Helmut Lachenmann

Oh Mensch! Gib acht!

von Ruth Renée Reif

25. November 2020

Helmut Lachenmann begeht am 27. November 2020 seinen 85. Geburtstag. Das Ensemble für Neue Musik der Hochschule für Musik in Dresden feiert das Ereignis mit einem Online-Konzert.

fragt nach den kultu­rellen und gesell­schaft­li­chen Bedin­gungen des Kompo­nie­rens. Er ergründet die musi­ka­li­schen Erfah­rungen und die soziale Verfloch­ten­heit der künst­le­ri­schen Selbst­ver­wirk­li­chung. Kompo­nieren versteht er als kommu­ni­ka­tives Handeln, an dem das Hören aktiv betei­ligt ist.

Das Musik­mo­bi­liar

Es geht darum, den Verlo­ckungen der Massen­ge­sell­schaft zu wider­stehen und kompo­si­to­ri­sche Mittel zu entwi­ckeln, die an der Verän­de­rung der Wahr­neh­mung mitwirken. Vor diesem Hinter­grund setzt Lachen­mann sich mit dem musi­ka­li­schen Mate­rial ausein­ander, jenem „Vorrat an Möglich­keiten auf den der Kompo­nist verwiesen ist“. Als „ästhe­ti­schen Apparat“ bezeichnet er dieses „Musik­mo­bi­liar“, dessen Eigen­schaften er abtastet und kartiert, um sie schließ­lich zu brechen.

Das Ensemble für Neue Musik der Hochschule für Musik Carl Mara von Weber in Dresden
Bildet sich jedes Semester neu: das Ensemble für Neue Musik der Hoch­schule für Musik Carl Mara von Weber in

Das Konzert aus Anlass von Lachen­manns 85. Geburtstag hatte ursprüng­lich im Rahmen der Reihe „4:3 – Kammer Musik Neu Light“ geplant. Aufgrund der Pandemie ist es nun als Stream auf der Website zu erleben. Lachen­mann selbst wirkte an der Gestal­tung mit. Er setzte seine tradi­tio­nellen Besuche an der Hoch­schule in Dresden, die ihm 2010 die Ehren­dok­tor­würde verlieh, fort und betei­ligte sich am Proben­pro­zess mit den Studie­renden. Auf dem Programm steht u.a. das Melo­dram „… Zwei Gefühle …“. Musik mit Leonardo.

Die Entde­ckung einer Höhle

Lachen­mann schuf das Werk 19191992 und griff auf einen Text Leonardo da Vincis zurück. Der Künstler berichtet darin von gefähr­li­chen Erkun­dungen auf Vulkanen und der zufäl­ligen Entde­ckung einer Höhle. Er ist begierig, in die Höhle einzu­dringen. Aber die Furcht vor der Dunkel­heit hält ihn zurück, bis das Verlangen über­mächtig wird, „mit eigenen Augen zu sehen, was darin an Wunder­barem sein möchte“. Lachen­mann fügt dieser Erzäh­lung den Text aus Nietz­sches Also sprach Zara­thustra bei, den auch in seiner Dritten Sinfonie verwen­dete; „Oh Mensch! Gib acht!“

Der Komponist und Dirigent Nicolas Kuhn
Leitet das Geburts­tags­kon­zert: der Kompo­nist und Diri­gent Nicolas Kuhn

Zwei Gefühle sind es, die das Werk veran­schau­licht: Furcht und Verlangen. Musi­ka­lisch steht es im Zeichen Luigi Nonos, den Lachen­mann 1957 bei den Darm­städter Feri­en­kursen kennen­lernte und dessen Schüler er von 1958 bis 1960 in wurde. Im Gedenken an Nono beginnt er mit dem Modell der Allin­ter­vall­reihe. Den Text, der an die Bedeu­tung von Höhlen im Mythos sowie an Platons Höhlen­gleichnis denken lässt, fügt er als ein Gemisch von Sprach­split­tern ein, das es zu rekon­stru­ieren gilt. Die Rolle des Spre­chers über­nimmt er selbst. Die Leitung des Konzertes liegt in den Händen des Kompo­nisten und Diri­genten Nicolas Kuhn, der seit 2016 an der Hoch­schule unter­richtet.

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Weitere Informationen zum Online-Geburtstagskonzert unter: www.hellerau.org.
Kompositionen zum Anhören von Helmut Lachenmann finden Sie in der NML.

Fotos: Emilio Pomàrico