Ketil Hvoslef

Jenseits vertrauter Nischen

von Christoph Schlüren

19. Dezember 2016

Ob ein Komponist ein Originalgenie ist, wird oft genug nicht von der zeitgenössischen Rezeption erkannt, und manch einer, der zunächst als Außenseiter gilt, kommt erst posthum zu verdienten Ehren.

Bei dem großen Norweger Ketil Hvoslef scheint sich das Blatt nun doch noch zu Lebzeiten zu wenden. 1939 in als Sohn Harald Sæveruds, des über­ra­genden norwe­gi­schen Sinfo­ni­kers der klas­si­schen Moderne, geboren, suchte er sich früh seinen ganz eigenen Weg. In seinem Schaffen fließen hete­ro­genste Elemente zusammen, die sich kaum klas­si­fi­zieren lassen: obsessiv und zugleich spie­le­risch entwi­ckelnde Arbeit aus kurzen, prägnanten Motiven, die ein verwe­genes Netz­werk bilden; Rock- und Jazz­musik; eine Art welt­um­span­nende Folk­lore, die niemals Zitat ist und eine natür­lich bizarre Land­schaft entstehen lässt, die keiner Tradi­tion zuzu­ordnen ist; die Freude am Spiel und die abso­lute Unvor­her­seh­bar­keit der Form, die zugleich doch stets orga­nisch zusam­men­hän­gend wirkt. Da er weder Tradi­tio­na­list noch modi­scher Neutöner – was auch immer das heute noch heißen mag – ist, ist seine Musik bislang weder in sinfo­ni­schen Abon­ne­ment­kon­zerten noch auf Neue-Musik-Festi­vals heimisch geworden. Er hat sich nie darum geküm­mert, sondern in unbe­irr­barer Unab­hän­gig­keit stets nur die essen­zi­elle Aussage gesucht. Obwohl man vergeb­lich nach der Veran­ke­rung im Herkömm­li­chen suchen wird, eignet seinen Werken immer etwas Musi­kan­ti­sches, und bei aller bewussten Reduk­tion des Tonma­te­rials hat sie immer einen impro­vi­sa­to­ri­schen Zug. Dabei wird er niemals schwel­ge­risch und man findet kein Gramm Senti­men­ta­lität, aber auch kein System, das schein­bare Sicher­heit verleihen würde. Seine Musik ist immer aben­teu­er­lich und selbst in den schroffsten Ausbrü­chen finden sich Leich­tig­keit, Selbst­ironie und lyri­scher Zauber. Und nie weiß man, was hinter der nächsten Biegung lauert!

Hvoslef ist vor allen Dingen ein phäno­me­naler Instru­men­tal­kom­po­nist, aus dessen OEuvre vor allem die Viel­zahl höchst charak­te­ris­ti­scher Solo­kon­zerte und teils äußerst unkon­ven­tio­nell besetzter Kammer­musik hervor­ste­chen. So seien dem Hörer ganz beson­ders Werke wie das wunderbar auf das Solo­in­stru­ment zuge­schnei­derte trans­pa­rente Kontra­bass­kon­zert, das durchweg fesselnde Klari­net­ten­quin­tett, das sympho­nisch-zyklisch zusam­men­hän­gende 1. Violin­kon­zert mit seinem tief berüh­renden lang­samen Satz oder die Beet­hoven-Fantasie für Klavier solo empfohlen – in letz­terer findet fernab erküns­telter Collage eine Verei­ni­gung der Tonspra­chen statt, die in ihrer natür­li­chen Folge­rich­tig­keit atem­be­rau­bend ist. Nachdem es auf dem Tonträ­ger­markt lange still um ihn war, scheint man in seiner Heimat nun endlich zu begreifen, welch uner­schöpf­li­cher Reichtum hier vorliegt.

Das Label Lawo hat mit einer von dem Geiger-Kompo­nisten Ricardo Odrio­zola initi­ierten Gesamt­auf­nahme seiner Kammer­musik begonnen, und jedes Werk konfron­tiert uns zugleich mit seiner unver­kenn­baren Tonsprache und jeweils voll­kommen indi­vi­du­eller Formung. Zwei Folgen liegen bislang vor, und sein Schaffen bildet eine singu­läre Brücke von der Weiter­ent­wick­lung der Errun­gen­schaften der klas­si­schen Moderne zur avan­cierten Rock­musik, wie sie so unnach­ahm­lich King Crimson geprägt haben. Man höre nur etwa Duo Due für Violine und Cello oder das Quar­tetto percus­sivo, das den Begriff der Minimal Music rigoros aus allen vertrauten Nischen heraus­führt.

Nicht weniger zu empfehlen ist eine bei Simax erschie­nene CD „Seonveh“ mit seiner Musik für und mit Gitarre(n), die auch das herr­lich offene Doppel­kon­zert für Flöte, Gitarre und Strei­cher enthält. Mehr Freude kann zeit­ge­nös­si­sche Musik nicht bereiten, ohne je auf billige Klischees zurück­zu­greifen. Hvoslef sagt selbst über sein Schaffen: „Ich versuche, meiner Umge­bung gegen­über immer so gegen­wärtig und intuitiv empfäng­lich zu sein, dass ich Musik schreiben kann, deren Ausdruck so direkt wie derje­nige der Volks­musik ist. Das hat nichts zu tun mit roman­ti­schen Konzepten wie Natur­mys­ti­zismus oder derglei­chen. Es ist einfach so, dass ich gegen die intui­tive Faul­heit kämpfe, die ein Kenn­zei­chen der modernen Zivi­li­sa­tion zu sein scheint.“

Fotos: Simax Classics