Katharina Konradi

Ein Glücks­fall für Schu­bert

von Stefan Sell

9. August 2023

Respekt und Demut sind die Worte, die die kirgisische Sopranistin Katharina Konradi für Franz Schubert aufbringt. Jetzt hat sie die Hürde genommen – anders, filigraner als üblich. Herausgekommen ist ein intimes Zeugnis tiefer seelischer Verbundenheit.

Das Geheimnis ihrer Stimme liegt in der lyri­schen Leich­tig­keit, der Natür­lich­keit, der mühe­losen Weite. Forcieren ist ihr fremd. Ihr Timbre leuchtet in den Höhen mit morgen­fri­scher Klar­heit und hütet in den Tiefen eine sanft-warme Ausge­wo­gen­heit. Das berührt, bezau­bert und begeis­tert. bril­liert als festes Ensem­ble­mit­glied der Hamburger Staats­oper, als Konzert­sän­gerin in der Elbphil­har­monie, in München, Bayreuth, London, Barce­lona, Bilbao oder bei der Schu­ber­tiade in Schwar­zen­berg, wo sie auch in diesem Festi­val­sommer wieder live zu erleben sein wird. Lange hat sich Konradi vor Schu­bert gescheut, zu groß war der Respekt. Doch ein Schu­bert, wie er jetzt auf ihrem Album Insomnia zu hören ist, ist eine Entde­ckung, fast ein Glau­bens­be­kenntnis, vor allem ein State­ment inniger Verbun­den­heit. So eine „Sonne“, so ein „Abendrot“, so eine „Nacht“ bereitet Freude und offen­bart etwas Unge­ahntes. Ammiel Busha­ke­vitz Klavier- und Gitar­ren­spiel verschmilzt mit Konradis Stimme, als seien die beiden Seelen­ver­wandte. Nichts klingt gewollt, alles von Herzen gewusst.

Katha­rina Konradi foto­gra­fiert von Ammiel Busha­ke­vitz

Frau Konradi, längst sind Sie eine sehr gefragte Sängerin, auch bei den dies­jäh­rigen Fest­spielen, unter anderem auch wieder bei der Schu­ber­tiade. Macht es einen Unter­schied, ob Sie in der Hamburger Staats­oper oder bei einem Festival auftreten?

Das ist inso­fern etwas Beson­deres, weil die Schu­ber­tiade ein Lied-Festival ist. Das lässt sich nicht so einfach verglei­chen. Die Hamburger Staats­oper ist eine große Bühne mit langer Tradi­tion. Um bei einem Festival wie der Schu­ber­tiade dabei zu sein, muss man sich sehr intensiv mit dem Lied beschäf­tigen. Nicht jeder, der in der Oper auftritt, kann auch Lied singen. Wenn man in Schwar­zen­berg ange­kommen ist, hat man das Gefühl, es geschafft zu haben.

Gerade haben Sie mit Ammiel Busha­ke­vitz ein Album einge­spielt, das sich ganz den Liedern Schu­berts widmet. Wie war die Zusam­men­ar­beit?

Ich muss sagen, dieser Musiker ist einfach eine Offen­ba­rung. Er spielt nicht nur Gitarre und Klavier, er hat sogar das Foto­shoo­ting gemacht. Die ursprüng­liche Idee war einfach, ein Schu­bert-Album aufzu­nehmen. Marcus Heinicke, der Label­chef von Berlin Clas­sics, hat mich gefragt, ob wir nicht etwas Beson­deres machen wollen. Aufnahmen von Schu­bert-Liedern gebe es schon zuhauf. Gut, es sei meine erste Schu­bert-CD, aber er suche eine zusätz­liche Farbe. Ich schlug die Gitarre als Begleit­in­stru­ment vor. Ammiel kam dazu und meinte, er könne auch Gitarre spielen (lacht) – was ich gar nicht wusste. Als Ammiel dann auch noch vorschlug, die Gitar­ren­be­ar­bei­tungen zu machen, war klar: Das ist ein Riesen­glücks­fall! So sind diese wunder­baren Bear­bei­tungen entstanden.

»Wir sind ständig auf Wander­schaft, weil die Seele nicht ankommen möchte.«

Die Gitarre klingt intimer als das Klavier.

Ja, tatsäch­lich, das ist so. Vor der Aufnahme haben wir das Programm in zwei Konzerten auspro­biert. In dem Moment, als die Lieder mit Gitarre begleitet wurden, wurde es im Publikum ganz still. Es war plötz­lich so intim, als wären nur wir beide im Raum. Wir saßen eng beiein­ander, und ich konnte meine Stimme zurück­nehmen.

Sie gehen in der Dynamik zurück, behalten aber das gesamte Spek­trum Ihrer Stimme.

Mit dem Klavier kann man auch dyna­misch zurück­gehen, aber die Unter­stüt­zung ist kräf­tiger. Mit der Gitarre zusammen kann man plötz­lich flüs­tern. Der Text lässt sich ganz anders deuten. Auf diese Weise erzählt man den Text wirk­lich. Es ist, als würde man nachts draußen am Feuer sitzen und in die Natur singen. Das fühlt sich viel natür­li­cher an als mit dem Klavier – ein Gefühl wie direkt aus dem Leben.

Die Stimme ist unmit­tel­barer als ein Instru­ment – den Gefühlen, dem Erleben nähe. Und so auch der Gefühls- und Erleb­nis­welt Schu­berts wie dem wieder­keh­renden Motiv des Wanderns.

Das ist sicher­lich richtig. Aus dem Kontext heraus über­trage ich Text und Musik auf meine Lebens­er­fah­rung. Ich blicke jetzt auf 34 Jahre zurück, habe einen Umzug von Kirgi­stan nach Deutsch­land hinter mir. Das Ankommen und Inte­grieren in dieses Leben brachte gewisse Schwie­rig­keiten mit sich. Das hat auch mit Wande­rung zu tun. Die persön­liche Entwick­lung ist verbunden mit dem, wie man in einem Land ankommt und wie man so einen Weg gestaltet. Ich bin auf allen Bühnen Europas unter­wegs, wir sind vor drei Tagen in ein neues Haus gezogen und denken jetzt schon daran, wie es wohl in zwei Jahren weiter­gehen wird. Ich habe das Gefühl, wir sind ständig auf Wander­schaft, weil die Seele nicht ankommen möchte. Sie möchte immer weiter und weiter neue Erfah­rungen sammeln. Deshalb suche ich mein Reper­toire danach aus, ob mich ein Lied anspricht in dem, was es erzählen möchte, und ob es etwas mit meinem Leben zu tun hat. Wenn ich Liebes­lieder singe wie das Ständ­chen, denke ich auch über meine Bezie­hungen nach. Je mehr mir gelingt, beides zusam­men­zu­bringen, desto besser kann ich das auf der Bühne vermit­teln.

»Das Leben muss hier und jetzt statt­finden! Nicht irgendwo online.«

Spre­chen wir über Kommu­ni­ka­tion, Wahr­neh­mung und Wirkung von Musik. Sie haben sich aus den Social Media-Portalen verab­schiedet.

Dort scheint inzwi­schen weniger das Verbin­dende als das Tren­nende zu domi­nieren. Danke, dass Sie das so genau bezeichnet haben. Das war genau das, was mich gestört hat. Auf Face­book hat man soge­nannte Freunde. Ich hatte über 1.000, auf Insta­gram hatte ich etwa 3.000 Follower. Aber diese Verbin­dung habe ich nie gespürt. Ich bin ein Mensch, der den leben­digen Kontakt braucht – Menschen, die verbind­lich sind, mit denen man über alles spre­chen kann. Das fand ich dort nicht. Ich habe sehr viel Energie aufge­bracht, mich gut darzu­stellen, und ganz viel Krea­tives gemacht – nicht einfach so schnelle Bilder. Ich habe gebas­telt, alles in einem Programm bear­beitet, Collagen erstellt, und dann hab ich das so in die Welt gesendet. Nie aber habe ich gespürt, dass eine Aner­ken­nung zurück­kommt. Das hat mich sehr ausge­laugt. Ich war drei Jahre aktiv. Irgend­wann habe ich gemerkt, ich inves­tiere täglich Stunden um Stunden, um mich zu präsen­tieren, meine Kunst zu zeigen und: Es kommt nichts zurück. Da sagte ich mir: Jetzt ist Schluss. Diese Zeit inves­tiere ich lieber in eine Arbeit, die ich am Schreib­tisch oder mit dem Noten­text am Klavier mache. Nach zwei, drei Monaten habe ich diesen Effekt gespürt: Da kommt wirk­lich etwas zurück, und zwar einfach eine bessere Qualität auf der Bühne und im Vortrag. Ich finde, das Leben muss hier und jetzt statt­finden! Nicht irgendwo online.

Fotos: Marcus Hoehn, Ammiel Bushakevitz