Katharina Konradi
Scheu vor Schubert
von Barbara Schulz
21. Februar 2021
Respekt und Berufung: Die Sopranistin Katharina Konradi über ihre Ehrfurcht vor großen Kolleginnen und ihrem Respekt vor dem ein oder anderen Komponisten.
CRESCENDO: Frau Konradi, Sie haben einen deutschen Namen, aber Sie kommen aus Kirgistan. Sind Ihre Eltern Spätaussiedler?
Katharina Konradi: Meine Großeltern waren Wolgadeutsche. Sie sind von Russland nach Kirgistan gezogen. Mein Vater wiederum hat in Russland studiert, dort meine Mutter kennengelernt und ist dann mit ihr nach Kirgistan zurückgegangen.
Das klingt nach einer typisch sowjetischen Biografie. Was hat Ihre Eltern denn bewogen, nach Deutschland zu gehen?
In Ländern wie Kirgistan träumt man von einem besseren Leben. Als meine Eltern gehört haben, es gibt eine Möglichkeit, als Spätaussiedler nach Deutschland einzureisen, haben sie einen Antrag gestellt. Es hat Jahre gedauert, bis wir dann wirklich gehen konnten.
Wie sehr waren denn die deutsche Sprache und Kultur vorher in der Familie präsent?
Von meinem Großvater habe ich als Kind noch dieses alte Plattdeutsch gehört, das sie in Russland in den Siedlungen gesprochen haben. Aber sonst hatten wir keinen Bezug zur Sprache. Als wir die Einreiseerlaubnis bekamen, haben wir einen Deutschkurs gemacht, wo man uns zunächst Basiswissen wie „Mein Name ist“ vermittelt hat. Aber es war ein Schock, als wir in Pinneberg bei Hamburg ankamen und nichts verstanden! Wir haben für alles Hilfe gebraucht – für die Papiere und die ganzen Behördengänge.
Und wie ging das mit der Schule?
Ich hatte gehört, dass man, wenn man aufs Gymnasium geht, studieren kann. Das wollte ich natürlich unbedingt. Weil ich kein Wort Deutsch sprach, musste ich erst mal auf die Hauptschule gehen. Nach einem halben Jahr haben sie mir auf dem Gymnasium ein Jahr Probezeit gegeben. So bin ich da reingekommen.
Dann haben Sie am eigenen Leibe erlebt, wie sich Fremdsein anfühlt. Beeinflusst das Ihren Blick auf solche Themen?
Auf jeden Fall. Das merke ich, wenn es Debatten über Flüchtlinge gibt. Viele meiner Mitschüler aus den Förderkursen, aus Russland oder der Türkei oder vielen anderen Ländern, waren in der gleichen Situation. Wenn man mit 13, 14 Jahren nicht mitreden kann, ist man außen vor.
»Durch Alleinsein bin ich in die Musik reingewachsen. Musik war für mich eine eigene Welt.«
Waren Sie viel allein?
Das Alleinsein hat meine Schulzeit geprägt. Dadurch bin ich in die Musik reingewachsen. Musik war für mich eine eigene Welt. Nachmittags nach der Schule habe ich mir stundenlang Opern angehört. Ich habe mir in der Stadtbibliothek alle möglichen CDs ausgeliehen. Und ich habe Klavier gelernt.
Hatten Sie von zu Hause aus einen musikalischen Hintergrund?
Meine Eltern haben mich schon als kleines Kind gefördert, noch in Kirgistan. Sie wollten, dass ich Klavier lerne, aber ich hatte keine Lust. Ich habe lieber mit den Hunden und Katzen auf der Dorfstraße gespielt und mit den anderen Kindern getobt.
Wie sind Sie denn zum Singen gekommen?
Über meinen Großvater. Er hat Akkordeon gespielt. Mit vier hatte ich meinen ersten öffentlichen Auftritt bei einem Dorffest. Da habe ich russische Volkslieder gesungen, kleine Volksweisen, und habe gelernt: Einer spielt, und du kannst dazu singen, und das macht Spaß. Ich habe dann Kinderpop gesungen und bin auch lokal im Fernsehen aufgetreten.
Eine frühe Karriere …
Ja, aber als ich nach Deutschland kam, hatte ich erst mal so viel zu kämpfen, dass ich den Weg erst mit 17, 18 wiedergefunden habe.
Aber ab da ging es steil bergauf. Sie haben vor der Coronakrise sehr viel gesungen. Wie ist es Ihnen denn mit der plötzlichen Zwangspause gegangen?
Ich bin ein Mensch, der nie sagt, das wird mir zu viel. In der letzten Zeit vor der Pandemie habe ich gemerkt, es wird anstrengend. Da kam mir die Auszeit am Anfang sehr gelegen. Obwohl ein paar schöne Projekte ausgefallen sind, etwa mein Debüt als Susanna an der Opéra de Lyon. Als dann aber Bayreuth und andere Sachen ausfielen, war das auch finanziell nicht mehr so lustig – trotz meines festen Engagements an der Hamburgischen Staatsoper, für das ich sehr dankbar bin.
War da, unabhängig von der festen Stelle, auch Existenzangst im Spiel?
Wenn man ein regelmäßiges Einkommen hat, hat man die Miete und die monatlichen Ausgaben gesichert. Aber ich hatte auch Pläne. Mit den freien Engagements wollte ich meine CD finanzieren.
Eine CD als Privatvergnügen – das hätte sich vor 30 Jahren keiner träumen lassen.
Früher hat man davon gelebt! Ich habe gestern eine Kiste mit Exemplaren bekommen und dachte daran, wie viel ich investiert habe – und wie viele CDs sich wohl verkaufen werden…
Gibt es überhaupt eine realistische Chance, damit Geld zu verdienen? Oder geht es schlicht um ein sehr feines Werbemittel?
Es ist klar, dass wir das Geld nicht wieder herausbekommen. Manchmal entdecke ich ein neues Album, und eine Woche später finde ich schon alles auf Youtube – kostenlos. Ich glaube, in erster Linie wollen die Künstler sich verewigen.
»Schubert will ja nicht irgendwie gesungen werden, man muss ihm auch gerecht werden.«
Sie haben Ihr neues Album Liebende genannt. Nun geht es in der Musik ja im Grunde ununterbrochen um die Liebe.
Der Titel kam ganz zum Schluss. In jedem dieser Lieder geht es um Liebe. Entweder um eine erfüllte Liebe oder um ein Streben nach Liebe oder um etwas anderes, wie in der Abendempfindung, die handelt vom Sterben. Aber dann legt eine Liebende ein Blümchen auf das Grab. Der Titel „Liebende“ bezieht sich auch nicht notwendig auf ein konkretes Objekt. Es kann ja auch jemand sein, der das Leben liebt.
Was war denn Ihr Leitfaden?
Bei solchen Entscheidungen höre ich auf mein Bauchgefühl. Ich habe Lieder gewählt, die mir am Herzen liegen und die gut zu meiner Stimme passen. Mozart und Strauss singe ich auch in der Oper. Vor Schubert habe ich immer sehr viel Respekt. Schubert will ja nicht irgendwie gesungen werden, sondern man muss ihm auch gerecht werden. Da habe ich mich nicht gleich berufen gefühlt.
Sie haben Liedgestaltung bei Christiane Iven studiert, das ist wie ein Ritterschlag für das Genre, Sie haben bei dem kleinen, feinen Schubertiade-Festival in Hohenems gesungen. Und dann solche Skrupel?
Nehmen Sie die beiden Suleika-Lieder…
… das sind die mit den Willemer-Texten.
Diese Lieder sind hoch aufgehängt. Sie sind wie ein Heiligtum. Man hat tolle Aufnahmen im Ohr, von Christiane Oelze oder Arléen Auger. Und denkt ehrfürchtig, bis ich das so gut singen kann, muss ich noch viel lernen.
Da geht es also nicht nur um technische Dinge, sondern um das Verflechten mit dem anspruchsvollen Gehalt?
Man muss die Stimme, aber auch die Sprache so gut beherrschen, dass man diese Leichtigkeit hinbekommt. Stimmtechnische Mängel werden bei Schubert sofort hörbar. Aber dann habe ich auf einmal entdeckt, dass auch die hörbar schwer zu singenden Stücke mir leicht fallen. Vielleicht klingt das überheblich, aber Schubert ist der Komponist schlechthin für mich.
»Es gibt keine kleinen Partien, nur kleine Darsteller.«
Sie haben oft zwischen Lied und Oper gewechselt. Wieviel Umstellung braucht es denn da?
Das ist tatsächlich schwierig. Besonders die Umstellung von Oper auf Lied. Fürs Lied braucht man die opernhafte Höhe nicht so sehr, aber man braucht eine weiche Tiefe, den Übergang von der tiefen Stimme in die Höhe. Andersherum ist es leichter. Ich finde, das Lied heilt die Stimme, sie wird wieder gesund, und dann kann man auf der Opernbühne nichts falsch machen. Aber wenn ich viel Oper mache, brauche ich ein paar Tage, um die Stimme wieder auf das leisere und leichtere Niveau zu bringen.
Und können Sie das denn im Kalender auch einrichten?
(lacht) Jetzt ja! Früher haben tatsächlich manche Liederabende darunter gelitten. Vielleicht nicht hörbar für den Zuhörer, aber für mich.
Die Gretchenfrage wird sich ja womöglich erst stellen, wenn der Betrieb wieder läuft. Viele Künstler glauben, sie könnten es sich nicht leisten, einem Veranstalter abzusagen. Schaffen Sie es, den Erwartungen zu widerstehen?
Ich habe gelernt, darauf zu vertrauen: Wenn der Veranstalter wirklich Interesse hat, kommt er noch mal. Das ist ein Prozess. Natürlich nimmt man auch mal was an, weil das ein wichtiger Veranstalter ist. Aber wenn man übermüdet ist oder krank und es trotzdem macht, kann das auch nach hinten losgehen. Dann singt man vielleicht nicht so gut wie sonst, und dann kommt der Veranstalter gerade deshalb nicht mehr auf einen zu.
Eine Stimme entwickelt sich lebenslang. Wohin entwickelt sich Ihre zurzeit?
Meine Stimme ist eine leichte lyrische Stimme, etwa für die Sophie aus dem Rosenkavalier, die ich gerade an der Bayerischen Staatsoper vorbereite. Oder die Mozart-Partien Susanna und Pamina. Später möchte ich meine Stimme schon in die Richtung entwickeln, dass ich die Hauptpartien bei Mozart singe.
Gräfin und Fiordiligi und so?
Pamina ist natürlich auch eine Hauptpartie.
… und ohne Susanna gibt es keinen Figaro.
Es gibt keine kleinen Partien, es gibt nur kleine Darsteller. Ich würde nie sagen, oh, Papagena sing ich nicht. Eine gut gesungene Papagena ist etwas Großartiges!