KlassikWoche 13/2020

Handeln, helfen, neudenken

von Axel Brüggemann

23. März 2020

Die CRESCENDO-Nothilfe für MusikerInnen in Not, die Quarantäne von Plácido Domingo, die Kritik an den kostenlosen Streams von Igor Levit aus seinem privaten Probenzimmer.

WILL­KOMMEN IN DER NEUEN KLASSIK-WOCHE,

das Thema ist gesetzt. Und es schlägt ganz unter­schied­lich zu: Die frei­be­ruf­li­chen Musiker stehen vor dem Ruin, und ein Welt­star wie ist infi­ziert. Pest und Cholera! Aber es hilft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Devise muss sein, die Zeit zu neuem Denken zu nutzen und Musik zu hören – um die Gedanken nicht zu dunkel kreisen zu lassen. Diese passende Musik schenken wir Ihnen heute am Ende des News­let­ters.

CRESCENDO-NOTHILFE

Helfen Sie uns zu helfen: Die CRESCENDO-Nothilfe will Musi­ke­rInnen, die ihre Miete auf Grund der Corona-Absagen nicht zahlen können, mit 500 Euro unter­stützen.

Letzte Woche haben wir an dieser Stelle die CRESCENDO-Nothilfe für Musi­ke­rInnen in Not gegründet. Inzwi­schen ist viel passiert: Expo­nen­tiell wächst die Anzahl von Künst­le­rInnen, die sich bei uns mit ihren Hilfe­rufen melden. Derzeit haben wir rund 300 Anträge. Gleich­zeitig sind wir begeis­tert von Ihrer Spen­den­be­reit­schaft – von Mini-Spenden bis zu Groß­spenden, alles ist vorhanden. Der aktu­elle Stand gestern war 13.000 Euro. Danke für diese Form der Soli­da­rität! Es ist uns leider noch lange nicht möglich, allen Hilfe­su­chenden bis zum Stichtag am 29. Mai mit 500 Euro für die April-Miete unter die Arme zu greifen. Deshalb haben wir mit unserem Kura­to­rium aus Vertre­tern von „Art but Fair“, „GEMA“ und „Deut­schem Musikrat“ beschlossen, im Zwei­fels­fall das Los entscheiden zu lassen. 

Es sei denn: Sie helfen uns weiter, spenden oder teilen unsere Aktion auf Ihren Social-Media-Kanälen. Wir sammeln bis zum 28. März und wollen mit der Ausschüt­tung noch vor dem Monats­an­fang, am 29. März, beginnen. Wir hoffen, dass die auf Hoch­touren arbei­tenden poli­ti­schen Gremien bis nächsten Monat prak­ti­kable Lösungen finden. 

Einige Bundes­länder, die GEMA, die GVL, die Orches­ter­ver­ei­ni­gung und der Bund bieten inzwi­schen auch Hilfen an oder haben Notfall­hilfen in Planung. Eine aktu­elle Liste haben wir am Anfang unseres Antrags erstellt. 

Unsere Bitte: Helfen Sie den Künst­le­rInnen, lesen Sie ihre persön­li­chen, exis­ten­zi­ellen Geschichten auf unserer Seite. Jede Spende zählt! Gern nennen wir am Ende der Aktion den Namen der Spender, und: Wir wünschen uns natür­lich einen Groß­spender. 

Die CRESCENDO-Nothilfe und Ihre Reak­tionen zeigen schon jetzt eines: Gerade in Zeiten wie diesen ist auf den Menschen Verlass. Viele von Ihnen verstehen Kultur als Säule unserer Gesell­schaft – und sind bereit, sie zu unter­stützen, auch wenn sie gerade nicht spielen darf. 

Wir alle von CRESCENDO sagen den Kultur­schaf­fenden, allen anderen Menschen, die derzeit dafür sorgen, dass die Welt sich weiter dreht – und jenen, die sich auf welche Art auch immer soli­da­risch zeigen: Danke!

CORONA-TICKER

Plácido Domingo hat den posi­tiven COVID-19-Test auf seiner Face­book-Seite ange­kün­digt.

Gestern gab auch Plácido Domingo bekannt, dass er positiv auf das Corona-Virus getestet wurde, an Fieber und Husten litt und sich nun in Quaran­täne begeben hat. +++ Umstritten die Nach­richt, dass das Tokyo Symphony Orchestra zur Arbeit zurück­ge­kehrt ist – viele vermuten dahinter eine Werbung, die Olym­pi­schen Spiele in diesem Sommer in doch noch statt­finden zu lassen. +++ Der Heiden­heimer Zeitung sagte der weise Diri­gent : „Wir haben jetzt viel Zeit zum Nach­denken. Man muss aus solchen Krisen immer das Beste machen. Zu meckern oder zu trauern hilft nicht. Jede Krise ist eine Möglich­keit zur Verbes­se­rung.“ +++ Das „Kring­kas­tings­or­kestret“ hat mit der Chall­enge begonnen: Welches Orchester spielt am besten einzeln zu Hause gemeinsam … ein Para­de­bei­spiel für emotio­nales Social Distancing. +++ MET-Inten­dant verzichtet selber auf sein Gehalt, legt die Verträge seines Orches­ters aber auch auf Eis. In Öster­reich und werden viele Ensem­bles nun gezwungen, Urlaub abzu­bum­meln, oder auf Kurz­ar­beit gesetzt. 

STREAMEN – KOSTENLOS ODER NICHT?

So sieht es aus, wenn seinen tägli­chen Stream um 19:00 Uhr vorbe­reitet.

Musiker spielen nicht allein für den Lohn – sie müssen einfach Musik machen. Und das zeigen sie in diesen Tagen im Netz! So wie Igor Levit, der regel­mäßig um 19:00 Uhr aus seinem privaten Probe­zimmer auf „Sendung“ geht. Dafür hagelt es inzwi­schen aber auch Kritik. Immer mehr Künstler finden kosten­lose Streams – meist in mittel­mä­ßiger Akustik – einen Verrat an der Sache. Malte Hemme­rich hat sich mit diesem Phänomen ausein­an­der­ge­setzt. Die Geigerin Marie-Luise Dingler von den Twio­lins sagte ihm: „Wenn ein Künstler wie Igor Levit erst mal gute Stim­mung macht und aufmun­tert, ist das super. Aber in dieser Regel­mä­ßig­keit einfach über­trieben. Er fordert ja sonst immer Soli­da­rität – so ist das, was er jetzt tut, zu kurz gedacht: Tausende finden es toll, klar, aber andere Künstler gehen unter, auch weil es eben­falls viele Ange­bote von Orches­tern im Moment gibt.“ Natür­lich gibt es auch andere Formen: Aus dem Konzert­haus in hat das Öffent­lich-recht­liche Fern­sehen gestreamt – unter anderem mit und . In diesem Fall haben die Künstler ohne Honorar gespielt. Viel­leicht wäre es eine Möglich­keit, beim nächsten Mal die Hono­rare auszu­zahlen und weiter­zu­geben. Und dann gibt es natür­lich die kosten­pflich­tigen Strea­ming-Platt­formen wie Takt1 oder Fidelio, das gerade Beet­ho­vens „Fidelio“ in der Regie von aus dem Theater an der Wien ohne Publikum über­tragen hat.

Grund­sätz­lich finde ich, dass in diesen Tagen erst einmal alles erlaubt sein sollte, dass die Kritik einfach Mal die Klappe halten soll. Aber lang­fristig ist diese Debatte sicher­lich wichtig und könnte auch für die Zukunft der klas­si­schen Musik exis­ten­ziell wichtig werden. Ähnlich sieht es die Pianistin Sophie Pacini, die in der aktu­ellen Situa­tion auch eine Chance sehen will. Als wir uns unter­halten haben, sagte die derzei­tige Beet­hoven-Botschaf­terin für das Goethe-Institut: „Wir befinden uns im Beet­hoven-Jahr, viel­leicht sollten wir uns mal taub stellen, um in uns zu gehen und die Grund­werte und Grund­feste über­prüfen und die Verlang­sa­mung der Welt nutzen, um neu zu denken.“ Fakt ist: Wohl kein Holly­wood-Produ­zent käme auf die Idee, einen Film plötz­lich kostenlos ins Netz zu stellen. In meiner Insta­gram-Umfrage fiel, bei sehr hoher Betei­li­gung, die Meinung ziem­lich deut­lich aus. 76 Prozent fanden: Man sollte für Streams zahlen, 24 Prozent fanden, sie sollten auch in diesen Tagen gratis bleiben. Noch eindeu­tiger das Ergebnis bei Face­book: Hier spra­chen sich 95 Prozent für das Bezahl­mo­dell aus. 

UND WO BLEIBT DAS GUTE?

Wir wollen danke sagen – dass Sie an die Musik glauben. Und wir wünschen uns, dass Musik Ihnen auch in diesen Zeiten hilft. Deshalb können alle CRESCENDO-Leser, egal, ob sie das Heft abon­nieren, die Klassik-Woche, die Website besu­chen oder uns auf Face­book folgen, ab sofort und bis Ende Mai kostenlos auf eine der größten Klas­sik­musik-Dienste (NML) mit über 150.000 Alben von über 900 Labels zurück­greifen. Regis­trieren Sie sich einfach hier – und hören Sie Musik, damit Ihre Gedanken nicht in blöde Rich­tungen kreisen. 

Ich persön­lich wünsche Ihnen Opti­mismus, Mitmensch­lich­keit – auch aus andert­halb Metern kann man dem Post­boten und dem Super­markt-Mitar­beiter oder dem Müll­mann ein „Toll, dass Sie da sind!“ entge­gen­rufen. Bleiben Sie gesund! Bleiben Sie zu Hause! Und nutzen Sie die Zeit, um neu zu denken!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de