KlassikWoche 06/2024

Jodelt Jurowski statt Curr­entzis?

von Axel Brüggemann

5. Februar 2024

Oksana Lyniv gegen Theodor Currentzis, letzte Klappe für Guy Montavon und Kai Uwe Laufenberg und ein Jodeldiplom.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit einer mutigen , die Paroli bietet, mit der letzten Klappe für die Alpha-Opis und einem Jodel­di­plom!

Lyniv: Kein Whithe­wa­shing für Curr­entzis

Als ich die Ankün­di­gung der Wiener Fest­wo­chen gesehen hatte, konnte ich es nicht glauben, die Aufma­chung war wie ein Show­down gestaltet: Die ukrai­ni­sche Diri­gentin Oksana Lyniv sollte neben Teodor Curr­entzis antreten – beide mit einem Requiem. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das so abge­spro­chen war und fragte nach. Lyniv war ebenso erstaunt, erklärte den Wiener Fest­wo­chen, dass sie unter diesen Umständen nicht auftreten würde (die ursprüng­liche Geschichte hier, hier der Öster­rei­chi­sche Blick, der Deutsch­land­funk und eine Analyse im Tages­spiegel). Lyniv ließ wissen: „Ich kann es gegen­über den fast 150 Musi­ke­rinnen und Musi­kern, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Wien reisen, nicht verant­worten, in einem Kontext mit Teodor Curr­entzis gestellt zu werden und even­tuell sogar an einem White­washing teil­zu­nehmen. Curr­entzis Verbin­dungen nach Russ­land und sein Schweigen zum Angriffs­krieg auf meine Heimat machen es derzeit unmög­lich für mich, in einem Kontext mit ihm aufzu­treten. Es war auch mit den Fest­wo­chen nicht abge­spro­chen, dass die Konzerte mitein­ander in Verbin­dung stehen. Ich hoffe sehr, dass wir in den nächsten Wochen eine gemein­same Lösung mit den Wiener Fest­wo­chen finden.“

Fest­wo­chen-Inten­dant Milo Rau erklärte mir in einem längeren Tele­fonat, dass das ukrai­ni­sche Kaddish Requiem „Babyn Jar“ für ihn im Zentrum der Fest­wo­chen stehe und er unbe­dingt an einer Auffüh­rung mit Lyniv fest­halten wolle. An allem anderen halte er nicht krampf­haft fest, „da befinden wir uns im Prozess der Abstim­mung mit allen Betei­ligten und bitten um ein wenig Zeit, um zu einer Lösung zu kommen.“ Und der SWR? Der schweigt mal wieder! Dabei geraten das Orchester, seine Gesamt­ver­ant­wort­liche, Sabrina Haane und Inten­dant Kai Gniffke immer weiter unter Druck. Es ist histo­risch wohl einzig­artig, dass der Chef­di­ri­gent eines von Gebühren finan­zierten deut­schen Radio­or­ches­ters nach dem Krieg sowohl im In- als auch im Ausland auf Grund seiner poli­ti­scher Haltung gemieden wird. Bei den Wiener Fest­wo­chen sind nun verschie­dene Szena­rien denkbar: Das Orchester tritt ohne seinen Chef an oder zieht sich komplett zurück. Eben­falls nicht ausge­schlossen, dass Curr­entzis durch einen anderen Diri­genten aus Russ­land ersetzt wird, etwa durch oder , die in der Vergan­gen­heit durchaus Gespür und Haltung gegen­über den Opfern des russi­schen Angriffs­krieges gezeigt haben. Oksana Lyniv hat auf jeden Fall klar gemacht, dass sie jemanden, der über den Krieg schweigt nicht für geeignet hält, um den Frieden zu bringen.

Letzte Klappe für Guy und Kai Uwe

Wir haben letzte Woche schon von der greisen Alpha-Bank berichtet: Kai Uwe Laufen­berg verlässt Wies­baden als Inten­dant, und in Erfurt wurde zunächst als Inten­dant wieder einge­setzt, bis er letzten Mitt­woch auf einer Stadt­rats­sit­zung wieder suspen­diert wurde. Ein Gutachten hat zahl­reiche Vorwürfe wegen sexu­eller Über­griffe und Macht­miss­brauch aufge­listet, und Bürger­meister Andreas Bause­wein ist mit seinem Vorhaben geschei­tert, Montavon eine Art Frei­brief zu gewähren. Sein Plan: Keine weiteren Nach­fragen, Berater-Job nach Amts­ende, dafür mittel­fris­tige Abschaf­fung des Gene­ral­inten­danten-Jobs. Also Deckel drauf und zu! Aber das haben sich die Erfurter Stadt­rä­tinnen und Stadt­räte nicht gefallen lassen. Sie stimmten gegen Montavon und für eine gründ­liche und öffent­liche Aufklä­rung des Falles. In meinem Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier nach­hören, hier auf Spotify oder apple Podcast) schaue ich diese Woche detail­liert auf die Vorgänge in Wies­baden und Erfurt und frage auch nach struk­tu­rellen Konse­quenzen für die Kultur­po­litik. Die Linke Land­tags­ab­ge­ord­nete in Thüringen, Katja Maurer, entwirft eine Perspek­tive für die Kultur­po­litik und sieht Hoff­nung in einer jungen Poli­ti­ker­ge­nera­tion. Der Jour­na­list Volker Milch war das liebste Angriffs­ziel von Kai Uwe Laufen­berg – nun erklärt er seine Perspek­tive auf die letzten Jahre und findet, dass es ein Grund­fehler ist, wenn ein Inten­dant auch ein viel­be­schäf­tigter Regis­seur ist. Außerdem erklärt die Kultur­po­li­ti­kerin der Linken in Berlin, Manuela Schmidt, was Kultur­po­li­ti­ke­rinnen sich zuweilen von Künst­le­rinnen und Künst­lern wünschen. Eine Stunde über neue Wege im Mitein­ander von Kultur und Politik.

Wenn die Männer und die Frauen…

Es war ein biss­chen bizarr, was da in den letzten Tagen in musik­wis­sen­schaft­li­chen Kreisen – vor allen Dingen im Netz – gelaufen ist, und ich habe über­legt, ob ich über­haupt darüber berichten soll. Aber es ist viel­leicht auch sehr exem­pla­risch. Wir haben an dieser Stelle bereits über ein sehr lesens­wertes Buch berichtet: „250 Kompo­nis­tinnen“. Geschrieben hat es , mit dem wahr­schein­lich schon so ziem­lich jeder mal ein Schar­mützel hatte – ja, auch ich! Aber: Es ist ein gutes Buch. Ein wich­tiges Buch. Und ein Buch, das nun in der Kritik steht, beson­ders bei Musik­wis­sen­schaft­le­rinnen. So kommen­tierte die Jour­na­listin Hannah Schmidt im SWR, dass Lücker sich auf die Vorar­beit von Wissen­schaft­le­rinnen gestützt habe und nun (als Mann!) die Meriten einheimse. Damit nicht genug, Hannah Schmidt wirft Lücker „inter­na­li­sierte Miso­gynie“ vor. Genau, Schmidt hatte schon die Hundekot-Attacke in Hannover gegen eine FAZ-Kriti­kerin weniger als Angriff auf die Kritik denn als „Vorstufe zum Femizid“, also zur Auslö­schung der Frauen beschrieben. Eine Nummer kleiner haben wir es nicht? Zumal Lücker in seinem Buch explizit den Wissen­schaft­le­rinnen dankt, Quellen benennt und nichts, was nicht seines ist, als seines ausgibt. Dürfen denn irgend­wann nur noch Astro­nauten über Astro­nauten und Gold­fi­sche über Gold­fi­sche schreiben? Sorry, ich kann dem in dieser Vehe­menz nicht mehr folgen. Ebenso wenig übri­gens wie dem Knall­kopf, der in den sozialen Medien plötz­lich unter Pseud­onym in genau diese Debatte mit unter­grif­figen Kommen­taren einge­griffen hat… you, know, whom I mean! Also, Klar­namen raus, Debatte auf den Tisch, und können wir uns jetzt Mal wieder aufs Wesent­liche konzen­trieren: auf den Inhalt? Danke und aus.

Musik­hoch­schulen für Musik­wett­be­werb

Die Deut­schen Musik­hoch­schulen zeigen sich „entsetzt“: Auf der Rekto­ren­kon­fe­renz kriti­sierten sie die Kürzungs­pläne beim ARD-Musik­wett­be­werb. Die Inten­dan­tinnen und Inten­danten der ARD hatten im Sommer 2023 ange­kün­digt, die Mittel für den inter­na­tional renom­mierten Musik­wett­be­werb ab 2025 um die Hälfte zu kürzen. Das wider­spreche „in aller­höchstem Maße dem Kultur­auf­trag der öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stalten“, sagt Prof. Chris­tian Fischer, Vorsit­zender der Rekto­ren­kon­fe­renz. Und ordnet gleich die Bedeu­tung des Wett­be­werbs ein: „Der ARD-Musik­wett­be­werb hat für die inter­na­tio­nale Klas­sik­szene einen Stel­len­wert wie die Berli­nale für den Film oder das Wimbledon-Turnier für die Tennis­welt.“

Perso­na­lien der Woche

So langsam muss sich mal Gedanken machen, ob ihm sein Job als Salz­burger Fest­spiel-Inten­dant eigent­lich noch Spaß macht oder nicht. Denn seine Stelle wird schon mal ausge­schrieben (das wäre, wenn weiter poli­ti­sches Inter­esse an Hinter­häuser bestünde, sicher­lich leiser geschehen, und dann hätte der Inten­dant sicher­lich auch gewusst, ob er sich bewirbt). Außerdem inter­es­sant: Man ermun­tert ausdrück­lich inter­na­tio­nale Berwer­bungen. +++ Und noch eine Austro-Perso­nalie: Der Geschäfts­führer des Grafenegg-Festi­vals, Philipp Stein, verlässt das Festival. , Künst­le­ri­scher Leiter hat noch einen Vertrag bis 2026. Dann soll auch der Rudolf Buch­binder Saal in Grafenegg eröffnet werden: aus Dank für die großen Verdienste des Pianisten. Über Buch­bin­ders Nach­folge gibt es derzeit nur Speku­la­tionen: Beson­ders laut wird über einen Kultur­ma­nager speku­liert, der in Italien gerade Erfah­rungen mit einer Rechts­re­gie­rung sammelt. Wird er nach Nieder­ös­ter­reich kommen, wo die popu­lis­ti­sche FPÖ inzwi­schen eben­falls mitre­giert? +++ Und wenn wir schon im rechten Italien sind: Die Diri­gentin Beatrice Venezi, Freundin von Italiens Minis­ter­prä­si­dentin Giorgia Meloni, orga­ni­siert sich als Bera­terin der Kultur­ab­tei­lung selber immer mehr Diri­genten-Aufträge, etwa am Theater in Palermo oder beim Sizi­lia­ni­schen Sympho­nie­or­chester. Etwas, das der Diri­gent in unserer Podcast-Ausgabe über Kultur in national-popu­lis­ti­schen Regie­rungen bereits vorge­sagt hat.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: lebt! Am vergan­genen Mitt­woch hat Dayana Pfam­matter Gurten als erste Schwei­zerin einen Master of Arts in Musik­päd­agogik mit Haupt­fach Jodeln abge­schlossen. Quasi ein: JODEL­DI­PLOM! Gratu­la­tion.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de