Ketil Hvoslef
Jenseits vertrauter Nischen
19. Dezember 2016
Ob ein Komponist ein Originalgenie ist, wird oft genug nicht von der zeitgenössischen Rezeption erkannt, und manch einer, der zunächst als Außenseiter gilt, kommt erst posthum zu verdienten Ehren.
Bei dem großen Norweger Ketil Hvoslef scheint sich das Blatt nun doch noch zu Lebzeiten zu wenden. 1939 in Bergen als Sohn Harald Sæveruds, des überragenden norwegischen Sinfonikers der klassischen Moderne, geboren, suchte er sich früh seinen ganz eigenen Weg. In seinem Schaffen fließen heterogenste Elemente zusammen, die sich kaum klassifizieren lassen: obsessiv und zugleich spielerisch entwickelnde Arbeit aus kurzen, prägnanten Motiven, die ein verwegenes Netzwerk bilden; Rock- und Jazzmusik; eine Art weltumspannende Folklore, die niemals Zitat ist und eine natürlich bizarre Landschaft entstehen lässt, die keiner Tradition zuzuordnen ist; die Freude am Spiel und die absolute Unvorhersehbarkeit der Form, die zugleich doch stets organisch zusammenhängend wirkt. Da er weder Traditionalist noch modischer Neutöner – was auch immer das heute noch heißen mag – ist, ist seine Musik bislang weder in sinfonischen Abonnementkonzerten noch auf Neue-Musik-Festivals heimisch geworden. Er hat sich nie darum gekümmert, sondern in unbeirrbarer Unabhängigkeit stets nur die essenzielle Aussage gesucht. Obwohl man vergeblich nach der Verankerung im Herkömmlichen suchen wird, eignet seinen Werken immer etwas Musikantisches, und bei aller bewussten Reduktion des Tonmaterials hat sie immer einen improvisatorischen Zug. Dabei wird er niemals schwelgerisch und man findet kein Gramm Sentimentalität, aber auch kein System, das scheinbare Sicherheit verleihen würde. Seine Musik ist immer abenteuerlich und selbst in den schroffsten Ausbrüchen finden sich Leichtigkeit, Selbstironie und lyrischer Zauber. Und nie weiß man, was hinter der nächsten Biegung lauert!
Hvoslef ist vor allen Dingen ein phänomenaler Instrumentalkomponist, aus dessen OEuvre vor allem die Vielzahl höchst charakteristischer Solokonzerte und teils äußerst unkonventionell besetzter Kammermusik hervorstechen. So seien dem Hörer ganz besonders Werke wie das wunderbar auf das Soloinstrument zugeschneiderte transparente Kontrabasskonzert, das durchweg fesselnde Klarinettenquintett, das symphonisch-zyklisch zusammenhängende 1. Violinkonzert mit seinem tief berührenden langsamen Satz oder die Beethoven-Fantasie für Klavier solo empfohlen – in letzterer findet fernab erkünstelter Collage eine Vereinigung der Tonsprachen statt, die in ihrer natürlichen Folgerichtigkeit atemberaubend ist. Nachdem es auf dem Tonträgermarkt lange still um ihn war, scheint man in seiner Heimat nun endlich zu begreifen, welch unerschöpflicher Reichtum hier vorliegt.
Das Label Lawo hat mit einer von dem Geiger-Komponisten Ricardo Odriozola initiierten Gesamtaufnahme seiner Kammermusik begonnen, und jedes Werk konfrontiert uns zugleich mit seiner unverkennbaren Tonsprache und jeweils vollkommen individueller Formung. Zwei Folgen liegen bislang vor, und sein Schaffen bildet eine singuläre Brücke von der Weiterentwicklung der Errungenschaften der klassischen Moderne zur avancierten Rockmusik, wie sie so unnachahmlich King Crimson geprägt haben. Man höre nur etwa Duo Due für Violine und Cello oder das Quartetto percussivo, das den Begriff der Minimal Music rigoros aus allen vertrauten Nischen herausführt.
Nicht weniger zu empfehlen ist eine bei Simax erschienene CD „Seonveh“ mit seiner Musik für und mit Gitarre(n), die auch das herrlich offene Doppelkonzert für Flöte, Gitarre und Streicher enthält. Mehr Freude kann zeitgenössische Musik nicht bereiten, ohne je auf billige Klischees zurückzugreifen. Hvoslef sagt selbst über sein Schaffen: „Ich versuche, meiner Umgebung gegenüber immer so gegenwärtig und intuitiv empfänglich zu sein, dass ich Musik schreiben kann, deren Ausdruck so direkt wie derjenige der Volksmusik ist. Das hat nichts zu tun mit romantischen Konzepten wie Naturmystizismus oder dergleichen. Es ist einfach so, dass ich gegen die intuitive Faulheit kämpfe, die ein Kennzeichen der modernen Zivilisation zu sein scheint.“