KlassikWoche 20/2023

Ratten­scharfes Opern-Europa

von Axel Brüggemann

15. Mai 2023

Die Suche nach einem Intendanten für die Tiroler Festspiele Erl, das neue Gesetz von Italiens Regierung, die ausbleibenden Antworten vom SWR Symphonieorchester.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer Real-Crime-Ausgabe, mit Mord und Totschlag. Außerdem mit einem humor­vollen Blick auf den Grand Prix und die Rolle der Oper in Europa. Und mit einer kleinen Frage an den SWR … 

Zwei Klassik-Krimis

Wer sagt eigent­lich, dass die Musik unschuldig ist. Gleich zwei Krimi­nal­fälle wurden diese Woche bekannt. In Portugal wurden drei Männer und eine Frau verhaftet, weil sie verdäch­tigt werden, den Jazz-Pianisten Pedro Queiroz ermordet zu haben.

Mindes­tens so aben­teu­er­lich ist der Vorwurf gegen einen Geiger des Schleswig-Holstei­ni­schen Sinfo­nie­or­ches­ters: Er soll versucht haben, seine Mutter und zwei Kolle­gInnen mit Ratten­gift zu töten. Offen­sicht­lich erkrankten seine Kolle­gInnen, da der Geiger ihnen Knob­lauch­paste auf einer Tournee ange­boten hatte. Es klingt etwas makaber, aber das Schleswig-Holstei­ni­sche Landes­theater meldet auf seiner Website, dass „wegen mehrerer Erkran­kungen im Ensemble“ statt des Kirsch­gar­tens nun das Stück Achtsam morden auf dem Programm in Husum steht. 

Der Klassik-Grand-Prix 

Liebe Leute, folgt dem Diri­genten auf Twitter. Niemand hat den Euro­vi­sion Song Contest (ESC) besser kommen­tiert als er: Ein Satz zu jedem Kandi­daten. Über die deut­sche Gruppe Lord of the Lost schrieb er: „Satanic drag queens from the land of Beet­hoven.“ Sehr lustig!

Ich habe derweil eine Umfrage auf meinem Insta-Profil gemacht. Welchem Land geben meine Follower 12 Punkte, wenn es um das Opern-Land Europas geht. Das Ergebnis: Deutsch­land liegt mit 59 Prozent vor Öster­reich mit 25 Prozent, Italien mit 12 Prozent auf Platz drei, dahinter Frank­reich mit drei Prozent. Immerhin in der Klassik liegen wir mit unseren 150 Stadt­thea­tern ganz vorne! 

Wer wird neuer Erl-König?

Das sieht schon ein biss­chen nach belei­digter Opern­wurst aus: Der Inten­dant der Tiroler Fest­spiele, , wird bereits Ende der Saison 2024 das Haus verlassen – und damit eine Saison früher als gedacht. Der Grund: Loebe sollte sich für eine Vertrags­ver­län­ge­rung erneut bewerben. Das empfand der Inten­dant der Frank­furter Oper aber wohl als Majes­täts­be­lei­di­gung. Inzwi­schen gingen 43 Bewer­bungen ein, darunter 32 Männer und elf Frauen.

Nun entscheidet eine Jury, bestehend aus dem Unter­nahmer Hans Peter Hasel­steiner, Staats­opern­di­rektor Bogdan Roščić, Volks­opern-Direk­torin und der Leiterin der Kultur­ab­tei­lung im Land Kärnten, Brigitte Winkler-Komar. Bis zum Sommer soll, wie von Erl-Mäzen Hasel­steiner ange­kün­digt, die Entschei­dung stehen.

Fragen wir den lieben SWR!

Sabrina Haane

Die Lage ist schon skurril: Nachdem die Schweizer Medi­en­gruppe (u.a. die Aargauer Zeitung) fragte, wie die Schweizer Super­markt­kette MIGROS es mit Russ­land hält und mit ihrer Verpflich­tung von bei den MIGROS-Konzerten, antwor­tete ein Spre­cher der Firma, der SWR habe ihm versi­chert, dass der Diri­gent die Werte des Orches­ters teile und im Übrigen die Ehren­pro­fessur in Moskau (wir haben letzte Woche berichtet) abge­lehnt hätte. Das habe Curr­entzis dem Orchester gegen­über angeb­lich schrift­lich mitge­teilt. Merk­würdig nur, dass verschie­dene russi­sche Zeitungen von der Verlei­hung des Titels berichtet haben, ebenso wie verschie­dene Tele­gram-Kanäle. Und auch die spani­sche Zeitung El País berichtet in ihrer aktu­ellen, sehr lesens­werten Recherche in einem einsei­tigen, sehr umfang­rei­chen, sehr kriti­schen Text zu Curr­entzis« Russ­land­nähe über die Ehren­pro­fessur. Von einer Ableh­nung war bislang nirgendwo zu lesen.

Ich wollte wissen, was genau Curr­entzis geschrieben hatte, wann er die Professur zurückgab und wie der SWR sich inzwi­schen gegen­über den anderen Russ­land-Abhän­gig­keiten ihres Chef­di­ri­genten posi­tio­niert. Also schieb ich den Pres­se­spre­cher des SWR, Matthias Claudi, an und die Orchester-Verant­wort­liche, Sabrina Haane. Ich bekam, mal wieder: keine Antwort. Es ist schon befremd­lich, dass das Orchester eines öffent­lich-recht­li­chen Senders, der für Quali­täts­jour­na­lismus steht, es nicht für nötig hält, Nach­fragen zum eigenen Handeln zu beant­worten. Meine Fragen sind hier nach­zu­lesen, wenn Sie an Antworten Inter­es­siert sind, müssten Sie aller­dings wohl selber beim SWR Sympho­nie­or­chester nach­haken (kommunikation@​swr.​de). 

Italien macht Ernst

Vor einigen Wochen habe ich an dieser Stelle über die Situa­tion der Kultur in auto­ri­tären Ländern berichtet: Im Podcast haben wir mit Ádám Fischer und auf die Situa­tion in Ungarn und Italien geschaut. Nun hat auch der Stan­dard das Thema aufge­griffen, denn Italien macht nun Ernst.

Die Regie­rung von Giorgia Meloni erlässt ein Gesetz, dass Leiter von Kultur­in­sti­tu­tionen nicht über 70 Jahre alt sein sollten. Gerichtet eigent­lich gegen den Chef der öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk­an­stalt RAI, hat es auch Auswir­kungen auf die Klassik: Der Inten­dant des Teatro San Carlo in Neapel, der Fran­zose Stéphane Lissner, ist eben­falls betroffen – und hat Beschwerde einge­legt. Betroffen wäre auch der Scala-Inten­dant , derzeit 67 Jahre alt – sein Vertrag läuft 2025 aus. Der Staats­se­kretär für Kultur, Vittorio Sgarbi, fordert schon seit einiger Zeit, dass zumin­dest der Inten­dant der Scala und der Direktor der Uffi­zien in Florenz einen italie­ni­schen Pass haben sollten. Die Uffi­zien werden seit 2015 vom Deut­schen Eike Schmidt geführt. 

Perso­na­lien der Woche 

Die Sängerin hatte sich vor ihrem Auftritt bei der Krönung von Charles III. bei einer Auffüh­rung in Wien das Bein verknackst. Sie sang trotzdem – danach kurierte sie ihre Verlet­zung in einem Kran­ken­haus aus. Alles Gute! +++ Wies­baden soll heute mal eine Fußnote bleiben, um Kai Uwe Laufen­bergs Ego nicht weiter zu schmei­cheln: Zum einen hat sich das Orchester klar gegen den Auftritt mit (und damit auch gegen den Inten­danten) posi­tio­niert, zum anderen sorgte ein Bild für Aufsehen, das den Cast der Oper Nabucco zeigt – viele schneiden lustige Grimassen. Geschmacklos, nicht nur gegen­über den Demons­tran­tInnen, sondern auch, weil es sich um eine Veran­stal­tung zu Gunsten von poli­ti­schen Gefan­genen handelte. Das System Laufen­berg reißt sich hier selber die Masken des Mitge­fühls aus dem Gesicht.

Welche Rolle spielte wirk­lich im Herbst 1989 – eine andere als die des Revo­lu­tio­närs, schreibt Clau­dius Böhm, der Leiter des Gewand­haus­ar­chivs, in einem lesens­werten Essay im VAN Magazin. +++ Der Gründer der 12 Cellisten der Berliner Phil­har­mo­niker, Rudolf Weins­heimer, ist im Alter von 91 Jahren gestorben

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Viel­leicht ja hier: Der Landes­mu­sikrat Berlin bietet kosten­lose Diri­gier-Work­shops für junge Menschen zwischen 15 und 19 Jahren an: Der mehr­tei­lige Kurs findet in diesem Jahr mit den Schwer­punkten Orchester, Chor, Big Band sowie dem neuen Schwer­punkt Drums & Impro in der Sophie-Scholl-Schule in Schö­ne­berg statt. In dem Kurs erlangen Schü­le­rInnen musi­ka­li­sche, orga­ni­sa­to­ri­sche und soziale Kompe­tenzen und sind dann in der Lage, Ensem­ble­proben bzw. Teil­proben oder Stimm­grup­pen­proben quali­fi­ziert anzu­leiten. Die Teil­neh­me­rInnen erhalten ein Zerti­fikat über ihre Ausbil­dung zur/​zum „Musik­men­torIn“. Mehr Infos: hier

Ach ja, und wenn Sie hören wollen, was Doro­thea Gregor und ich über die Klassik-Woche zu sagen haben, dann geht es hier direkt zu unserem aktu­ellen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier für alle Formate)

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr 

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: SWR Symphonieorchester