KlassikWoche 18/2023

Abschieds­brief des Lieblings-»Parasiten«

von Axel Brüggemann

1. Mai 2023

Die Amtsübergabe an den neuen Kultursenator Joe Chialo in Berlin, der Abschied von Joana Mallwitz in Nürnberg, das Thema Gender in der Welt der Klassik.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

will­kommen am Tag der Arbeit! Lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie, und lassen Sie die Klassik-Woche Revue passieren. Es geht um den Regie­rungs­wechsel in Berlin und um ein Geschenk an meinen Freund Kai Uwe. Klassik-Fans aller Länder, verei­nigt Euch! 

So geht Über­gang! 

Im besten Sinne kulti­viert, wie (LINKE) seinen Job als Kultur­se­nator in Berlin an Joe Chialo (CDU) über­geben hat: „Einen guten Start im neuen Amt wünsche ich meinem Nach­folger Joe Chialo“, schrieb er auf Twitter. Und der Neue bedankte sich ebenso freund­lich: „Ich über­nehme eine Verwal­tung, die von Klaus Lederer in den letzten sechs Jahren sehr erfolg­reich geleitet wurde und die großen Respekt in der Kultur­land­schaft genießt. Props and shou­touts dafür und große Vorfreude auf die Arbeit für Berlin.“

Der Ton verrät: Chialo ist pop-sozia­li­siert. Also hat er sich – sehr klug! – sofort eine Staats­se­kre­tärin aus der Klassik-Szene gean­gelt: Sarah Wedl-Wilson durfte als Kind keine ABBA-Platten hören, ist bisher Rektorin der Hoch­schule für Musik Berlin und eine stets lächelnde Strip­pen­zie­herin, die man nicht unter­schätzen sollte. Einige Kerle, die es getan haben, wie , oder , wissen ein Lied davon zu singen. Denn Wedl-Wilson war auch im Vorstand der Salz­burger Oster­fest­spiele und hat den dortigen Wandel mit einge­leitet. Aber sie ist kein nach­tra­gender Mensch, sondern Prag­ma­ti­kerin. Und auch Thie­le­mann könnte sagen: „Schwamm drüber“, wenn es um die Daniel-Baren­boim-Nach­folge an der Staats­oper geht. Ich vermute, Wedl-Wilson wird sich genau anschauen, welche „Spät­folgen“ die Perso­nalie haben könnte und zunächst einmal hören, auf wen sich alle Betei­ligten, vom Orchester bis zur desi­gnierten Inten­dantin (man kennt sich aus Öster­reich), einigen können. Die Tele­fon­num­mern von oder Thomas Guggeis hat sie mit Sicher­heit auch. Wedl-Wilsons Job an der Musik­hoch­schule Hanns Eisler über­nimmt inte­ri­mis­tisch die Prorek­torin Andrea Tober. Ach ja, vor andert­halb Jahren habe ich Wedl-Wilson zu einem sehr ausführ­li­chen Gespräch getroffen: Darüber, warum sie als Kind nicht ABBA hören durfte und wie die Musik ihr Leben begleitet. Zu hören ist es hier.

Perso­na­lien der Woche I

Er ist in der Stadt nicht wirk­lich präsent, eher leise und schlägt auch program­ma­tisch keine großen neuen Wellen. Dafür wird Stephan Pauly nun belohnt und als Inten­dant des Wiener Musik­ver­eins verlän­gert. Er wird bis 2030 im Amt bleiben, das er 2020 ange­treten hatte. Das Theater in Regens­burg wird – so will es – zum Staats­theater aufge­wertet. Das bedeutet unter anderem: mehr Geld. Das kommt nach dem holp­rigen Einstand des neuen Inten­danten Sebas­tian Ritschel nicht unge­legen, findet Deniz Aykanat in der Süddeut­schen Zeitung. 40 Beschäf­tigte in allen Sparten mussten gehen. +++ Das Barbican Centre wird zwar nicht umge­baut (dazu fehlten die 332 Millionen Euro), aber immerhin: Nun wird reno­viert. Sir wird die Fertig­stel­lung wohl nicht mehr als Chef­di­ri­gent des London Symphony Orchestra erleben, sondern die Dinge aus München beob­achten.

Von Nürn­berg nach Berlin: Mall­witz« Abschied

Nach fünf Jahren in Nürn­berg geht nun nach Berlin. Ursula Adamski-Störmer schaut für den BR ziem­lich lobhu­delnd zurück auf eine Ära: „Erfolge feierte sie in Nürn­berg vor allem mit den von ihr präfe­rierten Opern. Was sie anfasste, veredelte sie zu Gold: Prokof­jews Krieg und Frieden oder Wagners Lohen­grin, Debussys Pelléas et Méli­sande, Strauss« Der Rosen­ka­va­lier und Die Frau ohne Schatten. Nürn­berg feierte den Mall­witz-Effekt und musste doch klaglos hinnehmen, als die Gene­ral­mu­sik­di­rek­torin bezeich­nen­der­weise kurz nach dem Mora­to­rium des von ihr glühend voran­ge­trie­benen und so drin­gend benö­tigten neuen Konzert­hauses die Reiß­leine zog und ihren Weggang aus der Stadt verkün­dete. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…In Berlin wird es sicher­lich rauer werden: Aber in Berlin lockt auch der Aufbruch: an der Staats­oper, der Deut­schen Oper – und jetzt auch: am Konzert­haus!

Männer und Frauen und alle dazwi­schen

Gender hat in der klas­si­schen Musik seit jeher keine (oder deshalb: eine große) Bedeu­tung gehabt. Und in dieser Woche gab es aller­hand Männer-und-Frauen-Meldungen. Das Deut­sche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) wird kommende Saison kein Programm ohne Kompo­si­tionen von Frauen aufführen, von der 1961 gebo­renen Unsuk Chin beim Eröff­nungs­kon­zert am 30. August bis zur Mozart-Zeit­ge­nossin Mari­anna von Martines beim Finale am 28. Juni.

Vincent König hat uns geschrieben (für die „Perlen in der Provinz“ beim Podcast Alles klar, Klassik) und über sein Herzens­pro­jekt geschwärmt: Illi­mité, ein Opern­abend am Staats­theater Kassel über Rollen­bilder in der Oper. Unter anderem wird die wunder­bare Mezzo­so­pra­nistin Katia Ledoux die Schmie­de­lieder aus dem Sieg­fried singen – ein Expe­ri­ment, das neugierig macht. Außerdem ist dieses Wochen­ende das Festival Femi­nale an der Hoch­schule für Musik und Theater in Hamburg über die Bühne gegangen. Vier Studen­tinnen haben das Festival gegründet, weil sie beklagen, dass Werke von Kompo­nis­tinnen auch in der Ausbil­dung nicht vorkommen. Es tut sich viel zwischen den Welten von Mann und Frau – gut so! 

Die Woche im Gespräch

Weil diese Woche nicht so viel los war und heute Feiertag ist, erlauben Sie mir ein wenig Eigen­wer­bung. Seit über einem Jahr betreibe ich, gemeinsam mit dem Center der Bertels­mann Stif­tung, den Podcast Alles klar, Klassik? Alle zwei Wochen debat­tiere ich ein wich­tiges Thema der Klassik mit Klassik-Künst­le­rInnen, Poli­ti­ke­rInnen oder anderen Kultur­schaf­fenden, und die Wochen dazwi­schen spreche ich mit Doro­thea Gregor über Klatsch, Tratsch und die wich­tigsten Nach­richten aus der Klassik. Dieses Mal war Doro bei mir zu Hause in Bremen. Ein Kaffee­kränz­chen mit warmem Kaffee und heißen Themen: Wie viel verdienen Musi­ke­rinnen und Musiker? Wie wird sich Sarah Wedl-Wilson als Berlins Kultur­staats­se­kre­tärin machen? Doro wünscht sich eine Play­mobil-Figur von , und ich erkläre den Unter­schied zwischen und . Außerdem kündigt Doro eine große Studie zur Situa­tion der Kultur in Deutsch­land an. Sie wird in einigen Wochen bei Alles klar, Klassik? vorge­stellt. Hören Sie doch mal rein, auf der Website, bei Apple, oder bei spotify

Perso­na­lien der Woche II

Natür­lich reden wir in Alles klar, Klassik? auch über Lorenzo Viotti – als Foto­mo­dell, aber auch darüber, dass er (rein in die Klamotten, raus aus den Klamotten) seinen Vertrag als Chef­di­ri­gent des Neder­lands Phil­har­mo­nisch Orkest sowie der Natio­nalen Oper in Amsterdam nicht verlän­gern wird. Er will seinen Vertrag bis 2025 erfüllen, danach aber nicht verlän­gern.

Gazprom, dessen CEO großer Teodor-Curr­entzis-Fan ist und auch die Gast­spiele des Curr­entzis-Orches­ters musi­cAe­terna finan­ziert, hat nun eine eigene Armee für Putin gegründet. In England sorgen solche Nach­richten für Alarm, beim SWR scheint man selbst da noch die Augen zuzu­ma­chen. +++ Die Muster­klage gegen die Salz­burger Fest­spiele und ihre Beschäf­ti­gungs­po­litik ist vertagt worden. Eigent­lich sollte Anfang April verhan­delt werden, das Gericht hat den Termin nun verschoben. +++ Bayreuth hat ein neues Opern­haus­mu­seum. Es liegt direkt neben dem Mark­gräf­li­chen Opern­haus, das 2012 zum Unesco-Welt­erbe ernannt wurde. Seit dem 22. April kann man das neue Museum besu­chen.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Mein lieber Freund Kai Uwe Laufen­berg muss das Staats­theater in Wies­baden als Inten­dant verlassen. Das macht er natür­lich nicht, ohne der Stadt noch mal ins Gesicht zu spucken. In seinem Vorwort zur neuen – seiner letzten – Saison lässt Kai Uwe nichts und niemanden aus: Ohne sie zu nennen führt der Inten­dant zwischen den Zeilen seinen ehema­ligen GMD, , vor („nicht immer habe ich, wenn es ums Orchester ging, die rich­tigen Partner gefunden“). Der Inten­dant wundert sich, dass er Wies­baden über­lebt habe und erzählt, wie viele Klein­geister ihm das Leben schwer gemacht hätten. Für ihn dürften das auch Poli­ti­ke­rinnen wie Hessens Minis­terin für Wissen­schaft und Kunst gewesen sein, der kriti­sche Jour­na­list Volker Milch – und, ich hoffe: auch ich! Umso mehr singt er seinem Anna-Netrebko-Diri­genten ein Hohe­lied. Ich finde, Kai Uwe, Du hast Dich in Deinen Worten ein biss­chen zu sehr zurück­ge­halten: Ich habe mal ein Vorwort aufge­nommen, das Dir sicher auch gefällt – nimm es als kleines Abschieds­ge­schenk Deines Lieblings-„Parasiten“.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

(brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Sven-Helge Czichy