Julian Assange

Angriff auf die Pres­se­frei­heit

von Ruth Renée Reif

29. November 2022

Internationale Medienhäuser fordern die US-Regierung auf, die Strafverfolgung von Julian Assange, dem Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, einzustellen.

Die Anklage von schaffe einen gefähr­li­chen Präze­denz­fall und einen Angriff auf die Pres­se­frei­heit, heißt es in einem am 28. November 2022 von Der Spiegel, Le Monde, El País, The New York Times und The Guar­dian unter­zeich­neten Offenen Brief an die US-Regie­rung. Julian Assange, der sich im Hoch­si­cher­heits­ge­fängnis Belmarsh in London befindet, versucht, mit einer Beru­fung vor dem High Court in London seine Auslie­fe­rung an die USA zu verhin­dern. Die briti­sche Regie­rung hatte die Auslie­fe­rung nach jahre­langen juris­ti­schen Vorgängen geneh­migt.

Die US-Justiz will Assange wegen des Vorwurfs der Spio­nage vor Gericht stellen. Ihm wird vorge­worfen, „mit Whist­le­b­lo­werin Chelsea Manning geheimes Mate­rial von US-Mili­tär­ein­sätzen im Irak und in Afgha­ni­stan gestohlen, veröf­fent­licht und damit das Leben von US-Infor­manten in Gefahr gebracht zu haben“. Unter­stützer von Assange sehen in ihm dagegen einen mutigen Jour­na­listen, der die Kriegs­ver­bre­chen ans Licht der Öffent­lich­keit brachte.

Der Offene Brief an die US-Regie­rung vom 28. November 2022 in deut­scher Sprache im Wort­laut:

„Heute vor zwölf Jahren, am 28. November 2010, haben unsere fünf Redak­tionen in Zusam­men­ar­beit mit Wiki­leaks eine Serie von Enthül­lungs­ge­schichten veröf­fent­licht, die welt­weit Schlag­zeilen machten. Die diplo­ma­ti­schen Depe­schen, eine Samm­lung von 251.000 vertrau­li­chen Nach­richten des US-Außen­mi­nis­te­riums, entlarvten Korrup­tion, diplo­ma­ti­sche Skan­dale und Spio­nage-Affären von inter­na­tio­nalem Ausmaß. In den Worten der New York Times zeigten die Doku­mente ‚unge­schönt, wie die US-Regie­rung ihre wich­tigsten Entschei­dungen trifft, Entschei­dungen, die das Land viele Menschen­leben und viel Geld kosten‘. Und noch immer veröf­fent­li­chen Jour­na­listen und Histo­riker neue Enthül­lungen, die auf diesem einzig­ar­tigen Doku­menten-Schatz basieren.

Für Julian Assange, den Heraus­geber von Wiki­Leaks, hatten diese Veröf­fent­li­chungen und andere damit zusam­men­hän­gende Leaks jedoch gravie­rende Folgen. Am 12. April 2019 wurde Assange aufgrund eines US-ameri­ka­ni­schen Haft­be­fehls in London fest­ge­nommen. Er sitzt seit rund drei­ein­halb Jahren in einem briti­schen Hoch­si­cher­heits­ge­fängnis, in dem ansonsten Terro­risten oder Mitglieder des Orga­ni­sierten Verbre­chens einge­sperrt werden. Ihm droht die Auslie­fe­rung an die USA und eine Haft­strafe von bis zu 175 Jahren in einem ameri­ka­ni­schen Hoch­si­cher­heits­ge­fängnis.

Unsere Redak­tionen, die damals mit Wiki­Leaks zusam­men­ar­bei­teten, entschieden sich 2011, Assanges Verhalten öffent­lich zu kriti­sieren, als die Doku­mente im Original, ohne jour­na­lis­ti­sche Bear­bei­tung an die Öffent­lich­keit gelangten. Und einige von uns haben mit Sorge die Vorwürfe in der Anklage zur Kenntnis genommen, denen zufolge Assange dabei geholfen haben soll, in einen Computer mit Zugang zu einer geheimen Daten­bank einzu­dringen. Aber heute äußern wir uns gemeinsam, weil wir zutiefst besorgt darüber sind, dass Julian Assange noch immer verfolgt wird, weil er geheimes Mate­rial beschafft und veröf­fent­licht hat.

Die Regie­rung von und Joe Biden, die während der Wiki­leaks-Veröf­fent­li­chungen 2010 im Amt war, hatte es abge­lehnt, Assange anzu­klagen, weil dann auch Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen der großen Medien hätte ange­klagt werden müssen. Ihre Wert­schät­zung der Pres­se­frei­heit überwog, selbst in einem Fall, in dem die Konse­quenzen schmerz­haft waren. Unter änderte sich diese Haltung jedoch. Das US-Justiz­mi­nis­te­rium nutzte das alte Anti-Spio­nage-Gesetz von 1917, einst gedacht für die Verur­tei­lung von Spionen während des Ersten Welt­kriegs. Es wurde nie zuvor ange­wendet, um einen Heraus­geber oder Jour­na­listen vor Gericht zu stellen.

Die Anklage gegen Assange ist ein gefähr­li­cher Präze­denz­fall und ein Angriff auf die Pres­se­frei­heit.

Es zählt zu den Kern­auf­gaben von Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen in demo­kra­ti­schen Staaten, Fehler von Regie­rungen zu kriti­sieren. Sensible Infor­ma­tionen zu beschaffen und zu publi­zieren, wenn das im öffent­li­chen Inter­esse liegt, ist Teil unserer tägli­chen Arbeit. Wer diese Arbeit krimi­na­li­siert, schwächt den öffent­li­chen Diskurs und damit die Demo­kratie. 

Jour­na­lismus ist kein Verbre­chen.“

Der Offene Brief an die US-Regie­rung vom 28. November 2022 in engli­scher Sprache im Wort­laut:

Twelve years ago, on November 28th 2010, our five inter­na­tional media outlets – The New York Times, the Guar­dian, Le Monde, El Pais and DER SPIEGEL – published a series of reve­la­tions in coöpe­ra­tion with Wiki­leaks that made the head­lines around the globe.

‚Cable gate‘, a set of 251,000 confi­den­tial cables from the US State Depart­ment disc­losed corrup­tion, diplo­matic scan­dals and spy affairs on an inter­na­tional scale.

In the words of The New York Times, the docu­ments told ‚the unvar­nished story of how the govern­ment makes its biggest decis­ions, the decis­ions that cost the country most heavily in lives and money‘. Even now in 2022, jour­na­lists and histo­rians continue to publish new reve­la­tions, using the unique trove of docu­ments.

For Julian Assange, publisher of Wiki­leaks, the publi­ca­tion of ‚Cable gate‘ and several other related leaks had the most severe conse­quences. On April 12th, 2019, Assange was arrested in London on a US arrest warrant, and has now been held for three and a half years in a high secu­rity British prison usually used for terro­rists and members of orga­nized crime groups. He faces extra­di­tion to the US and a sentence of up to 175 years in an American maximum secu­rity prison.

This group of editors and publishers, all of whom had worked with Assange, felt the need to publicly criti­cize his conduct in 2011 when unre­dacted copies of the cables were released, and some of us are concerned about the alle­ga­tions in the indict­ment that he attempted to aid in computer intru­sion of a clas­si­fied data­base. But we come toge­ther now to express our grave concerns about the continued prose­cu­tion of Julian Assange for obtai­ning and publi­shing clas­si­fied mate­rials.

The Obama-Biden Admi­nis­tra­tion, in office during the Wiki­leaks publi­ca­tion in 2010, refrained from indic­ting Assange, explai­ning that they would have had to indict jour­na­lists from major news outlets too. Their posi­tion placed a premium on press freedom, despite its uncom­for­table conse­quences. Under Donald Trump however, the posi­tion changed. The DOJ relied on an old law, the Espio­nage Act of 1917 (desi­gned to prose­cute poten­tial spies during World War 1), which has never been used to prose­cute a publisher or broad­caster.

This indict­ment sets a dange­rous prece­dent, and threa­tens to under­mine America’s First Amend­ment and the freedom of the press. Holding govern­ments accoun­table is part of the core mission of a free press in a demo­cracy.

Obtai­ning and disclo­sing sensi­tive infor­ma­tion when neces­sary in the public inte­rest is a core part of the daily work of jour­na­lists. If that work is crimi­na­lised, our public discourse and our demo­cra­cies are made signi­fi­cantly weaker.

Twelve years after the publi­ca­tion of ‚Cable gate‘, it is time for the U.S. govern­ment to end its prose­cu­tion of Julian Assange for publi­shing secrets.

Publi­shing is not a crime.“

Fotos: David G. Silvers, Cancillería del Ecuador / https://www.flickr.com/photos/dgcomsoc/14933990406/ Wikimedia