Itzhak Perlman
Von digitalen Geigenstunden und WLAN-Tücken
von Ruth Renée Reif
7. November 2020
Itzhak Perlman, der am 31. August 2020 seinen 75. Geburtstag feierte, gehört zu den größten Geigern der Gegenwart. Im Gespräch berichtet er von seinen Erfahrungen, Studierende online zu unterrichten.
Itzhak Perlman ist sichtlich verzweifelt. Für einen Moment scheint es, als müsste das Video-Interview ohne Worte stattfinden. Mit seinem lebhaften Gesichtsausdruck und seiner beredten Gestik hätte der Geiger sicher auch so genug zu sagen. Doch dann erbarmt sich die Technik. Perlman lacht erleichtert.
Itzhak Perlman: Mir wird erst klar, was ich alles nicht weiß über diese Maschinen! Ich habe die neuesten Geräte, aber ich weiß einfach nicht, wie man sie bedient. Und dann hängt man immer von der Gnade des WLAN ab. Sie können die fantastischsten Mikrofone und Verstärker haben – wenn das WLAN nicht will, geht nichts.
CRESCENDO: Musizieren Sie auch online? Wie kommen Sie mit der Übertragungsverzögerung zurecht?
Ich habe eine App, mit der man Kammermusik spielen kann – mit nur minimaler Verzögerung. Wir haben kürzlich Mozart-Quartette gespielt. Jeder von uns war an einem anderen Ort. Es ging gar nicht schlecht. Das einzige Problem war…
…lassen Sie mich raten: das WLAN.
Es ist nicht zu glauben. Sie schicken Menschen auf den Mond, aber sie können kein verlässliches WLAN bieten.
Wie ging es Ihnen eigentlich, als im Frühjahr plötzlich alle Konzerte abgesagt wurden?
Zunächst hat es sich angefühlt wie Ferien. Aber in ein Konzerthaus zu gehen und für ein Publikum zu spielen, das brauche ich einfach wie die Luft zum Atmen.
Streaming-Konzerte sind kein Ersatz für Sie?
Es ist sehr interessant, was mit Technik alles geht. Wir spielten The Snow von Edward Elgar für Chor, Klavier und zwei Geigen. Das haben wir von verschiedenen Orten aus zusammengesetzt. Ich spielte beide Geigenstimmen und trug verschiedenfarbige Hemden. Es gab also Perlman I und Perlman II. Alle Stimmen wurden einzeln aufgenommen, auch der Chor. Die Sänger hatten Klick-Tracks für das Tempo. Das Ergebnis war sehr gelungen.
Sind Sie inzwischen wieder live aufgetreten?
Nein. Man muss ja das Social Distancing wahren. Man kann die Säle nicht ausverkaufen. Ein Desaster für die Veranstalter. Wenn man 2.500 Plätze hat, kann man vielleicht 500 Zuschauer reinlassen. Gestern spielte ein Freund von mir ein Konzert. Er erzählte, dass es ausgesehen habe, als wäre es sehr schlecht beworben worden. Es fühlte sich an, als wäre niemand da!
Musik braucht Nähe.
Ich brauche den Kontakt! Mit dem Publikum, mit den Studierenden.
Unterrichten Sie auch per Video?
Der Unterricht an der Juilliard School findet bislang nur online statt. Neulich gab es ein Problem mit der Synchronisation. Der Student fing an zu reden, aber ich sah nur die Lippenbewegungen. Und dann hörte ich ihn drei Sekunden später reden. Es ist eine Herausforderung.
Vom Spielen ganz zu schweigen.
Denken Sie nur an die Stückauswahl: Wenn die Schüler eine Sonate spielen, haben sie keinen Pianisten, es sei denn, zufällig spielt jemand aus der Familie Klavier. Aber wenn nicht, wie soll man Musik interpretieren, wenn die Hälfte fehlt? Es ist etwas einfacher, wenn man sich ein Solokonzert vornimmt, denn die Solostimme enthält meist die wesentlichen Gedanken.
Unterrichten besteht aus vielen Einzelaspekten. Wie können Sie etwa den Klang beurteilen?
Die Übertragungsqualität kann sehr gut sein. Aber bei der Dynamik ist das Problem, dass oft alles gleich laut klingt. Dann weiß man nicht, woran das liegt. Wenn jemand sehr spezielle Klangfarben macht, dann sage ich: Ich glaube, das ist gut, aber ich weiß es nicht sicher. Oder manchmal spielt jemand plötzlich ein accelerando, und wenn ich ihn dann frage, warum, dann merken wir, dass das Video versucht, mit dem Ton Schritt zu halten, und deswegen wird die Tonspur mal beschleunigt und mal gedrosselt. Man muss sich intensiv einfühlen, um zu erfassen, wie der Schüler spielen will. Das Einzige, worauf man sich wirklich verlassen kann, ist die Tonhöhe! In Intonationsfragen mischt sich die Technik nicht ein.
Was ist mit Bewegungsabläufen?
Die kann man natürlich sehen. Aber es hängt auch davon ab, wie die Studierenden vor der Kamera stehen. Wenn ich sage, ich sehe deine rechte Hand nicht, dann treten sie einen Schritt zurück, und dann höre ich sie wieder schlechter. Ich gewöhne mich an das virtuelle Unterrichten, aber es ist nicht ideal.
Sie sind eine dieser Ausnahmebegabungen, denen das Instrument von Kindheit an gleichsam zugewachsen ist. Wie konnten Sie unterrichten, wenn Sie für sich selbst über vieles nie nachdenken mussten?
Das ist eine wichtige Frage. Wenn jemand spielt und das nicht so richtig funktioniert, ertappe ich mich manchmal dabei, zu denken, das ist doch ganz einfach! Dann muss ich mir sagen: Dass es für mich einfach ist, heißt nicht, dass es das für andere auch ist. Ich muss also herausfinden, was die Schwierigkeit ist. Bestimmte Fingersätze sind für mich einfach, weil ich große Hände habe. Aber für jemand anderen bedeuten sie, dass er die Hand dehnen muss. Ich muss also fragen: Fühlt sich das für dich bequem an? Denn wenn es nicht bequem ist, ist die Intonation gefährdet.
Sie haben einmal vom Unterschied zwischen Zeigen und Unterrichten gesprochen. Können Sie mir ein Beispiel geben?
Wenn begabte Schüler etwas hören, dann spielen sie es einfach nach. Aber wenn es um Phrasierungen oder Klangfarben geht und sie spielen, ohne dass ich es vormache, dann verstehen sie es von innen heraus, und es geht besser. Weil es ihr Eigenes ist. Es ist für den Lehrer natürlich anspruchsvoller, etwas in Worte zu fassen, als es zu zeigen. Manchmal greife ich unwillkürlich nach meiner Geige, aber dann sage ich mir, lass es. Es ist wie bei einem Gesangslehrer. Der muss alles verbalisieren, weil er ja nicht zeigen kann, was im Körper vorgeht. Ein Sänger muss fühlen, wie er einen Klang herstellt.
Gesangslehrer machen dafür manchmal den Fehler, dass sie ihren Schülern Bilder aufzwingen, die für die Schüler nicht passen.
Es kommt darauf an, wie man etwas sagt. Ich habe ein bisschen Erfahrung damit. Denn ich hatte selbst sechs oder sieben Gesangsstunden.
Sie haben einmal den Gefängniswärter in Tosca gesungen!
Mein Part war 19 Sekunden lang, ich habe nachgezählt! Ich habe mit Pavarotti gesungen, und ich habe beschlossen: Das war mein Abschiedsdebüt.
Im Gegensatz zu Ihrer Gesangskarriere, dauert Ihre Geigenkarriere umso länger an. Seit Sie die Bühnen der Welt betraten, haben sich die Interpretationsstile dramatisch verändert. Die Originalklangbewegung hat vieles revolutioniert – aber es gibt insgesamt eine Tendenz hin zum Straffen, Schlanken, Hellen. Es ist eine fast digitale Ästhetik, mit wenig ritardando, ohne Schluchzer und ohne Glissandi. Gefällt Ihnen das?
Bestimmte Gewohnheiten, die Streicher haben, sind Teil unserer heutigen Sprache. Ich habe neulich mit jemandem über große Geiger der 1930- und 1940-Jahre gesprochen: Kreisler, Oistrach, Elman, Heifetz, Milstein. Nicht einer von denen klang wie die anderen. Es war sehr einfach, sie zu unterscheiden. Wen man natürlich sofort erkannte, war Heifetz. Aber heute haben wir ein Problem, weil es das Internet gibt. Man kann alles und jeden hören. Viele Spieler wählen einfach den Klang, der ihnen gefällt. Das ist dann nicht besonders individuell.
Wenn Sie zurückschauen: Was würden Sie heute anders machen?
Wenn ich alte Aufnahmen von mir höre, von vor 30, 40 Jahren, gibt es immer gute und schlechte Nachrichten. Die gute Nachricht ist: Für damals war es gar nicht schlecht. Und die schlechte ist: Ich würde es heute nicht mehr so spielen. Und das ist wieder gut. Eine alte Aufnahme immer noch zu mögen, würde ja Stillstand bedeuten. Aber es ist so wichtig, sich weiterzuentwickeln. Ich glaube, dass ich heute besser höre. Ich bekomme mehr mit, was geschieht.
Wieviel üben Sie?
Ich übe nach Bedarf. Manchmal merke ich, es ist nicht nötig.
Brauchen Sie körperliches Training?
Sie meinen Tonleitern und so etwas? Nein, nicht mehr. Ich übe die Stücke, die ich aufführe. Da ist genug drin. Wenn Sie ein virtuoses Stück spielen, ist das wie eine Etüde. Man muss nur dafür sorgen, dass es den Fingern gutgeht.
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