KlassikWoche 50/2019

Heinos Klassik-Drohung, Netrebkos Scala-Fest und Grigolos Abge­sang

von Axel Brüggemann

9. Dezember 2019

Dieses Mal mit einer Entschul­di­gung: Ich habe nicht gewollt, dass Heino auf Klassik-Tournee geht, auch wenn wir ihm im Fern­sehen eine Bühne gegeben haben. Außerdem: Eine Netrebko-Offen­ba­rung an der Scala und ein weiterer Tenor unter #metoo-Verdacht.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

dieses Mal mit einer Entschul­di­gung: Ich habe nicht gewollt, dass Heino auf Klassik-Tournee geht, auch wenn wir ihm im Fern­sehen eine Bühne gegeben haben. Außerdem: Eine Netrebko-Offen­ba­rung an der Scala und ein weiterer Tenor unter #metoo-Verdacht.

WAS IST

COVENT GARDEN UND DIE #METoo FEUERN GRIGOLO

Es sah aus, als hätten sich die #metoo-Vorwürfe gegen den Tenor in Luft aufge­löst. Er stand in den Schlag­zeilen, da er eine Chor­sän­gerin beim Schluss­ap­plaus eines Gast­spiels der Royal Opera Covent Garden in unsitt­lich berührt haben soll. Wir haben darüber berichtet, wie Grigolo die Vorwürfe auf seinem Insta­gram-Profil abtropfen ließ. Nun haben das in London und die MET in ihre Unter­su­chungen beendet und kamen zu dem Ergebnis: Grigolo habe „aggres­sives Verhalten“ an den Tag gelegt – beide Häuser nahmen von weiteren Enga­ge­ments Abstand. Der Sänger selber schrieb, er bedaure das Verhalten, das die Stan­dards des Royal Opera House unter­schreite.

LEIP­ZIGER STREICH­QUAR­TETT TRENNT SICH VON MOOS­DORF

Der hat (mit Verlaub: endlich!) Uwe Steimle raus­ge­worfen. Der erzkon­ser­va­tive Kaba­ret­tist, der gern gegen Ausländer und vor allem gegen seinen Arbeit­geber und demo­kra­ti­sche Einrich­tungen wie den öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk stän­kert, versteht das (was sonst) als „Zensur ersten Grades“. Und noch eine Ost-Insti­tu­tion hat sich von einem Neurechten getrennt. Angeb­lich hatte das Leip­ziger Streich­quar­tett die Nase voll von seinem Cellisten Matthias Moos­dorf und ihn durch Peter Bruns ersetzt. Moos­dorf hatte sich seit Jahren aktiv und vehe­ment für die AfD ausge­spro­chen und in der Partei auch Ämter über­nommen. Ein offi­zi­elles State­ment des Quar­tetts zu den Hinter­gründen gibt es noch nicht.

HEINO GOES KLASSIK

Ich hoffe, dass ich nicht schuld bin! Auf jeden Fall haben mein Freund und Regie-Kollege Axel Fuhr­mann und ich Heino vor drei Jahren in einem WDR-Film über den Rhein mit dem Pianisten Benyamin Nuss zusam­men­ge­bracht und ihn die Loreley singen lassen (die Doku wird zufällig am 14., 15. und 16. Dezember auf Phoenix wieder­holt). Aber DAS haben wir nicht gewollt: Nächstes Jahr will der Bäcker-Sohn, Schla­ger­sänger und Rock-Imitator Heino mit einem Klas­sik­pro­gramm auf Tour gehen. Auch dabei: der Geiger , dessen Stra­di­vari und – echt! – ein Body­guard. Auf dem Programm: Lieder von Schu­bert und Mozart. Trost gefällig? Ramm­stein hat Heino über­lebt – das werden unsere Klas­siker dann sicher­lich auch!

MOZART VERBOTEN

Diese Woche wurde ich in zahl­rei­chen Anfragen nach dem Link zur Studie gebeten, von der letzte Woche die Rede war: Ein Groß­teil der Briten kennt Mozart nicht! Ich habe vergessen, den Link einzu­fügen und trage das hier gern nach. Aber jetzt bewegt Mozart die Gemüter schon wieder: Der Leiter der Basi­lika Santa Croce in hat ein Konzert mit Mozarts Musik verboten, das aus Anlass seines Ster­be­tages am 5. Dezember gegeben werden sollte. Mozart sei Frei­mauer gewesen und seine Musik passe deshalb nicht in die Advents­zeit, so die offi­zi­elle Erklä­rung der Basi­lika-Leitung. Oh Gott!

WAS WAR

REAK­TIONEN ZUM TOD VON MARISS JANSONS

Vor genau einer Woche mussten wir berichten, dass Diri­gent Mariss Jansons gestorben ist. Die ganze Woche trau­erte die Klassik-Welt mit zum Teil extrem persön­li­cher Anteil­nahme, unter anderem in einem Video des BR. Bayerns Staats­mi­nister für Wissen­schaft und Kunst Bernd Sibler will, dass der neue Konzert­saal im Münchner Werks­viertel nach Jansons benannt wird. erklärte: „Als Wahl­mün­che­nerin und großer Fan wird es mich immer beschämen, mit welch grotesken Wider­ständen seinem jahr­zehn­te­langen Enga­ge­ment für den drin­gend benö­tigten Konzert­saal begegnet wurde. sagte: „Die Welt hat einen ganz großen Menschen und Musiker verloren.Markus Hinter­häuser: „Mit Jansons verlieren wir einen der bedeu­tendsten Diri­genten unserer Zeit und einen echten Freund., erin­nerte sich an den Moment nach dem Neujahrs­kon­zert, als Jansons ihm die Hand auf die Schulter legte und sagte: „Nur wir wissen, wie schwer das in Wirk­lich­keit ist.“ Welser-Möst sagte: „Es war diese Beschei­den­heit, die Mariss Jansons zum Vorbild für uns alle machte.“ Der BR hat von der ergrei­fenden Trau­er­feier berichtet.

BEET­HOVEN NIMMT FAHRT AUF

Super­la­tive kündigt der BR gern an. Zum Beet­hoven-Jubi­läum verspricht er „ein nie vorher dage­we­senes Groß­pro­jekt. Schon zu Beet­ho­vens Zeit musi­zierten Künst­le­rInnen im privaten Kreis. Auch heute ist es, genau wie vor 250 Jahren, noch immer ein Erlebnis, Musik in kleiner Runde von Freunden, Familie und Gästen in den eigenen vier Wänden live zu erleben. Die Pianistin Sophie Pacini wird sechs Haus­kon­zerte spielen. Ab dem 16. Dezember können Sie sich online, um ein Sophie Pacini Konzert bewerben. Der allge­gen­wär­tige , der einen Podcast mit Anselm Cybinski in 32 Teilen über die Sonaten aufnehmen wird. Die FAZ berichtet derweil, dass die Telekom 2020 eine Voll­endung von Beet­ho­vens Zehnter Sinfonie durch Künst­liche Intel­li­genz vorbe­reitet. „Vor die erste Kost­probe setzt Matthias Röder eine Warnung: ‚Bitte nicht erschre­cken! Bedenkt, dass wir Compu­ter­klänge hören. Wenn das Menschen spielten, klänge das ganz wunderbar.‘“ Mit dieser Beob­ach­tung beginnt Bettina Weiguny ihre Repor­tage. „Wochen­lang hatten der Leiter des Karajan Insti­tuts und einige Infor­ma­tiker eine schlaue Soft­ware mit Stücken von Beet­hoven und dessen Zeit­ge­nossen gefüt­tert. Jetzt soll die Maschine zeigen, was sie kann.

TRAU­ER­SPIEL KOMI­SCHE OPER

Raumnot, bröckelnder Putz, alte Leitungen“ – so beschreibt der Tages­spiegel den Zustand der Komi­schen Oper in Berlin. „Über die Notwen­dig­keit der umfas­senden Erneue­rung der alten Gebäu­de­teile besteht kein Zweifel. Ein Neubau soll hinzu­kommen. Selbst­ver­ständ­lich gibt es für diese komplexe Aufgabe in der Berliner Büro­kratie keinen Ansprech­partner, bei dem alle Fäden zusam­men­laufen. Nein, mehrere Senats­ver­wal­tungen sind zuständig, wobei dort jeweils Teil­aspekte der Arbeiten wiederum in unter­schied­li­chen Abtei­lungen behan­delt werden.“ Ein Grund, warum Autor Frederik Hanssen nicht glaubt, dass die Sanie­rung mit den veran­schlagten 200 Millionen zu stemmen ist. Befremd­lich auf jeden Fall, dass der durchaus redse­lige Inten­dant zu diesen Vorgängen schweigt: „Kein Kommentar“ ist der einzige Kommentar des Hauses. Hinzu kommt das – an dieser Stelle bereits letzte Woche beschrie­bene – Abblasen des Archi­tek­tur­wett­be­werbs durch den Protest von Archi­tekt Stephan Braun­fels – die nmz schreibt über die neuesten Entwick­lungen.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Nun ist es raus: wird Jean-Louis Grinda 2023 als Inten­dantin der Opéra de Monte-Carlo nach­folgen und damit die erste Frau in dieser Posi­tion sein. +++ Der Gene­ral­di­rektor der San Fran­cisco Opera, Matthew Shil­vock, hat bekannt gegeben, dass von August 2021 an neue Chef­di­ri­gentin an seinem Haus wird. +++ Letzte Woche haben wir von Mobbing-Vorwürfen gegen Luzerns Inten­danten Michael Haef­liger berichtet – nun erklärt das Festival, dass Unter­su­chungen des Stif­tungs­rates keine Anhalts­punkte dafür gefunden hätten +++ wird Erster Gast­di­ri­gent beim Kyoto Symphony Orchestra, das von Junichi Hiro­kami geleitet werden wird.

NETREBKO-FEST AN DER SCALA

Michael Ernst ist in der nmz ganz begeis­tert vom Saison­ende an der Mailänder Scala, an der Puccinis Tosca mit aufge­führt wurde: „Wenn sie dann noch von einem so pracht­vollen Orchester und einem derart klang­starken Chor ausge­führt wird, sind die Hörnerven hinrei­ßend gespannt. Erst recht, wenn in der Titel­partie »La Netrebko« bril­lieren darf, eine ausdrucks­starke Anna Netrebko, die ihrem Sopran hell leuch­tende Liebe und schwarz­dunklen Tod abringen kann. Wenn ihr eben­bür­tige Sänger zur Seite stehen, als Maler Mario Cava­ra­dossi mit schlankem Tenor, Sinn für die leiseren Töne und Kraft für den ganz großen Ausbruch sowie als fieser Baron Scarpia, dem er das Stimm­vo­lumen eines geschlif­fenen Faust­keils verpasst, mit dem er quer durch das gesamte Theater zu dringen vermag.“ Kriti­scher dagegen Chris­tian Wild­hagen in der NZZ: „ rekon­stru­iert Puccinis Ur-»Tosca« von 1900 in Star­be­set­zung. Nur echtes Musik­theater ist das Spek­takel wieder einmal nicht.

Zum Abschied noch der Hinweis an alle Laien­chöre aus dem Norden: Für die „Lange Nacht des Singens“ sucht die noch Bewerber. Wäre das nicht ein High­light für 2020?

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons