KlassikWoche 02/2022

Frauen gibt es nicht auf Bestel­lung

von Axel Brüggemann

10. Januar 2022

Die Zukunft an der Komischen Oper, das Wiener Neujahrskonzert und der Intendant Christoph Lieben-Seutter über eine nicht ausverkaufte Elbphilharmonie

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

zwei Wochen Auszeit, zwei Wochen Abstand vom Alltag – das schärft den Blick. Und ein neues Jahr bedeutet immer auch: neue Pläne. Heute schauen wir zunächst noch mal ein wenig zurück auf den Jahres­wechsel, schauen aber auch in eine leider noch immer etwas unge­wisse Zukunft. Wir befragen die Klassik nach Männern und Frauen und erör­tern den Sinn und Unsinn von Streams. Zunächst geht es aber nach

ERBARMEN FÜR DIE KOMI­SCHE OPER

Blick auf die Bühne der Komischen Oper zur Aufführung von Leonard Bernsteins "Candide"

An dieser Stelle haben wir oft darüber geschrieben, dass viele Diri­genten, vor allen Dingen aber Diri­gen­tinnen abge­lehnt haben, als Chefs an die Komi­sche Oper zu gehen. Das weit­ge­hend von selbst vorge­schla­gene Nach­folger-Duo Susanne Moser und Philip Bröking hat seinen Kandi­da­tInnen einen lang­fristig fixierten Spiel­plan vorge­legt, in dem die Insze­nie­rungen des desi­gnierten Chef­re­gis­seurs Kosky bereits einge­preist waren. Viel Spiel­raum zur eigenen Verwirk­li­chung gab es also nicht, und wer etwas auf sich hielt, hat der Oper einen Korb gegeben. Doch nun hat sich doch jemand erbarmt: Der 42-jährige Ameri­kaner hat „ja“ gesagt. Er wurde einst als Wunder­kind gehan­delt, als Chef in und beim ist es aller­dings recht ruhig um ihn geworden. Am liebsten hätte das neue Führungs-Duo wohl eine Frau als Chefin gehabt (die wurden jeden­falls als erstes ange­fragt), und immerhin wurde eine Frau nun als Erste Kapell­meis­terin ernannt: Erina Yashima. Bleibt zu hoffen, dass die Komi­sche Oper sich in ihrer Ausweich­spiel­stätte im Schil­ler­theater in Zukunft wieder mehr als Haus der Musik posi­tio­niert – was einst mit ja ganz gut geklappt hat.

NEUJAHR I: LANG­WEI­LIGE ANTI­PODEN IN DRESDEN

Okay, wir kommen um einen kurzen Rück­blick auf die Silvester- und Neujahrs­kon­zerte nicht herum. Nachdem Manuel Brug in der Welt bereits die physi­schen Erschei­nungen von Diri­genten und Solis­tinnen abge­han­delt hat, hier noch ein Blick auf die symbo­li­sche Bedeu­tung: Das war noch einmal bei der Staats­ka­pelle in zu Gast, und wenn wir uns fragen, was typisch deutsch ist, dann viel­leicht dieses Konzert: Histo­risch beleh­rende Einspiel­filme über die 20er- und 30er-Jahre, dann eine Revue mit zwei Stimmen, die voll­kommen unge­eignet für den Schlager-Swing waren, einem gern konser­vativ auftre­tenden Diri­genten () und dem Hofpia­nisten der neuen Bundes­re­gie­rung, dem Grünen . Apropos, haben Sie das FAZ-Inter­view mit unserer neuen Kultur­staats­mi­nis­terin Claudia Roth gelesen, die ihren „Lieb­lings­kla­vier­spieler“ gleich zum Kompo­nisten erhoben hat? Das las sich dann so: „Die Haus­kon­zerte meines Freunds Igor Levit haben mir durch die schwie­rige Zeit der Pandemie geholfen. Er hat so viele Menschen mit seiner Musik beschenkt und gezeigt, wie viel­fältig und kreativ wir als Gesell­schaft fürein­ander einstehen können. Beson­ders liebe ich seine Beet­hoven-Sonaten oder sein Werk ‚The people united will never be defeated‘“ – letz­teres ist frei­lich nicht von Levit, sondern von . Aber, hey – egal. Das Silves­ter­kon­zert der musi­ka­li­schen Anti­poden hätte man durchaus lustig und als Zeichen des Gemein­sinns in Szene setzen können – statt­dessen gab es nur eine voll­kommen unin­spi­rierte „Rhap­sodie in Blue“, bei der sich Diri­gent und Klavier­spieler relativ wenig zu sagen hatten. Das Schema war so alt wie lang­weilig: Nimm die vermeint­li­chen medialen Klassik-Stars, stelle sie neben­ein­ander und leuchte alles in Orange aus. (Das obige Video ist übri­gens die Barock-Version von „Ingo ohne Flamingo“-Schlager „Saufen“, inter­pre­tiert von Tenor Magnus Diet­rich mit Anna Gebhardt – kompo­niert von Simon Mack). 

ECHTE MÄNNER IN WIEN

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Ja, ja, ja – ist ja gut: Jetzt will ein Groß­teil der Presse endlich mal eine Frau beim Wiener Neujahrs­kon­zert erleben. Und, klaro, ich bin vorein­ge­nommen, da ich gemeinsam mit dem nächsten Diri­genten, mit , ein Buch geschrieben habe. Aber, Leute, zur Wahr­heit gehört eben auch: Die vergeben das lukra­tive Dirigat tradi­tio­nell an jene Diri­genten, die ihnen beson­ders nahe stehen, mit denen sie oft und gern zusam­men­ge­ar­beitet haben. Und hier liegt, wenn man es ernst nimmt, die Crux: Es gibt keine Frau, die in den letzten Jahren auch nur annä­hernd regel­mäßig Gast in einem Abo-Konzert der Wiener Phil­har­mo­niker gewesen ist. Da ist die Stell­schraube: Erst einmal sollte das Orchester Diri­gen­tinnen als alltäg­liche Realität akzep­tieren und einladen. Nur dann wird auch irgend­wann mal eine Frau am 1. Januar am Pult des Musik­ver­eins glaub­haft sein. Jetzt , oder eine andere Frau für einen Tag aus dem Hut zu zaubern, würde vom eigent­li­chen Problem nur ablenken. Lyniv selber sagte dem „Corriere della Sera“ gerade, dass sie gegen eine Frau­en­quote sei und auf „gesunden Wett­be­werb“ setze.

hat das Konzert mit Minimal-Aufwand wegdi­ri­giert, einige Male einfach ins Nichts geschlagen, aber die Wiener Phil­har­mo­niker ahnten, was er meinte und haben geswingt. 1,2 Millionen Zuschaue­rInnen sahen das Event. Nur Maestro János Ferencsik (im Video oben) hat noch weniger Arbeits­auf­wand beim Wiener Walzer an den Tag gelegt. Deut­lich wurde dieses Jahr vor allen Dingen, dass es zur Gret­chen­frage wird, ob die Wiener Phil­har­mo­niker lang­fristig eine Nost­algie-Combo für russi­sche und chine­si­sche Inves­toren und Fern­seh­zu­schaue­rInnen sein wollen oder der Spiegel des tradi­ti­ons­be­wussten, modernen Europas. Ach so, wie man hört, wird am 1.1.2024 auch noch keine Frau am Pult stehen, sondern – das wird gemun­kelt – einmal mehr: Chris­tian Thie­le­mann.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE I

Der ukrai­ni­sche Regis­seur Yevhen Lavren­chuk wird in im Gefängnis fest­ge­halten, da seine Abschie­bung nach Russ­land geprüft wird. Dort wurde er zu zehn Jahren Gefängnis verur­teilt, wegen angeb­li­cher Unre­gel­mä­ßig­keiten in der Zeit, als er das polni­sche Theater in Moskau leitete. Tatsäch­lich ist Lavren­chuk ener­gi­scher Kritiker der Wladimir-Putin-Politik und gegen seine Verur­tei­lung und seine Abschie­bung formiert sich breiter Protest. +++ Verloren haben die Russen in der : Sie waren inter­es­siert an der Villa von in Weggis, aber nun hat der Kanton die Immo­bilie gekauft und will sie für alle öffnen. Gut so.

Selbst mit einer singenden Putz­frau würde man die füllen, sagte Inten­dant Chris­toph Lieben-Seutter einst (was viel über seine Ansprüche verrät). Inzwi­schen hat es auch sein Haus schwer, aber Sorgen bereitet ihm das nicht, erklärte er Markus Thiel vom Münchner Merkur: „Ja, bis zu Corona war es immer voll, wobei anfangs die Nach­frage so irre war, dass billigste Tickets auf dem Schwarz­markt für tausend Euro ange­boten wurden. Das hat sich sukzes­sive beru­higt, auch wenn immer noch so gut wie jedes Konzert ausver­kauft war. Erst seitdem Omikron unter­wegs ist, passiert es, dass ein Konzert mal nicht voll ist. Ein neues Gefühl. Nach­frage ist für mich aber nicht das entschei­dende Krite­rium. Was sich gezeigt hat: Wir haben uns ein Stamm­pu­blikum aufge­baut. Kaum durften wir wieder spielen, kam das Publikum zurück – und zwar ohne Abos und ohne Touristen in der Stadt.Während­dessen fährt die BILD-Zeitung einen recht kultur­feind­li­chen Kurs und findet es unge­recht, dass Fußball­sta­dien neuer­dings stren­gere Einlass-Gesetze haben als die Elbphil­har­monie. (Falls Sie Lange­weile haben: Hier ein etwas älteres, sehr ausführ­li­ches Gespräch mit Lieben-Seutter).

WAS DENN JETZT: DIE STREA­MING-DEBATTE

Durchaus lesens­wert (und vor allen Dingen: diskus­si­ons­würdig) ist die aktu­elle Recherche von Roland H. Dippel, der Orchester für die Neue Musik­zei­tung nach ihren Erfah­rungen mit Streams während der Corona-Lock­downs befragt hat. Eines seiner Ergeb­nisse: Konzert­streams waren ein Sonder­fall während des Lock­downs, der keine Konkur­renz zum Live-Erlebnis werden wird. „Ein Hinter­ge­danke bei der Konzen­tra­tion dieser Befra­gung auf klas­si­sche Orchester war“, so heißt es im Artikel, „dass diese für die Strea­ming-Ange­bote während der Lock­downs neue künst­le­ri­sche Mittel zur Konzert­ge­stal­tung entwi­ckeln würden. Keines der ange­schrie­benen Orchester konnte oder wollte sich dessen rühmen.“ Ich würde dagegen argu­men­tieren und glaube durchaus, dass Streams neue, auch erfolg­reiche Formate, entwi­ckelt haben (das haben wir zum Beispiel bei den Wiener Sympho­ni­kern mit den „Wohn­zim­mer­kon­zerten“ versucht (siehe Video)) – und mehr noch: dass gute hybride Formate die Zukunft der Musik sein werden. Ich bin aber auch sicher, dass das viel­fach schlechte und unin­spi­rierte Abfilmen mittel­mä­ßiger und unin­spi­rierter Konzerte das Image der Klassik in der Öffent­lich­keit nach­haltig beschä­digt hat. Umso wich­tiger wird es sein, dass wir aus der Corona-Krise lernen, das Virtu­elle voll­kommen neu zu denken, nicht als Konkur­renz zum Konzert, sondern als eigen­stän­diges Medium. Nur so wird die digi­tale Welt zur Chance. Aber darüber debat­tieren wir ein anderes Mal ausführ­li­cher.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE II

Die israe­li­sche Schau­spie­lerin Rotem Sela trat im Werbe­spot der israe­li­schen Bank „Discount“ auf. Als Musik wurde gespielt. Inzwi­schen wurde der Werbe­spot zurück­ge­zogen, weil er die Gefühle vieler Juden verletzte. Wagner und Israel – ein Thema, das mich beson­ders durch meinen Wagner-Film inter­es­siert. Die SZ hat bei einem Mann nach­ge­fragt, der auch bei uns Prot­ago­nist war, bei Jona­than Livny, Anwalt und Sohn eines aus stam­menden Holo­caust-Über­le­benden. Er findet den Eklat „idio­tisch“. „Im Augen­blick ist Covid noch stärker als Wagner“, sagte er der SZ, „aber für die Zeit danach planen wir ein Konzert in einem Kibbuz nahe Tel Aviv.“ +++ Richtig nost­al­gisch wurde der Inten­dant der Mailänder Scala, Domi­nique Meyer, zum Jahres­wechsel auf Face­book, als er seiner Zeit als Inten­dant in nach­trau­erte: „Heute empfinde ich Sehn­sucht nach der Fleder­maus (…) ein Glas mit Aki und das wunder­schöne Neujahrs­kon­zert.“ Danach lenkte er diplo­ma­tisch ein: „Jetzt bin ich glück­lich in “…

Erin­nern Sie sich noch an ? Die Diri­gentin, die einmal bei den Berliner Phil­har­mo­ni­kern diri­gierte und an der Staats­oper in Berlin eine „Zauber­flöte“ vergeigte – auch, weil ihr die „Insta“-Fotos zuweilen wich­tiger schienen als die Arbeit am Klang? Einige Musiker machten sich darüber lustig, dass sie mit einem „Insta-Assis­tenten“ zur Probe kam. Nun gab sie der Neuen Zürcher Zeitung ein Inter­view, in dem sie zum einen erzählt, dass die Diri­genten ihrer Kind­heit norma­ler­weise Deut­sche waren, „sehr alt“ und „mit weißen Haaren“ (echt?) und sie selber sich nicht als Diri­gentin, sondern „als Künst­lerin“ sehe (was soll das bedeuten?). Dieses viel­leicht noch mal zur Debatte der Frauen beim Neujahrs­kon­zert: Es gehört viel Atem zu einer Karriere, und – bei Frauen wie bei Männern – die Größe, das Können über die Eitel­keit zu stellen. +++ Wir hatten an dieser Stelle immer wieder berichtet, dass ORF-Chef Alex­ander Wrabetz Inter­esse am Präsi­den­tenamt der hatte, inzwi­schen wurde dieser Job anders vergeben, aber für den 61-jährigen Medi­en­mann blieb immerhin noch der Job als Aufsichtsrat bei den Wiener Sympho­ni­kern.

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn! Sicher­lich nicht in der weiter schwe­lenden Corona-Situa­tion, der „Stan­dard“ hat gerade zusam­men­ge­fasst, wie Theater trotz der neuen Vari­ante und vieler erkrankter Mitar­bei­te­rInnen versu­chen, dass sich der Lappen dennoch hebt. Und der „Münchner Merkur“ berichtet, dass die Baye­ri­sche Klassik-Szene ihrer Wut auf Markus Söder freien Lauf lässt: „‚Wann Söder zuletzt wohl im Theater war?«, twit­terte zum Beispiel Sanne Kurz, Kultur­spre­cherin der Land­tags-Grünen. ‚Ob er jemals im Theater war? Ob das Virus in baye­ri­schen Thea­tern (2G plus, Maske) gefähr­li­cher ist als in baye­ri­schen Wirts­häu­sern (2G, keine Maske), wo das gute Bier alles desin­fi­ziert? Ob der Verfas­sungs­rang Kultur nur Wirts­haus­kultur meint?‘“. Wie auch immer: Mit Omikron verschärfen sich die Sicher­heits­vor­keh­rungen, Theater und Konzert­häuser merken zuneh­mend, dass ihnen das Publikum fehlt, nicht nur auf Grund der begrenzten Auslas­tungs­grenzen. Selbst große Häuser und Orchester sind betroffen. Überall, wo Musik gemacht wird, im Deut­schen Orches­ter­ver­band, in der Konfe­renz der Inten­dan­tInnen und in vielen anderen werden derzeit Bestands­auf­nahmen gemacht und Perspek­tiven erar­beitet. Dabei scheint eine Erkenntnis überall zu gelten: Nur, wenn jeder Musiker und jede Musi­kerin weiß, warum sie an einem Abend ausge­rechnet mit dem jewei­ligen Programm antritt, wird es gelingen, das Publikum von diesem Programm zu begeis­tern. Das Mittelmaß und die unin­spi­rierte Routine haben keine Perspek­tive mehr, die Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass Menschen kommen, nur weil Musik gemacht wird, ist vorbei. Inter­es­sant ist, wie unter­schied­lich der Publi­kums­schwund ist, dass er in lokalen und regio­nalen Häusern mit enger Publi­kums­bin­dung oft geringer ausfällt als bei den großen Opern­tan­kern. Ich persön­lich spüre anhand vieler Gespräche, dass gerade ein aktives Neudenken einsetzt, dass voll­kommen neue drama­tur­gi­sche Konzepte geschmiedet und Wege gefunden werden, das Publikum persön­li­cher anzu­spre­chen, offener und freund­li­cher. Und ich finde, das ist eine durchaus posi­tive Nach­richt. 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Und hier noch die Play­list zum News­letter mit Gaffigan, Baren­boim und Levit