KlassikWoche 22/2021

Skandal in Vene­zuela, Allerlei in Dresden und Urlaub in Brixen

von Axel Brüggemann

31. Mai 2021

Die Pädophilen Vergehen im venezolanischen El Sistema, der Wagner-Podcast Soft Valkyrie, die Nachfolge von Christian Thielemann

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit unap­pe­tit­li­chen Details aus dem Alltag von „El Sistema“, einer Debatte um Grüt­ters Staats-Kohle und einem legen­dären Treffen mit

DAS ENDE VON „EL SISTEMA“ 

José Antonio Abreu  und die Musikschule El Sistema

Vor über einem Jahr habe ich an dieser Stelle bereits über ein Gespräch mit dem Jour­na­listen Geoff Baker berichtet, der seit Jahren über die Geschichte des vene­zo­la­ni­schen Musik-Systems „El Sistema“ recher­chiert. Seither ist es „ein offenes Geheimnis“ (so wie es bei eben­falls immer ein „offenes Geheimnis“ war), dass die Musik­schule um ihren Gründer eine ekel­hafte Insti­tu­tion war, in der Pädo­philie, Demü­ti­gungen und selbst Verge­wal­ti­gungen junger Musi­ke­rinnen gang und gäbe waren. All das offen­bart auf erschre­ckende Weise nun auch ein Artikel der Washington Post, nach dessen Lektüre jeder Inten­dant, der das Orchester trotz aller „offenen Geheim­nisse“ noch einge­laden hat, sich schämen sollte. Spätes­tens jetzt ist klar: Die vermeint­liche Vorzei­ge­schule „El Sistema“ war für viele junge Musi­ke­rinnen und Musiker eine wahre Hölle. Es ist an der Zeit, auch die euro­päi­sche Abtei­lung von „El Sistema“ zu befragen, unter ihnen Marshall Marcus oder Maria Majno, die noch immer EU-Steu­er­gelder bekommen, um den Namen eines Systems zu promoten, das offen­sicht­lich voll­kommen gegen euro­päi­sche Werte verstößt? Liebe EU-Kultur­po­li­tiker – könnt Ihr das bitte klären?

WALKÜREN-PODCAST UND KONZERT­HAUS COMIC

Aus der Graphic Novel von Felix Pestemer über das 200. Jubiläum des Konzerthauses in Berlin

Ich werde nie vergessen, wie ich mit Englands , mit , die Live-Über­tra­gungen für Sky England von den Bayreu­ther Fest­spielen über­tragen habe. Ein wunder­barer, verrückter Wagne­rianer, der nun der Erzähler in einem wunder­baren, verrückten Wagner-Podcast ist, an dem neben der Nieder­län­di­schen Oper auch die Staats­oper betei­ligt ist.

Der Podcast „Soft Valkyrie“ erzählt auf den gängigen Strea­ming-Platt­formen die Geschichte von Wagners Oper über Liebe, Inzest und Verrat. Die Produk­tion von ist unbe­dingt hörens­wert! Dazu passt übri­gens, dass der Künstler Felix Pest­emer zum 200. Jubi­läum des Konzert­hauses in eine Graphic Novel gemalt hat, die nun im Berliner avant-verlag erschienen ist. Der Band bietet Klassik-Neulingen und allen Inter­es­sierten einen guten Einstieg in die Geschichte des 1821 eröff­neten Baus, kann aber auch Kenner der Historie mit manch kurioser Anek­dote über­ra­schen.

WO IST DENN DAS GELD GEBLIEBEN? 

Es hat gedauert, bis die Corona-Krise fast zu Ende war, bis die deut­sche Kultur­po­litik von Monika–ich-kündige-einfach-mal-alles-an-Grütters so etwas wie pass­ge­naue Konzepte für die Kultur­land­schaft aufge­legt hat. Immerhin: 2,5 Milli­arden Euro fließen in das neue Kultur­paket, mit dem Veran­stalter unter­stützt werden sollen, die weiterhin gezwungen sind, vor gerin­gerem Publikum zu spielen (jede verkaufte Karte soll mit 100 Prozent subven­tio­niert werden), und zum anderen Veran­stalter, die das Risiko einer Absage auf sich nehmen (da springt der Staat jetzt ein). „Immerhin“, könnte man sagen, „ein posi­tives Zeichen in der aktu­ellen Aufbruchs­stim­mung.“ Aber, es wird in Zukunft wohl auch darum gehen, genau hinzu­sehen, was mit den bishe­rigen Hilfs­gel­dern passiert ist. Das, so hört man, passiert gerade bei der Rund­funk Orchester und Chöre gGmbH Berlin (ROC) von in Berlin. 

Aber auch andere Theater, Opern­häuser und Orchester werden wohl noch gefragt werden: „Was ist eigent­lich mit den Geldern passiert, die Ihr mehr einge­nommen habt, obwohl Ihr Euren Laden dicht gemacht habt?“ Viele Insti­tu­tionen haben zusätz­lich zu Subven­tionen auch Kurz­ar­bei­ter­geld kassiert und darüber hinaus auch noch gespart, indem sie keine Gelder in laufende Produk­tionen stecken mussten. Viele Theater stehen finan­ziell jetzt besser da, als wenn sie gespielt hätten. Das alles in einer Zeit, in der solo­selbst­stän­dige Künst­le­rinnen und Künstler grund­le­gende Exis­tenz­ängste hatten. Eine Aufar­bei­tung dieses Zwie­spaltes steht noch aus. 

DRESDNER ALLERLEI

An dieser Stelle haben wir die Rolle von immer wieder beleuchtet – offen, realis­tisch und aus verschie­denen Perspek­tiven. Was in diesen Tagen erstaunt, ist, wie viele Kommen­ta­toren die letzten Jahre still und schwei­gend beob­achtet haben, um nun umso genuss­voller nach­zu­treten. Es zeigt sich, dass die öffent­liche Meinung ein merk­wür­diges Geschäft mit vielen Fähn­lein im Wind ist. Voll­kommen ohne Öffent­lich­keit hat Thie­le­mann am Donnerstag nach einer Probe zu seiner Staats­ka­pelle gespro­chen.

CRESCENDO-Podcast: Hidden Secrets of Clas­sical Music – Folge 5
„Bitte schreiben Sie Musik wie Wagner, nur lauter!”
Detek­tiv­ge­schichten aus der Welt der Klassik

Emotional und leiden­schaft­lich sei es zuge­gangen, heißt es, keine Abrech­nung, sondern eine Liebes­er­klä­rung in schwie­rigen Zeiten. Manche Kollegen handeln derzeit als Nach­fol­gerin, ich halte das noch für Kaffee­satz­le­serei, ebenso wie die Mär von einer Findungs­kom­mis­sion, die angeb­lich bereits einbe­rufen sei. Kommendes Wochen­ende sind Thie­le­mann und Kapelle erst einmal gemeinsam auf Tournee, unter anderem in : Ich werde hingehen!

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Wie es in wird: Public Viewing? Publi­kums­größe? Kino­über­tra­gungen?… Das weiß derzeit nur wenn über­haupt. Umso span­nender für alle Wagne­rianer, sich die Zeit mit einem neuen Spiel­zeug zu vertreiben: Der Nach­lass von im Natio­nal­ar­chiv der Richard-Wagner-Stif­tung Bayreuth ist ab sofort in einer Online-Daten­bank verfügbar. Die Adresse zum Wagner-Glück: www​.wagner​mu​seum​.de/​s​a​m​m​l​u​n​g​-​o​n​l​ine. +++ Der Sänger ist mit seiner Bewe­gung #aufste­hen­fuer­die­kunst endgültig mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde beim Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt geschei­tert. Aber, hey: Er singt ja wieder, und das macht er auch wesent­lich besser als Politik. Zu sehen ist das derzeit im Stream von Aribert Reimanns Lear“ an der Baye­ri­schen Staats­oper in auf . +++ 

Der Verwal­tungsrat des Deut­schen Bühnen­ver­eins hat Claudia Schmitz zu seiner neuen Geschäfts­füh­renden Direk­torin gewählt. Sie wird ihre Tätig­keit am 1. Januar 2022 aufnehmen und über­nimmt damit die Nach­folge von Marc Grand­mon­tagne, der nach fünf Jahren sein Amt aus fami­liären Gründen abgibt. +++ Sir Peter Jonas war eine Inten­danten-Legende an der Baye­ri­schen Staats­oper in München. Dem Deutsch­land­funk gefällt eine neue Biografie, die Julia Glesner über ihn verfasst hat. +++ Letzte Woche haben wir über den Austritt von sechs Schrift­stel­le­rinnen und Schrift­stel­lern aus der Baye­ri­schen Akademie der Schönen Künste berichtet – nun erklärt in der Süddeut­schen, warum dieser Schritt nötig war und ob er eine Zukunft für die über­al­terte Insti­tu­tion sieht.

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Für mich ganz persön­lich: dass es endlich wieder losgeht. So wie die Künst­le­rinnen und Künstler war das letzte Jahr auch für uns Mode­ra­to­rinnen und Mode­ra­toren nicht immer ganz leicht – meine erste Reise führt mich nun nach Brixen: Das neue Festival, die Brixen Clas­sics, eröffnen hier im wunder­schönen Südtirol meine ganz persön­liche Klassik-Saison. Dabei vom 13. bis 20. Juni sind bei Konzerten zwischen Wein und Kuli­narik die wunder­bare , der Oboist und – einge­sprungen für – der Tenor . Viel­leicht sehen wir uns ja in Brixen, wenn der Klassik-Sommer endlich beginnt? Und noch etwas Posi­tives habe ich: In meinen alten Aufnahmen habe ich eines der inspi­rie­rendsten Gespräche gefunden, die ich in meiner Karriere geführt habe. Ein Inter­view mit Hans Werner Henze. Ich habe es mal auf Hörlänge zusam­men­ge­schnitten und lege es Ihnen mit großem Schmun­zeln ans Ohr.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

AXEL BRÜG­GE­MANN

brueggemann@​crescendo.​de

P.S.: Ich habe in der letzten Woche derart viele Leser­briefe bekommen, dass mir zum ersten Mal die Zeit gefehlt hat, alle zu beant­worten – ausge­rechnet jene, die „nur Mal loben wollten“, sind zu kurz gekommen. Keine Sorge: Antwort kommt noch, aber an dieser Stelle schon Mal kollektiv: Danke für Ihre Treue!