dieser Verdi zur Komposition bewege. Weigere sich Verdi erneut, solle er Charles Gounod oder Richard Wagner gewinnen.
Am 14. Mai 1870 sandte Du Locle das Szenario an Verdi, und dieser bekundete darauf sein Interesse an dem „programma egiziano“. Allein für die ägyptische Aufführung verlangte er 150 000 Goldfranken Honorar. Am 2. Juni 1870 teilte er seinem Verleger Giulio Ricordi mit, er habe einen fertigen Plan für eine Oper mit Chor und fragte, ob Antonio Ghislanzoni für das Libretto zur Verfügung stünde. Mitte Juni 1870 fuhr Du Locle zu Verdi nach Sant’Agata, wo sie ein ausführliches Szenario entwarfen. Wie Assmann, der für Mariette nur ironische Worte findet, schreibt, solle dieser sich später als Urheber der Oper gerühmt haben: „Aida ist ein Produkt meiner Arbeit; ich hatte beschlossen, dass der Vizekönig davon eine Aufführung anordnet; Aida – in einem Wort – ist aus meinem Hirn entsprungen.“
Die Uraufführung war für Anfang 1871 geplant. Doch konnte der Termin nicht eingehalten werden. Wie der Ägyptologe Erhart Graefe ausführt, erfolgte die Produktion gänzlich in Paris. Tatsächlich kamen die wichtigsten Ausstatter der Pariser Oper zum Einsatz: Auguste Alfred Rubé, Philippe Marie Chaperon, Edouard Désiré Joseph Déspléchin und Antoine Lavastre fertigten die Bühnenbilder.
Die Kostümentwürfe, die zum Teil in der Bibliothèque nationale de France in Paris erhalten sind, zeichnete Mariette selbst. Nach Anweisung des Khedive hatte er auf größte historische Genauigkeit zu achten. Der Deutsch-Französische Krieg 1879⁄71 war es, der die Verschiffung der Dekorationen und Kostüme verhinderte.
So konnte die Uraufführung erst am 24. Dezember 1871 erfolgen, „als Weihnachtsvorstellung“, wie Graefe betont. Und er fügt hinzu: „Das sagt etwas über das erwartete Publikum.“ Auf der Bühne standen u.a. Antonietta Pozzoni Anastasi als Aida, Eleonora Grossi als Amneris, Pietro Mongini als Radamès, Paolo Medini als Ramfis, Francesco Steller als Amonasro. Regie führte Carlo D’Ormeville, und die musikalische Leitung hatte Giovanni Bottesini, ein enger Freund von Verdi, und dieser hatte ihm auch den Posten als Chefdirigent am Opernhaus vermittelt. Im Zuschauerraum saßen zeitgenössischen Berichten zufolge Europäer, die der Khedive, wie Jan Assmann schreibt, „als neue städtische Mittelschicht – und Oberschicht ins Land geholt hatte“.
Wie Assmann hervorhebt, sei das Thema der Oper „als Ausdruck des importierten Nationalgefühls“ nicht das zeitgenössische Ägypten, sondern das pharaonische“. Der Khedive instrumentiere die altägyptische Vergangenheit. Assmann zeigt, wie frei erfunden die Handlung, ungeachtet aller Bemühungen um historische Authentizität, ist. Und er beschreibt Mariettes Ausstattung mit den Worten:
»Aida ist der Tagtraum eines Archäologen, der seine Ruinen mit erfundenen Figuren bevölkert und ihnen das Leben einer erfundenen Geschichte einhaucht, um sie zu einer lebendigen Wirklichkeit zu ergänzen.«