KlassikWoche 08/2021
Von System-Spritzen und Systemsprengern
von Axel Brüggemann
22. Februar 2021
Die Eskapaden von Uwe Eric Laufenberg und Christian Thielemann, die fehlenden Geldmittel der Kultur, der jüngste GMD Patrick Hahn
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mal wieder mit Neuigkeiten von unseren kleinen Systemsprengern, mit Hoffnung für Konzerthäuser und einem Ausblick auf Oksana Lynifs Bayreuth-„Holländer“
EIN PLAN MIT CHANCEN?
Eigentlich soll der Drei-Stufen-Plan zur Öffnung von Kultur- und Sportveranstaltungen erst heute, Montag, um 11:00 Uhr vorgestellt werden. 20 Wissenschaftler fordern die möglichst rasche Wiederaufnahme des Spielbetriebes. Es ist bereits durchgesickert, dass Maskenpflicht, personalisierte Tickets und Schnelltests Teil des Konzeptes sein sollen. Zu den Unterstützern zählen Expertinnen und Experten etwa aus den Bereichen Infektiologie und Virologie, Raumlufttechnik, Gesundheitsökonomie sowie Sport‑, Kultur- und Rechtswissenschaften. Mitgezeichnet haben der Deutsche Fußball-Bund, der Handballbund und der Volleyball-Verband, ebenso der Bühnenverein mit zahlreichen Einzeltheatern.
Ich habe am Sonntag mit der medienpolitischen Sprecherin der CDU, Elisabeth Motschmann, gesprochen – sie unterstützt das neue Konzept ausdrücklich: „Gerade die Kultureinrichtungen haben mit ihren Hygienekonzepten immer wieder gezeigt, wie wichtig ihnen die Sicherheit der BesucherInnen ist,“ sagt Motschmann. „Museen und Theater zeigen Verantwortung, und das aktuelle, von der Wissenschaft unterstützte Konzept sollte uns beflügeln, die so schwierige Situation für Künstlerinnen und Künstler so schnell wie möglich zu beenden und Möglichkeiten zu finden, die Sehnsucht nach Kultur zu befriedigen, indem wir unseren kulturellen Einrichtungen eine Perspektive geben, unter gewissen Bedingungen wieder öffnen zu können.“ Motschmann wies außerdem darauf hin, dass zahlreiche Studien bereits gezeigt hätten, dass das Infektionsrisiko in Museen und Theatern bei entsprechenden Konzepten geringer als an vielen anderen Orten sei. Der neue Plan dürfte auf jeden Fall mehr Chancen auf politisches Handeln haben als das wochenlange Drohen mit einem juristischen Eilantrag, wie es u.a. der Sänger Christian Gerhaher mit seiner Initiative aufstehenfuerkultur.de letzte Woche an dieser Stelle und nun erneut gegenüber der dpa getan hat.
NEUES VON UNSEREN SYSTEMSPRENGERN IN WIESBADEN…
Die Situation in Wiesbaden spitzt sich zu: Nachdem der Konflikt zwischen Intendant Kai-Uwe Laufenberg (jaha!), Orchester und Politik bereits letzte Woche eskalierte, hat Laufenberg nach seinen „Solo-Diskursen“ nun mit einer moralischen Brecht-Verschlimmbesserung des Gedichtes „An die Nachgeborenen“ auf der Seite seines Hauses nachgelegt. Die Feinde werden deshalb nicht weniger. Jetzt schaltete sich auch der Chefredakteur der Lokalzeitung, Lars Hennemann, in den Disput ein: „Über den künstlerischen Wert dieser unverlangten Bonusleistung aus dem Intendantenbüro möge die Nachwelt urteilen“, schreibt Heinemann, „wir beschränken uns auf die Frage, ob es eine Nummer kleiner geht.“
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Zukunftsmusik im Onlineraum. Acht hochkarätige Konzerte.
Staud – Composer in Residence.
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Explizit stößt dem Chefredakteur auf, dass Kai-Uwe sich ausgerechnet mit Brechts Exil-Gedichten, die auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus entstanden sind, in die Corona-Debatte einmischt. Aber für mich persönlich gibt es etwas noch Befremdlicheres: Mit der Stellungnahme des Theaters Wiesbaden zur Berichterstattung im Wiesbadener Kurier betreibt der Intendant so etwas wie einen Journalisten-Pranger, auf dem einzelne Journalisten explizit vorgeführt (und offenbar ruhig gestellt) werden sollen. Unter anderem heißt es auf der Website des Theaters: „Wir verwahren uns gegen die tendenziöse Berichterstattung des Wiesbadener Kuriers. Der Redakteur Volker Milch versucht, interne Diskussionen nach außen zu treiben, bevor diese intern überhaupt stattgefunden haben.“ Immerhin, das Wort „Parasit“ ist bislang nicht noch einmal gefallen. Die Bemühungen von Kai-Uwe, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen in allen Ehren, aber gerade ein Theater, dessen Intendanten so ziemlich jede künstlerische Freiheit gewährt wird (zu Recht!!!) sollte auch den Journalismus als Teil einer demokratischen Gesellschaft akzeptieren. Sonst wären wir alle ja nur lächerliche Schauspieler!
… UND IN DRESDEN
Während die Semperoper in Dresden geschlossen bleibt, hat man dort inzwischen die Medien zur neuen Bühne erhoben. Gegeben wird ein Fortissimo-Drama der Alpha-Männchen! Besonders Dirigent Christian Thielemann lässt keine Zeitung und keinen Sender aus, um seine Sicht der Dinge zu formulieren (er will Strauss« „Heldenleben“ proben und aufführen und hält seinen Intendanten für offenbar ungeeignet). Nun hat Thielemann offensichtlich auch die Gesellschaft der Freunde der Staatskapelle, explizit ihren Vorsitzenden Christoph Hollenders, eingespannt, um medial zu trommeln und Intendant Peter Theiler in einem Schreiben (das mir vorliegt) als „offenbar überfordert“ anzugreifen.
Theiler selber ist nicht viel leiser, fordert Disziplin und langsame Öffnung, hat aber sicherlich hinter den Kulissen längst politisch taktiert (und freut sich über jeden weiteren öffentlichen Schrei Thielemanns). Die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) hat die Streithähne jetzt erst einmal (ebenfalls öffentlich) zur Ordnung gerufen. Die Morgenpost Dresden zitiert sie (Print-Ausgabe) so: „Es gibt von beiden Seiten Kritik und inhaltlich unterschiedliche Positionen, über die intern zu diskutieren ist. Die öffentliche Diskussion schadet der hervorragenden Reputation von Semperoper und Staatskapelle in der Öffentlichkeit.“ Huiuiuiuiui – klingt irgendwie noch nicht nach Ende.
PERSONALIEN DER WOCHE I
Der Amarcord-Bass Daniel Knauft hat im Jahr 2000 Medizin in Leipzig studiert. Jetzt sind die Bühnen geschlossen, und sein A‑cappella-Ensemble hat kaum Auftritte. Knauft hat nicht lange gefackelt und seinen blauen Kittel wieder übergezogen. Er hat sich einem Impf-Team angeschlossen und spritzt, was das Zeug hält. „Ich tu das auch, weil ich überzeugt bin, dass das Impfen der Kultur eine Perspektive gibt“, sagt er. Und seine „Kunden“ lieben es: „Einer hat mir gesagt: Eine Impfung von Amarcord, das ist noch besser als ein Autogramm!“ +++ Die Stiftung Mozarteum kommt nicht gut durch die Corona-Krise: Es fehlen Geldmittel für den laufenden Betrieb. Die Konsequenzen: Das Dialoge-Festival wird für zwei Jahre ausgesetzt, die Saisonkonzerte werden zurückgeschraubt, und der Konzertchef, Andreas Fladvad-Geier, sucht sich einen anderen Job.
+++ Und noch eine Hiobsbotschaft, die zeigt, was noch auf uns zukommen könnte. London hat eine 288 Millionen Pfund teure Konzerthalle geplant, eine „Tate Modern für die Musik“ gegenüber der St. Paul’s Cathedral – daraus wird nun erst einmal nichts. Aufgrund der Corona-Situation und der Staatsausgaben hat die Politik das Bauvorhaben auf Eis gelegt. +++ Weil ich letzte Woche über die Tagesspiegel-Debatte berichtet habe, in der es um die Zukunft der Klassik-Radios geht. Nun hat der Berater des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Thomas Schmidt-Ott, geantwortet. Seine These: „Mehr Öffnung wagen!“ +++ Auch das war letzte Woche an dieser Stelle Thema: Bremens Intendant Michael Börgerding hatte erklärt, dass es momentan Wichtigeres als sein Theater gebe und er den Betrieb deshalb erst einmal einstelle. Nun erreichten mich Artikel aus Kiel, wo Intendant Daniel Karasek in ein ähnliches Horn stößt – ja, sogar noch fatalistischer: „Theater sind im Augenblick nicht wichtig.“ Na, dann schenkt Euch mal noch ’nen Wein ein, Jungs!
STEFAN MICKISCH IST TOT
Der Pianist und Wagner-Erklärer Stefan Mickisch ist tot. Er starb am Samstag mit 58 Jahren in seiner Heimat Schwandorf. Mickisch machte sich vor allen Dingen einen Namen, weil er am Klavier Wagner erklärte. Eigentlich wollte er im Sommer eine Professur antreten. Der Musiker war besonders in den letzten Jahren umstritten. 2014 erklärte Mickisch auf „Facebook“, dass er Wagner vom Vorwurf des Antisemitismus „reinwaschen“ wolle. Erst kürzlich hatte er sich selber im Kampf gegen den „Coronafaschismus“ mit dem Widerstandskämpfer Hans Scholl verglichen. Das führte dazu, dass der Direktor des Richard-Wagner-Museums, Sven Friedrich, Mickisch zur „persona non grata“ in der Villa Wahnfried erklärte.
PERSONALIEN DER WOCHE II
Der jüngste deutsche GMD per Zufall: Patrick Hahn erklärte dem Deutschlandfunk, dass er seinen zukünftigen Job als Generalmusikdirektor in Wuppertal nicht aktiv gesucht hätte. Nach einem Gastauftritt „kam man auf mich zu, ob mich diese Stelle interessieren würde“, erzählt er. Dass der Herr Generalmusikdirektor in spe durchaus Humor hat, auch mit uns Kritikern, ist hier zu sehen. +++ Zahlungs-Ungereimtheiten bei den Weinviertler Wagner-Festspielen: Während namhafte Künstler inzwischen für ihre Auftritte im Sommer 2020 bezahlt wurden, klagen andere noch immer ihre ausstehenden Gagen ein. Aktuelle Hintergründe: hier. +++ Und auch darüber hatten wir vor einigen Wochen berichtet: Leipzig will die Teile des ollen Nazi-Wagner-Denkmals zurückholen. Als ich hier darüber schrieb, erreichten mich viele kritische Briefe. Jetzt hat auch das „heute journal“ die Geschichte entdeckt: und findet das Vorhaben (äh, ja, wirklich!) super! +++ Riccardo Muti forderte vor einem Konzert, dass Italien die Konzertsäle endlich wieder öffne.
UND WO BLEIBT DAS GUTE, HERR BRÜGGEMANN?
Hier! Im Sommer ist es so weit, die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv wird die erste Frau sein, die bei den Bayreuther Festspielen dirigiert. Letzte Woche habe ich sie in Wien erlebt – sie hat bei unseren „Wohnzimmerkonzerten“ mit den Wiener Symphonikern ein Wagner-Programm mit den Vorspielen aus „Tristan“, „Lohengrin“ (3. Aufzug) und „Meistersinger“ dirigiert. Wie? – das können Sie oben nachhören! Was Oksana Lyniv über Wagner zu sagen hat, über ihre Verpflichtung in Bayreuth und über die Liebe in der Musik – das wiederum hören Sie hier. Ich bin ziemlich sicher, ihr Bayreuther „Holländer“ könnte spannend werden.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de
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P.S.:
Und dieses hier noch unter dem Strich, weil es auch mit uns zu tun hat: Die Initiative „Neustart Kultur“ fördert Veranstalter und Soloselbstständige, außerdem Buchverlage, Musikverlage, Notenverlage, Plattenlabels, Katalogverlage, Plakatverlage und private Hörfunksender – aber Kulturzeitschriften NICHT! Mehrere Herausgeber von Kulturzeitschriften wundern sich nun, dass Monika Grütters sie nicht berücksichtigt. Nun fordern sie ebenfalls staatliche Hilfe. Hier ihre Begründung: „Kulturfachzeitungen und ‑zeitschriften bewähren sich in ‚normalen‘ Zeiten unabhängig von Subventionen auf dem Kulturmarkt und erhalten sich dadurch auch ihre Unabhängigkeit in der Berichterstattung. Ein wesentlicher Umsatzfaktor ist neben dem Verkauf von Abonnements und Einzelheften der Werbebereich. Dieser geht, bedingt durch die Covid 19 Pandemie, bei vielen Publikationen dramatisch zurück: Wenn keine Kultur stattfindet, wird keine Kultur beworben. Wenn Kultur nur digital – und damit im Wesentlichen ohne Einnahmen – stattfindet, wird sie ebenfalls nicht beworben. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, die zu wichtigen Werbekunden der Kulturfachzeitungen und ‑zeitschriften gehören, sind aufgrund ihrer eigenen unsicheren wirtschaftlichen Situation äußerst zurückhaltend beim Schalten von Anzeigen oder Werbebannern.“