KlassikWoche 18/2021
Bachlers Kampfansage an die Labels und Hilfe für unsere Chöre
von Axel Brüggemann
3. Mai 2021
Das neue Klassik-Label BSOrec der Bayerischen Staatsoper, die Sommerpläne der Bayreuther Festspiele, die Lage der Chöre
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute: wie die Bayerische Staatsoper an den Fundamenten der Klassik-Produktionen rüttelt, warum die Radio-Debatte etwas bigott ist und wie die Bayreuther Festspiele in den Sommer gehen.
NEUER ANGRIFF AUF KLASSIK-LABELS
Nun also auch die Bayerische Staatsoper: Intendant Nikolaus Bachler kündigte an, dass sein Haus ein eigenes Klassik-Label gründen wird. Die „Bayerische Staatsoper Recordings“ (BSOrec) soll künftig Audio- und Videomitschnitte veröffentlichen. Das Ziel: Man will sich unabhängiger von Plattenfirmen und TV-Sendern machen. Andere Häuser und Orchester haben das längst vorgemacht und die Konsequenz daraus gezogen, dass immer weniger Klassik-Produktionen im Fernsehen landen und viele Klassik-Produzenten einfach ineffektiv arbeiten: Die Berliner Philharmoniker mit ihrer Digital Concert Hall oder die Bayreuther Festspiele mit den BF Medien haben die (weltweite) Vermarktung ihrer eigenen Kunst bereits selbst übernommen.
Und das macht ja auch Sinn: Warum sollen dritte Unternehmen am Verkauf der eigenen Leistungen und an den Rechten von KünstlerInnen verdienen? Zumal viele Orchester und Opernhäuser längst bessere Distributionswege haben als etwa die Online-Angebote von Nischen-TV-Sendern? Das Engagement der Bayerischen Staatsoper ist ein weiterer Schritt, der das Ende einer alten Klassik-Tradition beschleunigt: Einigen Major Labels, audiovisuellen Anbietern wie UNITEL oder Rechte-Vertreibern wie C Major haben einfach die Fantasie und die Kreativität gefehlt, die Flexibilität und vor allen Dingen der Mut, Neues auszuprobieren und sich unabhängiger vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu machen. Und so werden diese alten Player immer verzichtbarer, und die Macht der Orchester und Theater wird – wie an dieser Stelle bereits oft prophezeit – weiter steigen. Gut so! Auch wenn an manchen Häusern ästhetisch durchaus noch Luft nach oben ist, wie etwa in den Matineen der Wiener Staatsoper, die noch ein wenig unbeholfen aussehen. Immerhin: Es ist erfrischender Pioniergeist zu beobachten, wir leben in spannenden Zeiten!
DEBATTE UM KLASSIK IM RADIO – VERLOGEN?
Nun hat der Landesmusikrat eine Umfrage zur Veränderung des Programmschemas beim rbb Kulturradio ins Leben gerufen. Das Ergebnis ist erwartbar eindeutig: Ein Großteil der TeilnehmerInnen kritisiert den Beschluss des Senders, die Musikauswahl zu öffnen, den Kulturbegriff nicht auf die Klassik zu reduzieren und die Sprache niedrigschwelliger zu gestalten. 88 Prozent jener, die sich beteiligt haben, sagen, dass Berlin und Brandenburg unbedingt ein Kulturradio brauchen, 63 Prozent finden, dass das Programm sich verschlechtert habe. Das verwundert auch deswegen nicht, weil jene, die an dieser Abstimmung teilgenommen haben, zum großen Teil aus den Quellen des Landesmusikrates kommen und zu den StammhörerInnen des Senders gehören. Sie wollen natürlich keine Veränderungen!
___________________________________________________
Die neue CRESCENDO-Ausgabe ist erschienen.
Jetzt gratis probelesen!
Ich persönlich halte es ebenfalls für wichtig, dass sich das Programm von öffentlich-rechtlichen Kultursendern und Privatsendern wie Klassik Radio (zur Transparenz: Ich bin für beide tätig) unterscheidet. Aber die aktuelle Debatte scheint mir ein wenig bigott zu sein: Auch die Süddeutsche redet nun von „Radio Ga Ga“ – ausgerechnet die „Süddeutsche“, die ihre ernsthafte Klassik-Berichterstattung seit Jahren auf ein Minimum heruntergefahren hat.
___________________________________________________
CRESCENDO-Podcast: Hidden Secrets of Classical Music – Folge 5
„Bitte schreiben Sie Musik wie Wagner, nur lauter!”
Detektivgeschichten aus der Welt der Klassik
Zuvor hatte sich bereits die FAZ (ebenfalls vom Klassik-Kahlschlag betroffen) mokiert, und selbst der „Spiegel“, der in seiner Print-Ausgabe Klassik nun wirklich nicht mehr für relevant hält (außer es geht um Igor Levits Berlin-Mitte-Soundtrack), echauffiert sich über die neue Richtung bei rbbKultur. Grundsätzlich ist doch erst einmal nichts dagegen zu sagen, dass ein Sender seinen Kulturbegriff erweitert. Klar, da ist vieles unbeholfen, peinlich und erschreckend dumm. Aber, hey: Es geht hier um mehr als das Radio – es geht um den allgemeinen Kahlschlag der Kultur in Massenmedien. Und die Zeitungen, die nun am lautesten schreien, haben den größten Kahlschlag schon hinter sich. Übrigens: Ich liebe Jan Böhmermann, aber sein „ZDF-Magazin Royal“ hat auch „aspekte“ endgültig ins Aus katapultiert. Da wird das allgemeine Prinzip deutlich: „aspekte“ war seit Jahren nur noch eine Behauptung von Kultur und konnte auch deshalb als vollkommen irrelevante Sendung in die Mitternacht gefegt werden!
BAYREUTH WILL SPIELEN
Ich wurde letzte Woche von mehreren LeserInnen gebeten, in Bayreuth nachzufragen, wie das nun mit der Ticketvergabe für diesen Sommer sei. Es gäbe viele Probleme. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Bislang stand nicht einmal fest, ob die Festspiele überhaupt stattfinden würden. Erst jetzt haben die Mitglieder des Verwaltungsrates beschlossen, dass der Plan eines neuen „Fliegenden Holländers“ (mit Oksana Lyniv) und weiterer Aufführungen (unter anderem der „Walküren“-Performance) bestehen bleibt. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates, Georg Waldenfels, räumte ein, dass es im Vorfeld „unterschiedliche Meinungen“ gegeben habe. „Das ist ja immer mal wieder hin und her gegangen“, sagte er der dpa. Nun hoffen die Beteiligten, auch Intendantin Katharina Wagner, die derzeit geplanten Besucherzahlen von 235 Menschen pro Aufführung (statt normalerweise rund 2.000) noch anheben zu können.
Auch, weil jeder freie Platz Geld kostet: Ausfälle sollen 2021 von den Gesellschaftern ausgeglichen werden – von der Bundesrepublik Deutschland, dem Freistaat Bayern, der Stadt Bayreuth und der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Übrigens: Die Bregenzer Festspiele haben ihr Programm ebenfalls bekannt gegeben. Die Festspiele beginnen am 21. Juli im Festspielhaus mit Arrigo Boitos Oper „Nero“, die in diesem Jahr insgesamt dreimal zur Aufführung gelangen wird. Außerdem steht, wie ursprünglich für letztes Jahr geplant, Verdis „Rigoletto“ auf der Seebühne auf dem Programm. Im Gespräch mit Intendantin Elisabeth Sobotka (anzuhören unter diesem Text) ist ihr die Erleichterung und die Freude anzuhören. Ihre Erkenntnis des letzten Jahres: „Das Team ist in dieser Situation über sich hinausgewachsen, und unser Publikum ist uns treu geblieben – es unterstützt uns und dürstet nach Kultur.“
WIR MÜSSEN UNSEREN CHÖREN HELFEN
Seit Beginn der Pandemie leidet besonders die Chormusik. Nun haben die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Carus-Verlag eine neue Studie herausgegeben. Die Ergebnisse sind erschreckend: Die Mitgliederzahlen sind rückläufig, die digitalen Probenformate sind mit großen Einschränkungen verbunden, und besonders erschreckend ist die schlechte musikalische und mentale Verfassung der Chöre. Die Zukunftsaussichten sind vor allem in Bezug auf die Mitgliederentwicklung und das musikalische Niveau von Sorgen geprägt. Bedenklich auch die Entwicklung der Chorfinanzen, über die sich jeder dritte Chor Sorgen macht. Als ich mich diese Woche mit Ester Petri vom Carus-Verlag unterhalten habe (unser ganzes Gespräch ist hier nachzuhören), erklärte sie mir nicht nur, den Paradigmenwechsel des Chorgesangs („früher war klar, dass Singen gesund ist, heute haben viele Menschen Angst vor Chören“) sondern auch, dass die jeweils existenziellen finanziellen Probleme der Chöre, die ihre ChorleiterInnen kaum noch zahlen können, im Einzelfall durchaus überschaubar sind: Wenige tausend Euro würden einem Chor in Ihrer Nähe schon helfen, die Krise zu überwinden und das zu tun, wofür er antritt: Freude zu verbreiten.
PERSONALIEN DER WOCHE
Bewegend war der Post von Dirigent Alan Gilbert nach seiner Corona-Erkrankung auf Facebook: „Nach fast drei Wochen im Krankenhaus bin ich endlich wieder mit meiner Familie vereint. (…) Mit COVID-19 sollte man nicht spaßen. (…) Ich bitte alle, das Virus weiterhin ernst zu nehmen, und wenn Ihr noch nicht geimpft seid – kümmert Euch drum. Ich werde es die nächsten Wochen noch ruhig angehen, um mich erst einmal voll und ganz zu erholen und danke allen, die an mich gedacht haben, für ihre Unterstützung.“ +++ Wie lange wird sich Peter Gelb noch als Intendant der MET in New York halten? Mini-Zahlungen an seine Musiker, vollkommener Shutdown, schlechte Kommunikation, Verlust zahlreicher Sponsoren – und nun noch die Nachricht, dass die MET im Jahr 2021 vielleicht gar nicht mehr öffnen wird. Ein katastrophales Missmanagement.
___________________________________________________
Klassik Viral – ein Podcast von CRESCENDO
Wie schafft man es, sich von Corona nicht unterkriegen zu lassen?
Arnt Cobbers fragt nach. Bei Felix Nickel und Reinhold Friedrich.
+++ Vor zwei Wochen haben wir an dieser Stelle über den Verkauf der Hans-Werner-Henze-Villa in Marino bei Rom berichtet. Das VAN Magazin hat nun noch mal bei Michael Kerstan, Henzes letztem Partner, nachgefragt. Der bestätigt jetzt den Verkauf und erhebt Vorwürfe gegen Kulturstaatsministerin Monika Grütters: Sie habe sich nicht für die Überführung der Villa in eine Musik-Stiftung interessiert. Der neue Eigentümer will wenigstens Henzes Arbeitszimmer erhalten und die Lobby für Konzerte nutzen. +++ Nun ist es auch noch zur Verfassungsbeschwerde gekommen: Die Initiative #aufstehenfuerdiekunst mit Anne-Sophie Mutter und Christian Gerhaher sind weiter zum Bundesverfassungsgericht gezogen. „Da die Kunstfreiheit zu den am stärksten im Grundgesetz abgesicherten Kommunikationsgrundrechten gehört und die massiven Einschränkungen bereits über eine unverhältnismäßig lange Zeit gehen und sich wissenschaftlich nicht wirklich begründen lassen, ist deshalb eine verfassungsrechtliche Klärung auf höchster Ebene überfällig und angezeigt“, teilten die Initiatoren am Donnerstag in München mit. +++ Der Psychotherapeut Andreas Burzik erklärt auf BR-Klassik in einem lesenswerten Text, wie die Corona-Zeit KünstlerInnen auch psychisch zu schaffen machte. Eine seiner Diagnosen: „Was um sich greift, sind Angststörungen, Depressionen und Zwangsstörungen.“
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt! Eigentlich wollte ich positiv damit schließen, dass es erste Einblicke in den West-Side-Story-Film von Steven Spielberg gibt. Ich liebe Steven Spielberg!!! Aber, äh – das, was man derzeit zu sehen bekommt, ist wirklich nur ein Remake des Klassikers – aber schauen Sie selber!
Nächste Woche mehr Positives: versprochen!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@portmedia.de