KlassikWoche 24/2022
Kommt doch bitte alle wieder!
von Axel Brüggemann
13. Juni 2022
Christian Gerhaher, Anne-Sophie Mutter, Igor Levit u.a. für das Münchner Konzerthaus, den Probenbeginn bei den Sommerfestspielen, Barrie Koskys Plädoyer für die Gattung Oper.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
wir schnuppern schon mal ein bisschen Festspielluft, hören der Beschimpfung einer Legende zu und schauen uns die Auslastungszahlen der deutschen Bühnen an.
Puuuuublikum!!!!
Die Debatte um die schwindenden Publikumszahlen nimmt an Fahrt auf. In meinem Podcast „Alles klar, Klassik“ hatte ich das Thema mit Simone Dollmann und Professor Martin Zierold besprochen – beide waren der Auffassung, dass Häuser ihrem Publikum wieder näherkommen sollten. Der ORF hat nun auch Christian Kircher, den Geschäftsführer der Österreichischen Bundestheater Holding, zu diesem Thema befragt – durchaus kritisch, denn noch immer scheinen viele Theaterschaffende gut darin, in Krieg und Corona Ausreden zu finden, statt auch sich selber zu bespiegeln.
Einen sehr lesenswerten Beitrag zur Debatte hat Michael Wimmer von der Universität für Angewandte Kunst diese Woche vorgelegt, er erklärt, dass ein weitgehend aus dem 19. Jahrhundert stammendes Kulturbetriebssystem an sein Ende kommt: „Das alles hinterlässt beträchtliche Wirkungen auch im Kulturbetrieb, der in diesen Tagen die größte Existenzkrise seit 1945 erfährt. Entsprechend groß ist der Widerstand so mancher Beharrungskräfte, die Kulturpolitik als ein weitgehend additives Verfahren lieben gelernt haben, das auf strukturelle Veränderungen verzichtet und Fragen der Umverteilung trotz systemischer Ungleichbehandlung möglichst vermieden hat. Mit dem Alibi der Autonomie der Kunst sollten möglichst keinerlei Schwerpunkte gesetzt werden.“ Ich persönlich habe mich am Wochenende mal durch die Saalpläne deutschsprachiger Theater geklickt (siehe Screenshot) – die Bilanz war ziemlich ernüchternd: Fast überall sind noch unendlich viele Karten zu haben. Was ich aber viel erschreckender fand, waren die Internetseiten der Häuser, die es ihren BesucherInnen wirklich schwer machen, überhaupt auf die Seiten der Online-Tickets zu kommen (wo die eigentliche Buchungs-Herausforderung dann erst beginnt)! An vielen Häusern prangen unübersichtliche Nachrichten-Blöcke auf der ersten Seite, Lobhudeleien in eigener Sache – aber, hey: Müsste der erste Klick auf Euren Seiten nicht direkt zum aktuellen Spielplan und zum Online-Ticket führen, das dann auch so leicht zu buchen sein sollte wie das 9‑Euro-Ticket?
Herr Peymann, nehmen Sie das zurück!
Tatsächlich scheint es so, dass das aktuelle Kultursystem derzeit auf vielen Ebenen in Frage gestellt wird: Was die politische Verantwortung der Institutionen betrifft, was die Nachhaltigkeit des Betriebes betrifft und was seine Führungspositionen betrifft. Die Zeiten wandeln sich! Und das ist gut so. Zu lesen gerade in einem genial formulierten, öffentlichen Brief der Schauspielerin Mareile Blendl an den Regisseur Claus Peymann.
Und das hört sich so an: „Sehr geehrter Claus Peymann, nehmen Sie das zurück! In Ihrem Interview, das Sie Ulrich Seidler am 29. 05. in der Berliner Zeitung gegeben haben, unterstellen Sie „Ihren Schauspielern“, zu denen auch ich einmal gehörte, dass wir Sie lieben, gerade weil Sie uns angebrüllt haben. Bitte! Nehmen Sie das zurück. Ich habe Sie nie geliebt. Ich kenne auch keine Kolleginnen oder Kollegen, die das tun. Niemand wird gerne angebrüllt. Es ist kein künstlerischer Vorgang. Es ist Missbrauch. Von Macht.“ Wie es weitergeht, können Sie hier lesen.
Konzerthaus-Kämpfe in München
Die Debatte um das geplante Münchner Konzerthaus wird immer vertrackter – und (dieses Problem ist von Markus Söder wohl auch gewollt) immer unüberschaubarer. Die Stiftung Neues Konzerthaus München veröffentlichte am Freitag einen Brief an die Kuratoriumsmitglieder. Man wolle und werde „diese irrlichternden Meinungsschwankungen der Politik und ihr Einknicken bei Gegenwind“ nicht hinnehmen.
„Wir empfinden das Vorgehen des Ministerpräsidenten als höchst befremdlich. Jede weitere Verzögerung des Projekts bedeutet eine kolossale Kostensteigerung“, schreiben die Vorstandsmitglieder Georg Randlkofer und Hans Robert Röthel. Sie weisen darauf hin: Wenn das Haus nicht gebaut werde, fielen für die Steuerzahler dennoch die bereits investierten Planungskosten von rund 27 Millionen Euro an. Künstlerinnen und Künstler wie Georg Baselitz, Christian Gerhaher, Anne-Sophie Mutter, Zubin Mehta, Igor Levit sowie Vertreter aus der Unternehmerbranche wie Roland Berger, René Benko, Nina Hugendubel oder Wolfgang Reitzle befürworten den Bau. Tatsächlich bräuchte das Haus, wenn es eine Chance haben will, mehr Sinnlichkeit in der Debatte, mehr engagierte Persönlichkeit, etwa von Simon Rattle – es fehlt den Befürwortern die zwingende Emotion.
Festspielgeflüster
So langsam wird es spannend, in den Festspielorten beginnen die Proben. Die Bayreuther Festspiele haben gerade den Wechsel einer ersten Personalie bekanntgegeben: Statt John Lundgren werden Egils Silins und Tomasz Konieczy sich die Rolle des Wontans im neuen Ring von Valentin Schwarz teilen. Und in Salzburg verschließt man weiterhin die Augen vor drängenden Fragen in Sachen Sponsoring, Teodor Currentzis« und des Orchesters musicAeterna, in dessen Vorstand drei der wichtigsten Putin-Freunde sitzen, das seit 2020 von der Medien-Holding von Putins Geliebter unterstützt wird und das, statt sich zu positionieren, eine von Gazprom gesponserte Russland-Tour an Gazprom-Orten unternommen hat. Man könnte denken, dass spätestens das ein Statement der neuen Festspielpräsidentin Kristina Hammer herausfordern würde – doch von wegen! Die entdeckt in peinlichen Social-Media-Clips (siehe Screenshots oben) lieber ihr neues Haus und lässt sich huldvoll auf offener Bühne von ihren MitarbeiterInnen begrüßen. Muss man sich auch erst mal trauen! Mich würde mal interessieren, wie Pianist Igor Levit, der ansonsten keine Gelegenheit auslässt, sich politisch zu positionieren („Gegen Antisemitismus“, „Gegen Klimawandel!“, „Gegen Ausländerfeindlichkeit!“ und „Für die Ukraine“), sich zu seinem Salzburg-Konzert am 25. Juli mit Putins Palastorchester musicAeterna positioniert. Aber vielleicht ist es einfach nicht lukrativ und ungefährlich genug, auch in diesem Fall mal eindeutig Position zu beziehen.
Personalien der Woche
Jetzt ist es auch ganz offiziell, wie auf dieser Seite vor einem halben Jahr gemeldet, wurde Klaus Mäkelä nun als designierter Chefdirigent des Concertgebouworkest vorgestellt. Die Crux: Der vielbeschäftigte Finne wird sein Amt erst 2027 antreten. Gab es wirklich keine andere Wahl, als eines der wichtigsten Orchester so lange führungslos durch diese Krisenzeit schippern zu lassen? +++ In einem großen Interview mit Ben Miller zieht Regisseur Barrie Kosky im VAN Magazin Bilanz seiner Intendanten-Ära an der Komischen Oper in Berlin. Unter anderem erklärt er: „Die Zeiten, in denen einzelne Sängerinnen oder Sänger ein Haus ausverkaufen konnten, ist sicherlich bald zu Ende. Das gibt es nicht mehr. Aber ich finde es skandalös, dass JournalistInnen immer noch behaupten: ‚Die Oper ist tot.‘ Vor Corona haben wir an der Komischen Oper 220.000 Karten pro Jahr verkauft, in Berlin an den drei großen Opernhäusern insgesamt 700.000 pro Jahr. Du kannst mir nicht erzählen, dass diese Kunstform tot ist. Wenn das Durchschnittsalter unseres Publikums 49 Jahre beträgt, kannst du mir nicht erzählen, dass die Oper ein Auslaufmodell ist.“
Leben Sie wohl, Dicker Klaus
Wahrscheinlich gibt es für jeden von uns Identifikationsfiguren, Menschen, die – ohne es zu ahnen – Grund dafür sind, dass wir so sind, wie wir sind. Ich hatte das zum ersten Mal beim Tod des Kritikers Hans-Klaus Jungheinrich gespürt – und nun auch, als Bremens alter Theater-Intendant Klaus Pierwoß gestorben ist. Pierwoß war einer der ersten Westdeutschen, die den „Ossi“ Frank Castorf an eine westliche Bühne holten – und er übernahm das Bremer Theater 1994, um es mit neuen Mitteln zu alter Größe zurückzuführen. Pierwoß war ein Leidenschafts-Mensch, ein Kämpfer, der für sein Ensemble und sein Haus rang, wenn nötig auch mit zwei Boxhandschuhen, die in seinem Büro hingen und „Faust I“ und „Faust II“ hießen. Pierwoß kämpfte um jeden Pfennig, was ihm die Feindschaft eines Großteils der CDU-Lokalpolitik einbrachte (die ihm nun aber glaubhaft schöne Worte hinterherrief), er war ein PR-Genie, der schon früh Smoking und Werder-Trikot mit Otto Rehhagel tauschte. Ich traf ihn nach seiner Amtszeit zuweilen in Charlottenburg zu lukullischen Einladungen, der Dicke Klaus ließ es sich und seinen Gästen stets gut gehen. Möge er, wo immer er jetzt sei, diesen Geist weiter in die Welt tragen – und sei es in unserer Erinnerung! Danke für alles, Klaus Pierwoß.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht dort, wo Traditionen gepflegt und Neues erfunden wird. 1981 stellte Herbert von Karajan die CD als neues Medium vor – ihr Siegeszug war nicht sicher. Doch die Erfindung wurde zu einem Erfolg, der jetzt allerdings abebbt. Streaming scheint der neue, große Musik-Markt. Aber wer verdient daran? Und was wird aus der CD? Ich diskutiere all das mit Johannes Kernmayer vom Label Capriccio und mit Till Janczukowicz, dem Erfinder und Chef des Klassik-Stream-Anbieters Idagio in meiner neuen Folge von „Alles klar, Klassik?“ (hier nachzuhören für alle Podcast-Formate).
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
AXEL BRÜGGEMANN