KlassikWoche 02/2021
Grütters fragt: Wem soll das Bayreuther Festspielhaus gehören?
von Axel Brüggemann
11. Januar 2021
Monika Grütters’ Umbaupläne der Bayreuther Festspiele, Nachfolge von Helga Rabl-Stadler bei den Salzburger Festspielen, neuer Chefdirigent des BRSO
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
ich dachte, es sei Winterurlaub – Pustekuchen! Aufregend war’s. Und ich freue mich auf diesen Newsletter, der sicherlich für Diskussion sorgen wird: Monika Grütters erklärt mir darin, wie sie die Struktur der Bayreuther Festspiele umkrempeln will, und aus ganz anderer Richtung wird uns noch der Name des neuen Geschäftsführers der Festspiele zugerufen. All das braucht ein wenig Platz – aber: Am Ende wird es dann wieder luftiger! Also, los!
GRÜTTERS WILL RADIKALE BAYREUTH-REFORM
Monika Grütters stellt die Stiftung der Bayreuther Festspiele, an der auch die Familie Wagner und die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth beteiligt sind, als Eigentümerin des Festspielhauses in Frage. Wenn Bund und Freistaat Bayern als Mehrheitseigner der Festspiel GmbH die Sanierung des Hauses übernehmen, müsse man – im Sinne der Steuerzahler – auch über die Eigentumsverhältnisse der Immobilie nachdenken. Das erklärte sie mir in einem Gespräch. Aber fangen wir vorne an:
Vor dem Jahreswechsel habe ich an dieser Stelle mit einem Wutanfall aufgehört und Kulturstaatsministerin Monika Grütters vorgeworfen, vom eigenen politischen Versagen in Sachen Corona-Hilfe für Künstler abzulenken. Sie hatte angekündigt, die Bayreuther Festspiele auf den Prüfstand stellen zu wollen. Bayreuth stünde in einer „Bringschuld“ hieß es, und die Festspiele müssten auf ihre internationale Relevanz überprüft werden. Daraufhin hatte ich bei Grütters nachgefragt, was sie konkret meinte, wurde aber vertröstet, da die Ministerin im Urlaub sei. Am 6. Januar kam es nun zu einem fast anderthalbstündigen „Hintergrundgespräch“, an dessen Ende wir uns darauf geeinigt haben, einige Details auch öffentlich klarzustellen, um Grütters Stoßrichtung zu verdeutlichen. Hier fasse ich die Dinge für den Newsletter komprimiert zusammen, die Details, genauen Zitate und die Einordnung der Lage (ein mit Monika Grütters abgestimmter Text) ist hier nachzulesen.
Um die bevorstehende Debatte, die Grütters führen will, zu verstehen, muss man wissen, dass die Stiftung, an der neben Bund, Land und der Stadt Bayreuth auch die Familie Wagner und die Gesellschaft der Freunde beteiligt sind, Eigentümerin des Festspielhauses ist. Die GmbH, in der Bund und Land die Mehrheit haben, tritt als Mieterin des Hauses und als Betreiberin der Festspiele auf und stemmt einen Großteil der nötigen Finanzen (zu den Ungereimtheiten zwischen den Institutionen siehe die Langfassung). Fakt ist: Da Bund und Land sich als Mehrheits-Teilhaber der GmbH jetzt prinzipiell bereit erklärt haben, die 178 Mio. teure Renovierung des Festspielhauses zu übernehmen, will Monika Grütters noch schnell die Gretchenfrage stellen, ob Bund und Land trotz erheblicher finanzieller Sanierungsleistungen durch Steuergelder zulassen können und wollen, dass die Stiftung weiterhin alleinige Eigentümerin des Festspielhauses bleibt und das Haus so als „Faustpfand“ der eigenen Mitbestimmung nutzen kann. Mit anderen Worten wird auch die Frage gestellt, wie groß der Einfluss der Familie Wagner (des Wolfgang-Wagner- und des Wieland-Wagner-Stammes) und der Gesellschaft der Freunde auf die Festspiele in Zukunft sein wird.
Die Stiftungssatzung stammt aus dem Jahre 1973 und wurde seither nur um Zusatzvereinbarungen (etwa, was die Bestimmung von Intendanz und Geschäftsführung betrifft) ergänzt, in vielen Passagen passt der Stiftungsauftrag nicht mehr mit der Rolle der GmbH zusammen, die erst zwischen 1985 und 1987 (damals noch mit Wolfgang Wagner als alleinigem Teilhaber) gegründet wurde. „Es geht im ersten Schritt darum, dass wir uns klar werden, dass wir den Steuerzahlern gegenüber verpflichtet sind, gerade, wenn sich der Staat mit hohen Millionensummen an den Festspielen beteiligt“, argumentiert die Staatsministerin für Kultur. „Deshalb ist es nötig, einige veraltete Strukturen in Bayreuth mutig und kreativ neu zu denken.“ Gleichzeitig betont Grütters: „Es ist mir wichtig, dass wir die Situation gemeinsam und in konstruktivem Dialog mit Katharina Wagner überprüfen, denn ich schätze ihre Arbeit sehr und arbeite gut mit ihr zusammen. Es geht mir nicht darum, die traditionelle Bedeutung der Familie Wagner für die Bayreuther Festspiele in Frage zu stellen.“
DER KOMMENTAR: WAS DAS FÜR BAYREUTH BEDEUTET
Tatsächlich macht Monika Grütters trotz aller Kritik einen durchaus nachvollziehbaren Punkt: Die Stiftungssatzung von 1973 ist erneuerungsbedürftig. Sie wurde vor der Gründung der GmbH verfasst, ja, vor dem Mauerfall und vor den grundlegenden Veränderungen der Festspiel-Strukturen. Sie ist auf vielen Ebenen tönern, darauf haben Bayreuth-Experten immer wieder hingewiesen. Allerdings verwundert, dass auf Betreiben des Staatsministeriums für Kultur bereits 2014 (also vor SIEBEN Jahren!) eine „Arbeitsgruppe Stiftungssatzung“ einberufen wurde – die dann folgenlos blieb. Heute sagt Grütters, dass es sich um ein Vermächtnis ihres Vorgängers, Bernd Neumann, gehandelt habe. Die Frage ist, ob ihr neuer Vorstoß erfolgreicher sein wird.
Schließlich haben Land und Bund sich bereits öffentlich zur Zahlung der Festspielhaus-Sanierung bekannt, und idealerweise würde das Land sie übernehmen. Zudem ist die Zeit für eine Neustrukturierung knapp: Die Bundestagswahlen sind am 26. September, und es ist unsicher, ob Monika Grütters sie politisch überleben wird. Hätte sie die Anstrengungen vor sieben Jahren weitergetrieben, wären ihre Erfolgschancen sicherlich größer. Der Stiftung (quasi ein Gefäß der Familie Wagner) das Festspielhaus „wegzunehmen“, würde wahrscheinlich schon an der ersten Instanz, am Wieland-Stamm der Wagners, scheitern. Und auch wenn die Gesellschaft der Freunde derzeit eher klamm dasteht und ihren Einfluss qua fehlender Mittel nicht unterstreichen kann, wird sie das Stiftungsprivileg nicht kampflos aufgeben. Abgesehen vom Zeitpunkt, an dem viele Künstler sich eher nach Corona-Lösungen für die Kultur sehnen, scheint es nicht ausgemacht, dass Grütters sich mit ihrer Forderung nach Neuordnung der Festspiele durchsetzt. Dabei hätte sie mit Katharina Wagner, die ja von Grütters nie in Frage gestellt wurde, in einigen Bereichen sicherlich sogar eine Verbündete, jedenfalls was die Erneuerung und Verbesserung der finanziellen und künstlerischen Situation der Festspiele betrifft – das hatte Wagner ja bereits in einem ersten Statement bekannt gegeben. Der Vorstoß von Grütters bringt das Gebälk der alten Festspiele gehörig ins Wanken – einstürzen wird es deshalb sicher nicht.
NOCH EIN SATZ ZU BAYREUTH – DER NEUE GESCHÄFTSFÜHRER
Okay, so langsam wird es zu viel Bayreuth an dieser Stelle, deshalb jetzt ganz unverschnörkelt die exklusive Information aus einer ganz anderen Richtung, dass der Verwaltungsdirektor der Oper Leipzig, Ulrich Jagels, Nachfolger von Holger von Berg als Geschäftsführer der Bayreuther Festspiele werden soll.
AND NOW TO SOMETHING COMPLETELY DIFFERENT: SALZBURG!
Kollege Norman Lebrecht hat es sich mal wieder leicht gemacht und ein bisschen im österreichischen Zeitungsboulevard abgekupfert: Dort wird spekuliert, dass die Salzburger Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler von Brigitta Pallauf oder Elisabeth Resmann (die – Oh, Gott!!!! – über Umwege mit der amtierenden Präsidentin verwandt sind) beerbt werden könnte. Was Lebrecht überliest, ist das Ende des „Krone“-Textes, in dem unsere liebe Freundin Sarah Wedl-Wilson (SWW) sinngemäß erklärt: „Ach, soll die Frau Rabl-Stadler das doch noch ein bisschen machen, die ist eh so großartig!“ SO geht Ambition in Österreich, auch wenn SWW und der gerade verlängerte Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser offensichtlich ein bisschen miteinander fremdeln.
MUSIKVERLAGE IN NOT
Max Nyffeler hat für die FAZ in der Szene der Musikverlage recherchiert und berichtet Fatales. Viele Verlage seien mit 70 Prozent Einnahmeverlust am Limit angekommen, da Orchester kaum noch auftreten – und deshalb auch keine Noten mehr bestellen. „Zur längerfristigen Perspektive sind in der Verlagsbranche pessimistische Stimmen zu hören“, schreibt Nyffeler, „der Glaube an ein Zurück in die Zeit vor Corona schmilzt dahin, und man beginnt sich mit dem sehr unangenehmen Gedanken vertraut zu machen, dass angesichts der Finanzlöcher in den staatlichen Haushalten die Subventionen für Orchester und Theater künftig geringer ausfallen könnten. ‚Dann entbrennen wieder Verteilungskämpfe zwischen Schwimmbädern und Opernhäusern, und dabei könnte die Musik der Verlierer sein‘, befürchtet Christiane Albiez, Mitglied der Geschäftsleitung des Mainzer Schott-Verlags.“
MET IN DER KRISE UND NÉZET-SÉGUIN ALS SPENDER
Zum vierten Mal, beschwert sich Adam Krauthamer, Präsident der New Yorker Sektion der amerikanischen Musikergewerkschaft, würde die MET in New York eine Spendensammlung organisieren, ohne dabei auf das eigene, auf Grund von Corona gefeuerte Orchester, zurückzugreifen. Stattdessen würden billigere freie Musiker engagiert, um bei der offiziellen „Silvester-Gala der MET“ aufzuspielen. Zehn Monate lang wurde das Opernorchester nicht mehr bezahlt. Im Netz kursieren Karikaturen, auf denen Intendant Peter Gelb auf dem „Fell“ der Musiker Kaviar isst. Auch Chefdirigent Yannick Nézet-Séguin, der bislang lieber hübsche Bilder von seiner Auszeit gepostet hat, scheint endlich aufzuwachen. Mit seinem Lebensgefährten Pierre Tourville hat er beschlossen, Orchester und Chor der MET finanziell zu unterstützen. Dazu gibt es aktuell eine Spendenaktion, bei der die beiden das gespendete Geld bis zu einer Höhe von 25 000 Euro verdoppeln.
PERSONALIEN DER WOCHE
Kulturmanager Folkert Uhde sorgte mit einem klugen Interview im Tagesspiegel für viel Zustimmung. Darin wirbt er für einen „New Deal“ der Klassik und fasst viele Argumente zusammen, die auch an dieser Stelle immer wieder vereinzelt aufgetaucht sind. Der Beginn seiner Argumentation: „Die gefühlte eigene Bedeutung (der Kulturschaffenden) entspricht jedenfalls nicht der Wahrnehmung der anderen. Die Erkenntnis mag schmerzen, aber sie ist der erste Schritt. Ich sitze selber im Glashaus, aber es gibt leider viele Kolleg*innen und Musiker*innen, die sich für unverzichtbar halten.“ Lesenswert! +++ Nun schreibt auch Manuel Brug, was wir schon seit einigen Wochen vermuten: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat sich für Simon Rattle als Nachfolger von Mariss Jansons entschieden und will die Wahl offensichtlich am Dienstag verkünden. Anders als Brug bin ich nicht sicher, ob das Orchester mit dieser Wahl nicht gerade in unsicheren Zeiten auf ein etwas veraltetes Klassik-Promi-Konzept setzt. Ich hoffe nicht. +++ Unser alter Kumpel Kai-Uwe (jahaaaa!!!) Laufenberg wollte den Corona-Politikern was husten, hat an seinem Haus in Wiesbaden munter den „Ring“ proben lassen – mit allem Pipapo. Ja, richtig: Chor, Statisten, Pauken und Trompeten! Schnelltests sollten Sicherheit suggerieren, aber hausintern gab es Bedenken. Kleiner denken will Laufenberg nicht, er rennt lieber mit dem Kopf durch die Wand. Und die wurde nun erst einmal zugemauert. Kunstministerin Angela Dorn hat beschlossen: die Theater in Hessen bleiben bis Ostern geschlossen, selbst der Probebetrieb wurde untersagt. Zeit für Laufenberg, weiter mit Holger von Berg zu verhandeln, den er – so hört man – gern als Geschäftsführer holen will. +++ Der Komponist Paul-Heinz Dittrich ist gestorben. Dittrich studierte Komposition von 1958 bis 1960 als Meisterschüler bei Rudolf Wagner-Régeny. Seit 1983 war er Mitglied der Akademie der Künste der DDR und bildete bis 1991 Meisterschüler aus. Dittrich galt als wichtiger Vertreter der avancierten Musik in der DDR, schreibt die FAZ. +++ Der ehemalige Solo-Cellist beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Reinhold Johannes Buhl, ist im Alter von 87 Jahren gestorben.
UND SONST, HERR BRÜGGEMANN?
Ich finde, das war schon ziemlich viel für den ersten Newsletter 2021. Darüber, dass das ZDF Christian Thielemanns Staatskapelle abgesagt und zu Silvester ins Semper-Opern-Archiv gegriffen hat, darüber dass die ARD den Dirigenten Teodor Currentzis ausgerechnet der ältesten Goldlocke des deutschen Fernsehens, Thomas Gottschalk, erklären ließ, dass man in der Klassik endlich Locken abschneiden müsse… all das ist im wahrsten Sinne verjährt. Nicht so das Neujahrskonzert in Wien, bei dem Riccardo Muti die Politiker ermahnte, Kultur ernst zu nehmen, da sie die Welt besser machen würde. Warum eigentlich nur die Politiker? Die Rolle der Kultur ist doch bei einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr verankert. Ist es nicht DAS, was wir gerade sehen. Sind wir in einer Demokratie nicht alle Politiker? Dass die Wiener Philharmoniker dann ausgerechnet Daniel Barenboim als Dirigenten für 2022 angekündigt haben – tja, da hätte ruhig mal ein neuer (im wahrsten Sinne) Zopf geflochten werden können! So bleibt all das ein Sinnbild dafür, dass man die Welt durch einen zu oft schlecht gelaunten alten Herren besser machen will. Aber daran glauben 2021 zum Glück nicht einmal mehr die USA.
Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
brueggemann@crescendo.de
P.S.: Von nächstem Freitag an wird die CRESCENDO-Redaktion Sie an dieser Stelle wöchentlich mit Streaming-Tipps versorgen – mit vielen Tipps für ein musikalisches Wochenende. Brüggemanns KlassikWoche gibt es, wie gewohnt weiter: jeden Montag!