KlassikWoche 14/2021

Rassismus-Vorwurf gegen Mozart und Beet­hoven und Rattles persön­li­cher Brexit

von Axel Brüggemann

6. April 2021

Hermann Nitsch und seine Sicht auf die Oper, das Arbeitsklima am Opernhaus Zürich, die Ablösung von Sir Simon Rattle durch Antonio Pappano in London

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

über Ostern war nix los? Von wegen! Ich hoffe, Sie hatten frohe Oster­tage – hier all das, was Sie beim Eier­su­chen viel­leicht verpasst haben.

WIRD OXFORD MOZART VERBANNEN? 

Hermann Nitsch und seine Sicht auf die Oper, das Arbeitsklima am Opernhaus Zürich, die Ablösung von Sir Simon Rattle durch Antonio Pappano in London

Jeder, der öffent­lich die Stimme erhebt, kennt das, selbst dieser kleine News­letter ist immer wieder Stein des Anstoßes: „Herr Brüg­ge­mann, ich bin enttäuscht, dass Sie das ‚M‑Wort‘ benutzen“, wurde ich neulich erst aufge­klärt, nachdem ich über den neuen „Rosen­ka­va­lier“ in und die Umdeu­tung des „Mohren“ durch berichtet hatte.

Als ich die Benut­zung des Wortes auf Grund seiner offen­sicht­li­chen Ironi­sie­rung in meinem Kontext vertei­digt hatte, wurde mir fast mitleidig klar gemacht, dass man (oder Frau) durchaus verstünde, wie schwer das Neulernen für einen alten Mann wie mich sein müsse, aber – so wurde mir Mut gemacht – ich könne das schaffen! Nur wenig später erhielt ich wütende Kommen­tare, dass ich in diesem News­letter doch bitte nicht „gendern“ solle. Ein Leser fühlte sich dadurch exklu­diert. Zu all dem passt der Bericht des briti­schen Tele­graph ganz gut, der letzte Woche erschien. Darin wurde erzählt, dass die Univer­sität in die Kompo­nisten Mozart und Beet­hoven in Frage stelle, da ihre Musik und ihre Noten zum Teil diskri­mi­nie­rend gegen­über farbigen Studen­tInnen seien. Die Nach­richt funk­tio­nierte perfekt: Sofort tobte eine herr­liche Debatte, in der sich beide Seiten der Diskus­sion in schönstem Einander-Nicht-Verstehen-Wollen in den Haaren lagen. Der Sender Classic FM hat in Oxford nach­ge­fragt und bekam zur Antwort, dass die Sache nicht so heiß gegessen würde, wie sie aufge­kocht sei. Dennoch sei man bestrebt, „das akade­mi­sche Angebot um nicht west­liche Musik zu erwei­tern“.

Klar, es ist schmerz­haft für manche zu hören, dass ihre Götter Mozart und Beet­hoven die Gefühle von Menschen mit anderen histo­ri­schen, geogra­fi­schen oder sozialen Hinter­gründen verletzen – aber, hey: Es ist Kunst! Und ich persön­lich finde, Leute wie Barrie Kosky und Co. liefern doch längst Antworten auf viele der hier gestellten Fragen. Antworten, die das tun, was gute Antworten tun sollen: Debatten öffnen und Hori­zonte erwei­tern statt ideo­lo­gi­sche Kriege anzu­zet­teln.

NITSCH KANN OPER NICHT LEIDEN

Im Sommer wird er die „Walküre“ als Kunst-Perfor­mance in aufführen. Nun hat der Maler Judith Belfkih von der „Wiener Zeitung“ ein langes Inter­view gegeben. Nitsch erklärt, dass sein Verhältnis zu Wagner von Bewun­de­rung geprägt sei: „Wagner war ein großer Musiker, ein großer Drama­tiker. Und dann durchaus ein großer Philo­soph, war von Scho­pen­hauer geprägt, mit Nietz­sche befreundet. Der war kein Trottel, das kann man nicht sagen.“ Vor allem „Parsifal“ und „Tristan und Isolde“ bringen Nitsch, der von nach Bayreuth geholt wurde, ins Schwärmen: „Diese Musik ist gigan­tisch!“ Was beide Künstler verbindet, sei die Idee des Gesamt­kunst­werkes: „Ich hab sehr viel davon gelernt. Leit­mo­tive und derglei­chen, das wird bei mir ähnlich durch­ge­zogen.“ Dabei mag Nitsch die Oper grund­sätz­lich nicht: „Eigent­lich kann ich sie über­haupt nicht leiden. Bin kein Verdi-Fan, obwohl es schöne Musik ist. Aber Doni­zetti oder Bellini, das halte ich nicht aus. Rossini gefällt mir, der ist ein Musi­kant. Aber die Narren alle! Puccini ist ein ausg’lutschter Wagner, wie aus’m Tees­ei­cherl »druckt.

– Die Akte Italia.
Wie der Grün­der­vater der Gema in Plagi­ats­vor­würfe geriet!

Hidden Secrets of Clas­sical Music: Die neue Folge

NEUE UMFRAGE AM OPERN­HAUS ZÜRICH

Nach den Vorwürfen der Beläs­ti­gung und des schlechten Arbeits­klimas und der Entlas­sung von Opern­di­rektor Michael Fich­ten­holz an der Oper hat der Schwei­ze­ri­sche Bühnen­künst­ler­ver­band (SBKV) eine Umfrage heraus­ge­geben, wonach 79 Prozent von 331 Teil­neh­mern – alle­samt Mitglieder des SBKV – angaben, in den letzten zwei Jahren Formen von Beläs­ti­gung erlebt zu haben. Die Oper von reagierte nun mit einer eigenen Umfrage: Demnach kommen von 649 Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­bei­tern immerhin 84 Prozent gerne zur Arbeit. Für 88 Prozent ist die Arbeit „nicht nur ein Job“, und 80 Prozent würden das als Arbeit­geber weiter­emp­fehlen. 87 Prozent der Befragten seien ausdrück­lich „stolz“, am Opern­haus Zürich zu arbeiten. Die Arbeits­at­mo­sphäre wird von 73 Prozent als positiv einge­schätzt. Tatsäch­lich sind die Daten, wie die NZZ berichtet, aber auch erschre­ckend: „Deut­lich weniger erfreu­lich fallen die Ergeb­nisse zum Thema ‚Macht­miss­brauch‘ aus. Der Begriff wurde in der Umfrage defi­niert als das ‚Ausnutzen einer Macht­po­si­tion, um anderen bewusst zu schaden, sie zu schi­ka­nieren oder sich selbst persön­liche Vorteile zu verschaffen‘. Von den 649 Befragten sahen sich 173 Personen, also 27 Prozent, mit Formen von Macht­miss­brauch konfron­tiert: 39 haben diese Situa­tion einmal erlebt, 111 mehr­mals und 23 Personen regel­mässig.“ Nach Veröf­fent­li­chung der Studie erklärte Chris­tian Berner, kauf­män­ni­scher Leiter der Zürcher Oper, der NZZ am Sonntag, dass das Haus mit seiner öffent­li­chen Umfrage „viel Kritik in Kauf genommen“ habe. Mag sein, aber das kann nur der Anfang eines Prozesses gewesen sein, an dessen Ende die Erneue­rung der alten Struk­turen stehen muss. 

PAPPANO STATT RATTLE

, Chef am in Covent Garden, wird 2024 auch Chef­di­ri­gent des London Symphony Orchestra, dann wird er das Opern­haus verlassen und (der nach München gegangen ist) ersetzen. Rattle selber hat gerade ein aufschluss­rei­ches Inter­view in der Finan­cial Times gegeben. Er beklagt beson­ders die Situa­tion frei­schaf­fender Künstler in Zeiten von Corona und brand­markt den Brexit. Fehlende Kultur-Bestim­mungen würden es fast unmög­lich machen, dass zwei Orchester-Last­wagen mit Instru­menten problemlos von London nach fahren könnten, sagt Rattle: „Die Wahr­heit ist, dass der Brexit keine gute Seite für die Kultur hat.“ Schwer werden beson­ders inter­na­tio­nale Tour­neen für Orchester wie das werden, glaubt Rattle. Er selber hat seine Konse­quenz gezogen, mit seinem privaten Brexit nach München. Die Suppe in muss nun Antonio Pappano auslöf­feln. 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Die offi­zi­elle Staats­trauer um den Kompo­nisten wurde auf das Jahr 2022 verschoben, auf den zweiten Jahrestag seines Todes. +++ Der wohl lustigste Klassik-April­scherz ging auf Kosten unseres Freundes Kai-Uwe Laufen­berg (bitte keine Leser­briefe!). Die Seite Nacht­kritik meldete am Tag des „Foppens“, Laufen­bergs Theater in plane Pauschal­reisen nach Mallorca: Flug, Über­nach­tung und eine Auffüh­rung im Corona-Para­dies inclu­sive. Kein April­scherz: Kai-Uwe hört, nachdem er zu Ostern noch Mal in der Kirche gepre­digt hat, endlich auf mit seinen Solo­dis­kursen – Halle­luja! +++ Am Donnerstag öffnete das Richard-Wagner-Museum in mit neuer Leitung. Die Luzer­nerin Monika Sigrist will mehr Einhei­mi­sche ins Museum bringen. Über ihre Pläne berichtet die Luzerner Zeitung. +++ Ich wurde gefragt, ob ich das Leben, die Lebens­lust, die Krank­heit und den Kampf der nun leider verstor­benen Geigerin Corinne Chapelle nicht würdigen wolle. Doch, das will ich! Ihre Geschichte (hier nach­zu­lesen) ist eine Geschichte von Leiden­schaft, Soli­da­rität und der Schön­heit des Mensch­seins. An dieser Stelle: eine Vernei­gung vor allen, die ihren Weg mitge­gangen sind. +++ Es gibt eine wunder­schöne Doku über Sir Georg Solti, in der seine Frau Valerie Solti erzählt, wie der Diri­gent ihr als BBC-Jour­na­listin im Bade­mantel die Hoteltür geöffnet habe – heute unvor­stellbar, aber die Art, wie Valerie Solti die Geschichte erzählte, war unglaub­lich amüsant. Nun ist sie mit 83 Jahren gestorben.

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo verdammt bleibt es nur? Viel­leicht – im Ernst – in der ARD! Seit einem Jahr haben wir an dieser Stelle immer wieder den Vorschlag unter­breitet, dass die Radio-Orchester der ARD doch wenigs­tens einen „Lande­punkt“ in der ARD-Media­thek haben könnten. Gut Ding braucht in der öffent­lich-recht­li­chen Welt eben Weile, aber jetzt es so weit! Die ARD-Media­thek hat eine eigene Mikro-Seite Klassik. Gratu­la­tion! Jetzt, liebe Freunde vom Fern­sehen, wäre es nur noch hilf­reich, da ein biss­chen System rein­zu­bringen. Viel­leicht eine Ordnung nach Quali­täts­kri­te­rien, viel­leicht mittel­mä­ßige Konzerte nicht einfach unkom­men­tiert anfangen lassen, die Menschen ein biss­chen an die Hand nehmen, sortieren, even­tuell ein biss­chen einordnen und mit all dem Mate­rial, das Ihr zur Verfü­gung habt, zu spielen. Ach ja, und wenn wir schon dabei sind: Ich würde mir auch noch ein Fenster für anste­hende Live-Streams wünschen, dann könnte ich mir München, Berlin und endlich ganz leicht ins Wohn­zimmer holen. Aber, und das mein« ich ganz im Ernst: Immerhin passiert etwas, und das Stö macht schon jetzt Spaß …. Das Angebot bildet aber nur die Inhalte der ARD an. Die kosten­lose Klassik-Strea­ming-Seite foyer​.de von CRESCENDO bietet da deut­lich mehr.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​portmedia.​de