KlassikWoche 16/2020
Lagerkoller und Chance für die Zukunft
von Axel Brüggemann
14. April 2020
Der Umgang der Kultureinrichtungen mit Corona-Ausfällen, der Runde Tisch zu den Salzburger Osterfestspielen, Anne-Sophie Mutter und die ausharrenden Kinder an der türkisch-griechischen Grenze.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
einen Monat sind wir nun schon zu Hause. Die gute Nachricht: Die Corona-Kurve steigt weniger (zumindest in Österreich und Deutschland), und über erste Lockerungen im Alltag wird nachgedacht. Die schlechte Nachricht: Für Kulturschaffende ist ein Ende kaum in Sicht. Den Kulturbetrieb hat es als erstes getroffen, und er wird wohl auch als letzter wieder normalisiert sein. Ein Großteil der Sommer-Veranstaltungen ist bereits abgesagt, für Bregenz oder Salzburg wird es eng. Wer will schon stundenlang in einem Theater sitzen, in dem natürlich auch gehustet wird? Viele Künstler versuchen, die Auszeit noch immer zu nutzen, indem sie einfach weiter machen: Musik aus den Wohnzimmern, von Balkonen oder in Streams. Wie lange trägt das alles noch? Und wann gehen wir den Leuten mit unserem Aktionismus auf den Geist? Vielleicht ist es an der Zeit, endlich nach Zielen und Visionen zu suchen, die auch nach Corona Bestand haben.
KEINE MUSIK – KEIN GELD?
Sänger Johannes Martin Kränzle hat herausgefunden, welches Haus welche Entschädigung zahlt.
Die einzelnen Kultureinrichtungen gehen ganz unterschiedlich mit den Zwangs-Absagen um. Das berichtet unter anderem der Merkur. Er zitiert eine spontane Umfrage, die der Sänger Johannes Martin Kränzle unter Kollegen vorgenommen hat: „So zahlt das Münchner Volkstheater den Gästen trotzdem 80 Prozent der Gage für gestrichene Abende. Hundert Prozent überweisen zum Beispiel die Häuser in Hof, Münster, Basel, Kopenhagen, London und das Landestheater Niederbayern. Paris zahlt für eine Vorstellung und für die restlichen einer Serie einen Teilbetrag, Darmstadt ist mit 50 Prozent dabei, und das Haus im reichen Monaco belässt es bei Spesen und einer kleinen Abfindung.“
Ein Auge auf Berlin wirft Peter Uehling in der Berliner Zeitung und beschreibt, was die Intendanten Matthias Schulz, Dietmar Schwarz und Barrie Kosky treiben. Auch Uehling zieht am Ende das ernüchternde Fazit, dass Karten für den Sommer derzeit eher uninteressant erscheinen: „Karten für Ende April und Mai verkaufen sich schleppend: Man kann sich nicht so recht vorstellen, dass das tendenziell zur Corona-Risikogruppe der Älteren gehörende Opernpublikum ohne Zögern wieder in die enge Bestuhlung einrückt.“
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ÄRGER ÜBER GRÜTTERS
Während Intendanten und Künstler nach Lösungen suchen, mehrt sich der Unmut über Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie sollte in diesen Tagen vielleicht lieber englische Klassik-Blogs wie jenen von Norman Lebrecht lesen, als die deutschen Tageszeitungen. Lebrecht hat Grütters immerhin auf Platz vier seiner „Corona-Helden“ gesetzt. Gleich hinter der Sopranistin Milly Forrest, die derzeit freiwillig im Krankenhaus arbeitet. Vielleicht liegt Lebrechts Begeisterung an seinen mangelnden Deutschkenntnissen. Fakt ist: in Deutschland steigt die Kritik an Grütters. Spätestens, nachdem sie im Spiegel mit freien Künstlern abgerechnet hat, die schon vor Corona wenig Geld verdient haben. Sie würden aus „intrinsischen Gründen“ unbedingt „ihr Ding“ machen wollten, erklärte Grütters, und das klang für viele so, als seien ihr diese Künstler egal. Auf jeden Fall bebt es in den sozialen Medien. Grütters wird mangelnde Empathie vorgeworfen. Wir haben berichtet, dass die Kulturstaatsministerin sich auch viel lieber PR-tauglich an der Seite von Kirill Petrenko als Schirmherrin der Orchester-Stiftung zeigt. Nun wird gefragt: Sind ihr die Klassik-Stars lieber als das Kultur-Prekariat? Immerhin: Die Orchester-Stiftung hat inzwischen über eine Million Euro zusammengesammelt, und die Spendenaktion soll fortgesetzt werden. Wie problematisch die realpolitische Arbeit von Monika Grütters ist, hat inzwischen auch die SZ aufgeschrieben: „Die von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters angekündigten unbürokratischen Hilfen für Künstler greifen nicht immer. Tausende unterschreiben eine Petition für ein bedingungsloses Grundeinkommen“, berichtet Michael Stallknecht. Und die FAZ schreibt, dass Künstler in Hessen gebeten werden, auf Hartz IV auszuweichen statt auf Hilfen zu hoffen.
RUNDER TISCH FÜR FREIE KÜNSTLER
Etwas strategischer will Österreich die Sache angehen. Hier soll ein Runder Tisch nach Lösungen für die Zeit nach Corona suchen. Wie können besonders freiberufliche Künstler in Zukunft besser abgesichert werden? Die Forderung von u.a. Elisabeth Kulman, Tomasz Konieczny und Günther Groissböck sind einheitliche, rechtskonforme, europaweite Regelungen für die Bezahlung freischaffender Künstler. „Bis dato waren wir Einzelkämpfer, jetzt aber müssen wir den Hebel auf Solidarität umschalten“, sagt Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke im Interview mit dem „Kurier“. Viele Kollegen hätten Angst, sich öffentlich gegen die Willkür der Veranstalter zu positionieren, obwohl die Kunstfreiheit ein verfassungsrechtliches Grundrecht sei. „Uns schwebt eine Art ‚Runder Tisch‘ vor. In Österreich bestehend aus Vertretern der Bundestheater, der Festivals, der Agenturen, der Politik und der Künstler.“ Ein Grund der Aktion: Institutionen wie die Osterfestspiele in Salzburg hätten sich auf den Paragrafen der „höheren Gewalt“ berufen – und die freien Künstler gingen leer aus. Sowohl in Deutschland, als auch in Österreich wird der Ruf nach bedingungslosem Grundeinkommen immer größer.
CORONA UND NICHT-CORONA-NEWS
Begrüßt jeden Tag die Polizei: Piotr Beczała in polnischer Quarantäne
In Chicago verzichtet Musikdirektor Riccardo Muti im Zuge der Corona-Krise auf 25 Prozent seines Lohnes. +++ Auch die Elbphilharmonie hat einen Hilfsfonds gegründet: Freie Musiker sollen damit für Konzertausfälle entschädigt werden. +++ Tenor Piotr Beczała ist gemeinsam mit seiner Frau förmlich aus New York in sein Landhaus in Südpolen geflohen, wo er bis gestern täglich Besuch von der Polizei bekam: So lange dauerte die Zwangs-Quarantäne. +++ Gut ausgegangen ist ein Corona-Test für Tenor Michael Schade und Familie – bei ihm kam der Husten in der Wiener Quarantäne. Einige Tage später: Fehlalarm, und sofort wurde der gute Wein geöffnet! +++ Nicht nur freie Künstler sind derzeit in Not, sondern auch viele Agenturen, die von den Auftritten ihrer Künstler leben, und Musikjournalisten. Für die Freien gibt es nichts mehr zu berichten, und die Festen leiden, da ihre Blätter und Medien zu kämpfen haben – besonders schwer hat das bereits die Seite Bachtrack zu spüren bekommen, die ihren Shop schließen musste. +++ Tilman Dost wird neuer Intendant der Münchner Symphoniker. Damit löst der studierte Kulturmanager und Musiker Annette Josef in dieser Position ab.
MÜNCHNER WAHRHEITEN UND ANDERE REAKTIONEN
Nachdem der Bariton Günther Groissböck den vorsichtigen politischen Umgang mit Corona kritisch hinterfragt hatte und ich den Shitstorm auf seinen Seiten für gerechtfertigt befand, bekam ich – ebenfalls zu Recht! – viele Leserbriefe. Fakt ist: Natürlich ist es legitim, die Linie der Regierung (eigentlich aller demokratischen Regierungen) zu hinterfragen. Und dieses Recht hat natürlich auch Günther Groissböck. Ich will es ihm nicht nehmen, auch wenn ich noch immer anderer Meinung bin. Vielleicht gehört die Tugend der Entschuldigung und der Selbstkritik in diesen Tagen zu unserem Leben. Was mich derweil wirklich befremdet, ist der neue Nationalismus, der sich breit macht: Politiker, die sagen, kein Land würde so schnell und effizient handeln wie das eigene, der schnelle Fingerzeig auf andere Länder und das öffentliche, nationale Gegeneinander, das offensichtlich im gemeinsamen Miteinander zu Hause aufblüht. Aber das ist ein anderes Thema.
Theater-Tier Bachler hat angeblich jedem freigestellt, ob er auftritt.
Ebenfalls interessant waren die Mails und Anrufe, die ich aus der Bayerischen Staatsoper und dem Bayerischen Staatsballett bekommen habe. Leute, die an den Proben zu „7 Deaths of Maria Callas“ beteiligt waren, haben mir berichtet, dass Nikolaus Bachler – anders als andernorts behauptet – niemanden zu Proben gezwungen hätte. Im Gegenteil: Einige Angestellte der Oper hätten die Situation ausgenutzt, um eigene Interessen durchzusetzen. Bachler habe allen Beteiligten versprochen, sie zu bezahlen, auch wenn sie nicht proben oder auftreten wollten. „Was sollte er auch davon haben, die Leute zu zwingen“, fragte einer der Beteiligten, die mich angerufen haben. „Bachler braucht sich nichts mehr zu beweisen. Er ist ein Theater-Tier und glaubt an die Kunst: Er ist Risikogruppe und trotzdem der Erste im Haus und der Letzte, der geht.“ Das Staatsballett stellte derweil fest, dass die Polizei tatsächlich eine Kontrolle durchgeführt, aber nicht die Proben verboten habe. Es wurde lediglich der Ablauf des freiwilligen Trainings überprüft. Inzwischen ruht auch an der Bayerischen Staatsoper der Betrieb.
DER NETZ-WAHNSINN
So langsam werden alle ein wenig verrückt, glaube ich. Und: Die Corona-Zeit lässt die Menschen in ihren wahrhaftigen Charakter-Extremen erscheinen: natürlich auch die Künstler. Jene, die keine Ruhe kennen und streamen und talken und singen, was das Zeug hält. Jene, die einfach jeden Gedanken mitteilen, der ihnen durch den Kopf schießt. Und jene, die sich still und leise zurückziehen. Und jene, die es (wie Anne-Sophie Mutter schaffen, auch in diesen Zeiten das Augenmerk auf andere Krisenherde wie die türkisch-griechische Grenze und die dort ausharrenden Kinder zu richten. Immerhin: Wir Journalisten profitieren von all dem, unsere Telefone stehen nicht still – selten gab es so viele derart entspannte Gespräche mit Sängern, Dirigenten oder Regisseuren wie in diesen Tagen.
Eines der lustigsten Corona-Videos: Tenor Stefan Vinke überrascht sehr humorvoll, indem er den „Bi-Ba-Butzelmann“ singt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Aber ich kann Streams aus Wohnzimmern langsam nicht mehr sehen, ebensowenig wie Orchester, die einzeln als Ganzes spielen. Neulich habe ich auf Facebook die Worte einer Sängerin gelesen, die ungefähr so gingen: „Ey, Opernhäuser, die Ihr unsere Aufführungen nun kostenlos streamt – Euch ist schon klar, dass wir nichts davon abbekommen, oder? Warum macht ihr unsere Kunst so billig?“ Tatsächlich ist die Entwertung von Opern- und Konzertaufzeichnungen in vollem Gange. Kein Hollywood-Regisseur käme auf die Idee, seine Filme kostenlos ins Netz zu stellen. Und weder Spotify, noch Amazon oder Netflix verzichten auf Geld. Warum also tut die Klassik genau das und zerstört dadurch ihren eh labilen Markt? Was die großen Häuser machen, ist unfair gegenüber jenen, die Klassik gegen Geld anbieten (und damit auch die Künstler zahlen), etwa takt1, fidelio oder der Streamingdienst idagio, der neuerdings auch Künstlergespräche führt. Mit Holger Noltze von takt1 habe ich mich unterhalten: er sucht – gemeinsam mit Häusern – nach Möglichkeiten neuer Rückflüsse von Streams auch für Künstler.
Auch das Fernsehen ist derzeit noch merkwürdig einfallslos, reduziert einfach die Anzahl der Beteiligten bei seinen Aufzeichnungen: Kammer- oder Hausmusik statt sinfonische Streams. Ein Highlight der Corona-Streams war in dieser Situation sicherlich die Leipziger Johannes-Passion zu Karfreitag. Acht Musiker musizierten in Leipzig zusammen mit der globalen Bach-Familie virtuell im Netz. So konnte trotz der Corona-Pandemie eine ununterbrochene und über 170-jährige Tradition Leipziger Passionskonzerte fortgesetzt werden. +++ Das lustigste Video der Woche verdanken wir dem Tenor Stefan Vinke auf Facebook (ja, der Mann ist wirklich lustig!). Während seine Kolleg*innen talken und streamen und sich in vermeintlich beste Szene setzen, hat der Bayreuth-Siegfried sehr lange für seine kleine Einlage geübt: er singt bei sich zu Hause den „Bi-Ba-Butzelmann“ in genialer Choreographie!
In diesem Sinne
halten Sie die Ohren steif
Ihr