Jakub Józef Orliński
Breakdance und Barockmusik
12. Oktober 2023
Mühelos vereint der polnische Countertenor Jakub Józef Orliński in seinen Auftritten vermeintliche Gegensätze und liefert schon mal einen furiosen Breakdance auf der Opernbühne ab. Voller Schwung voraus also in eine aufregende Karriere!
Es war die längste Szene, die er je auf einer Opernbühne breakdancend performed hat – in Georg Friedrich Händels „Semele“ bei den Opernfestspielen im Juli im Prinzregententheater. Da darf der polnische Countertenor Jakub Józef Orliński nicht nur seine sonst oft gestrichenen Arien als jugendlicher Bräutigam Athamas ganz wunderbar sanft und schön singen, sondern auch die des Amors im zweiten Akt. Als da Jupiter, der Liebhaber von Athamas Braut Semele, mit Profis ein Tänzchen wagt und sein Liebchen unbeeindruckt bleibt, instrumentalisiert er den Bräutigam als Amor, und Orliński legt quasi fremdgesteuert einen dreiminütigen perfekten Breakdance hin, dass das Publikum nach jedem Handstand, dem Überschlag und den virtuosen Drehungen Szenenapplaus spendet. Auch schon in den „Rinaldo“-Produktionen in Frankfurt und in der von Robert Carsen in Glyndebourne war er körperlich den ganzen Abend sehr gefordert. Da machte er bei einer Arie etwa ein paar Bewegungen, denen die Soldaten – dargestellt von Tänzern – folgen mussten: „Das war jeden Abend anders und machte großen Spaß. Ich liebe es überhaupt, eine Oper in ganz verschiedenen Inszenierungen zu machen. Das ist ungemein spannend, und dahingehend passe ich auch die Verzierungen in meinen Arien an. Die waren in Frankfurt ganz anders als in Glyndebourne.“
In Händels Oratorium „Theodora“, vor kurzem in einer unter die Haut gehenden modernen szenischen Fassung auf DVD erschienen, muss sich Orliński in Frauenkleidern im Poledance beweisen, also im Tanz an der Stange wie ein Artist. Oder hier als jemand, der den Platz seiner Geliebten als Zwangsprostituierte einnimmt: „Ich habe das zwar in Shows in Warschau mal ausprobiert, freilich aber noch nie auf der Opernbühne. Doch was tut Didymus nicht alles aus Liebe für Theodora!“ Überhaupt schätzt er diese Produktion sehr: „Ich finde zwar auch das ursprüngliche Ende, wo beide sterben, sehr stimmig, aber dass die beiden hier am Ende den Ort verlassen, an dem sie gefoltert und missbraucht wurden, macht auch sehr viel Sinn.“
»Man muss beharrlich in kleinen Schritten weitergehen, den langen Weg in kleine Einheiten aufteilen.«
Dass Orliński ein großartiger Schauspieler ist, sieht man nicht nur auf der Opernbühne, sondern auch bei seiner Aufnahme von Vivaldis „Stabat Mater“. Das Album enthält nicht nur die CD, sondern auch eine DVD, in der parallel zur Musik ein brutaler Krimi abläuft. Oder, wie Orliński ganz allgemein sagt, „eine Geschichte über Leidenschaft, Empathie, Freundschaft“. Da werden gleich am Anfang bei einem Ausflug mehrere junge Menschen ermordet, einer bleibt übrig, und der konfrontiert ganz ohne Begleitung mit fast erstickter Stimme singend am Ende den mutmaßlichen Auftraggeber der Morde mit seiner Tat. Der junge Countertenor betont jedoch: „Jeder Einzelne, der diesen Film sieht – und es ist ein Film, kein Videoclip –, der sieht etwas Anderes. Und er soll etwas Anderes, etwas Eigenes sehen.“
Orliński war einst ein Knabenalt und sang dann Bassbariton in einem kleinen Vokalensemble. Für die Renaissancemusik fehlten aber die ganz hohen Stimmen, und es wurde ausgelost, wer die singen durfte. Oder besser: singen musste. Das hat dem Polen so viel Spaß gemacht, dass er dabei blieb, freilich beim Wechsel vom Amateur zum angehenden Profi-Sänger auch viel Lehrgeld bezahlen musste: „Mein Start war schwer, es war eine Geschichte der permanenten Zurückweisung. Das ist zwar vorbei, aber auch heute noch ist alles ‚work in progress‘. Ich muss experimentieren, lernen, üben. Aber ich bin froh über den Punkt, an dem ich heute stehe. Denn die Musik gibt mir Kraft und Energie, wie auch meine Familie.“ Der 32-Jährige weiß: „Um ein Ziel zu erreichen, egal was es ist, ob Breakdance, Snowboarding, Skaten oder Singen – man muss beharrlich in kleinen Schritten weitergehen, den langen Weg in kleine Einheiten aufteilen. Es ist wie bei einer hohen Leiter, die geht man auch Sprosse für Sprosse. Umgekehrt muss man auch fallen können, um danach ganz schnell wieder aufzustehen.“
Die eigentliche Karriere von Jakub Józef Orliński begann 2014 in Aachen, es folgten weitere Stationen in Deutschland wie Leipzig, Gießen und Frankfurt. 2016 gewann er den „Metropolitan Competition“, 2018 kam mit „Anima Sacra“ die erste Solo-CD heraus. Gefragt nach Vorbildern nennt er den 13 Jahre älteren Counter-Kollegen Philippe Jaroussky als einen Sänger, zu dem er auf- und von dem er sich einiges abschaut: „Er hat diese unglaubliche Kontrolle und Flexibilität beim Singen, die auch ich anstrebe. Und er ist ein so feiner Mensch und unglaublich netter Kollege“. Andreas Scholl hält er für den Besten überhaupt: „Seine Stimme ist so warm und weich, und auch er ist ein herzlich zugewandter Mensch. Ich bin mit den Aufnahmen der beiden aufgewachsen!“ Doch auch Franco Fagioli schätzt er sehr: „Meine Güte, diese drei Oktaven, die hätte ich auch gerne!“ (lacht) Und fügt hinzu: „Aber im Ernst: Ich bin mit meiner Stimme und ihrem Umfang ganz zufrieden!“ In der Hochachtung dürfen weibliche Mezzos und Altistinnen nicht fehlen, Marilyn Horne und natürlich seine Landsfrau, Ewa Podlés: „Ich habe mit ihr, als ich ganz jung war, einen Workshop gemacht. Da hat sie mich korrigiert und mit dieser großen, gehaltvollen Stimme gesungen. Das hätte mich beinahe weggepustet!“