KlassikWoche 25/2020

Eine Hommage an Euch alle!

von Axel Brüggemann

15. Juni 2020

Eine Liste der Musik-Corona-Helden, Barrie Kosky, der König der Corona-Intendanten und die CRESCENDO-Spenden-Aktion.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

ich glaube, ich hatte einen Corona-Rappel! Und ich glaube, viele andere haben den auch: So langsam wird – zum Glück – wieder gespielt, manche kämpfen noch immer ums Über­leben: der Aktio­nismus gras­siert. Ich bin sicher: Corona – auch ohne Infek­tion – macht die Guten besser, die Nervigen nerviger, die Coolen cooler und die Idioten idio­ti­scher. Und das Normale verlangt jeden Tag einen neuen Kampf. Wer und was ist uns wichtig? Die Menschen, die wir lieben, die Natur, der Sport – und, klar: die Musik! Das Virus lässt viele Künstler kämpfen, verlassen von Politik und großen Medien. Erst recht ein Grund, nicht gegen­ein­ander, sondern fürein­ander zu kämpfen! Aus all diesen Gründen hier der ulti­ma­tive NUR POSI­TIVE NEWS­LETTER. Eine Hommage an alle, die gerade viel für andere Menschen tun und viel­leicht gar nicht mehr spüren, was sie alles bewegen! 

GALERIE DER CORONA-KLASSIK-HELDEN

Diese Liste ist sehr persön­lich – und, dieses vorweg, sie wird viele Menschen vergessen. Aber ich habe mir Hilfe geholt, unter anderem in einer Face­book-Umfrage. Da schrieb der Hornist Hans Jörg Wagner zum Beispiel: „Ich denke an Robert Baer­wald und Miriam Zimmer­mann, die meine Kinder wunderbar online unter­richtet haben.“ Zwei Musik-Corona-Helden, stell­ver­tre­tend für alle Musik­lehrer, die neue Wege gegangen sind! +++ Fernab aller Star-Egos gab es für mich span­nende Neuent­de­ckungen wie den Orga­nisten Rudolf Lutz, der für die J.S. Bach-Stif­tung mit seinen One-Man-Shows aus St. Gallen so unprä­ten­tiös für seine Leiden­schaft begeis­tert. +++ Eine echt sinn­liche Idee: Nachts in der Phil­har­monie mit dem Pianisten Kai Adomeit. +++ Jemand wie der Geiger hat uns allen, beson­ders dem guten alten Fern­sehen, aber auch den Klassik-Leuten im Netz gezeigt, wie neue Formate aussehen könnten. Sein YouTube-Kanal ist beste Unter­hal­tung auf höchstem Niveau! +++ Der Jour­na­list Claus Fischer schrieb mir, dass er durch Albrecht Koch getröstet wurde, der im Lock­down an der großen Silber­mann­orgel im Frei­berger Dom ein gran­dioses Orgel­kon­zert mit Werken zur Passi­ons­zeit im Live­stream gespielt hat.

+++ Bewe­gend war , der in der Johan­nes­pas­sion in der Leip­ziger Thomas­kirche am Karfreitag aufge­treten ist. +++ Der Geiger hat poli­tisch wich­tige State­ments abge­geben, vor allen Dingen aber hat er trotz tech­ni­scher Schwie­rig­keiten wunder­bare Musik gemacht . +++ hat so wunder­schön und authen­tisch von ihrem Balkon gesungen. +++ Als groß­ar­tiger Musi­ker­klärer hat sich der Pianist präsen­tiert – und so diszi­pli­niert in seiner Musik-Serie, Musique ma partie!, in der er die großen Werke der Klassik erklärt. +++ Das Wich­tigste in schweren Tagen ist: Humor. Und den haben Leute wie der Bass gehabt, die uns durch ihre Polter-Art immer wieder heraus­for­dern uns gleich­zeitig aber auch herr­lich zum Lachen bringen – durch das Semper­oper-Singen mit Zahn­bürste (mit Camilla Nylund und dem sich dauer­fö­nenden Klaus Florian Vogt) oder, wenn Pape – in bester Monty-Python-Manier – seine Stimme mit Olivenöl ölt. +++ Mit der Gambistin Madda­lena Del Gobbo habe ich einen sehr unter­halt­samen Talk geführt, weil sie Corona genutzt hat, um selber sehr unter­haltsam auf Insta­gram zu talken – unter anderem mit Lorenzo Viotti. +++ Klar, ist eine Corona-Gewin­nerin, singt wieder überall – aber ihre Fami­li­en­aus­flüge auf dem Insta­gram-Profil haben uns mindes­tens ebenso prächtig unter­halten: inzwi­schen sind die Balkone fertig gemalt, Zeit wieder aufzu­treten. +++ Trös­tend die beschei­dene Zufrie­den­heit von , der gemeinsam mit seiner Frau in ausge­harrt hat und nun seine wunder­bare Aufnahme-Vincerò! vorstellt +++ Von Geiger Itzhak Perlman haben wir gelernt, dass es in der Krise nicht nur um große Musik, sondern auch um leisen Humor geht. +++ Den Fokus auf andere richten, das war die Idee von Artists for Refu­gees, die Nikolaj Lund und Antonia Paulus gegründet haben. +++ Ein umstrit­tener Held der Corona-Zeit war sicher­lich Tenor , schon deshalb, weil er mit seinem Kerzen-Trick nicht nur eine Debatte begonnen, sondern auch die gute alte Knoff-Hoff-Show wieder­be­lebt hat. +++ Herr­lich zupa­ckend war , der mit seiner Inter­na­tional Touring Organ durch die Gegend gezogen ist und vor Sozi­al­ein­rich­tungen gespielt hat. +++ Lohnens­wert die Videos von Diri­gentin Eva Meitner, die uns unter anderem in klugen Gesprä­chen, aber auch auf ihrer Toy-Piano-Samm­lung begeis­tert. +++ Entgegen aller Gratis-Konzerte haben The Twio­lins, Marie-Luise Dingler und Chris­toph Dingler profes­sio­nelle Online-Konzerte mit Vivaldi und Neuer Musik gegeben und ein Bezahl­mo­dell gefunden – Chapeau! +++ Und auch Marco Battistella vom West­bahn-Studio hat mit seinen akus­tisch perfekten Live-Streams gezeigt, dass wir alter­na­tive Wege gehen können – und müssen. +++ Der Pianist Alex­ander Krichel hat als erster in einem Auto­kino gespielt. +++ Oper rund um, allen voran Anna Katha­rina Bern­reitner, hat uns mit ihrer wunder­baren Online-Fleder­maus aus den härtesten Lock­down-Tagen gezeigt, dass es in der Oper in erster Linie um Menschen geht. +++

———- Jetzt auf CRESCENDO​.DE ————————

Lionel Bringuier in seiner Heimatstadt Nizza

Lionel Brin­guier: »Aus Nizza ziehe ich meine Energie, aus den vielen Menschen hier, dem Leben in dieser Stadt.«

Der Diri­gent und Cellist Lionel Brin­guier zeigt seine Heimat­stadt Nizza, die Grande Dame an der Engels­bucht. Lesen Sie sein Porträt auf CRESCENDO​.DE.

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Gelitten hat Diri­gent , als sein Debüt mit den „Sieben Toden der Maria Callas“ an der Baye­ri­schen Staats­oper gestri­chen wurde – gestern hat er dafür ein bewe­gendes Video mit ins Netz stellen dürfen – sehens­wert! +++ Und weil wir das Gute wollen, danken wir an dieser Stelle auch Inten­dant Niko­laus Bachler, der uns zu so schönen Video-Eigen-Produk­tionen inspi­riert hat (und gerade ein Inter­view gegeben hat), ebenso wie unserem neuen Freund (AAAACH­TUNG– zur Feier des Tages mal in richtig richtig!!!) , der sein Haus in als eines der ersten geöffnet hat (los Uwe Eric – das mit der Mitar­bei­ter­füh­rung kriegst Du auch noch hin!) +++ Wir haben es an dieser Stelle immer schon geschrieben: König der Corona-Inten­danten ist mit seinen herr­li­chen Videos. +++ Stell­ver­tre­tend für all die Ensem­bles, Orchester, Chöre und Theater, die uns gezeigt haben, dass sie für uns spielen wollen, sollen hier die mit ihrem Video Refle­xions of Hope stehen. +++ Am Ende, kein Geschleime, aber es sind eben immer auch die persön­li­chen Entde­ckungen und die Bestä­ti­gungen von Freund­schaften, die in diesen Situa­tionen auf dem Prüf­stand stehen: Und deshalb danke ich gerade an dieser Stelle CRESCENDO-Heraus­geber Winfried Hanu­schik, der nach einem unserer Tele­fo­nate ohne zu zögern und mit viel eigener Hingabe die erste große Spenden-Aktion über­haupt auf die Beine gestellt hat – wir konnten 40 Musi­kern mit 500 Euro in der größten Not helfen. +++ All das ist nur ein unvoll­kom­mener Ausschnitt, aber ein Beweis, wie kreativ und groß und sinn­lich die Kunst – nein, die Künst­le­rinnen und Künstler – sind! Abge­sehen von jenen, die eben nicht sichtbar werden konnten oder wollten und deren Verstummen eben­falls ein akus­ti­sches Signal dieser Tage darstellt. Es gäbe so viel, was größere Aufmerk­sam­keit, als eine Nische in Netz verdient hätte.

GUTES AUS SALZ­BURG UND BAYREUTH

Auf meinem Weg aus der Groß­stadt in die Natur bin ich durch Salz­burg und Bayreuth gefahren. Die werden statt­finden und zwar größer als gedacht. Ich habe einen müden, aber glück­li­chen Inten­danten getroffen. Er ist Corona-Held, weil er ein Mammut-Programm auf die Beine gestellt hat: Unend­lich viele Konzerte, zwei Opern: „Elektra“ mit Franz Welser-Möst und „Così fan tutte“, die keine „Covid fan Tutte“ wird, wie Hinter­häuser erklärt. Klar, auch er weiß, dass „das Ganze in dieser Zeit auf sehr, sehr dünnem Eis“ gebaut ist. Hinter­häuser hofft, dass die Salz­burger Fest­spiele positiv auf andere Festi­vals wirken.

„Glaserl“ in Salz­burg habe ich – aus ganz anderen Gründen – mit Sarah Wedl-Wilson getrunken, der Rektorin der Musik­hoch­schule Hanns Eisler in und der Aufsichts­rats­vor­sit­zenden der . In dieser Woche hatten wir ja bereits gelernt, wie positiv es ist, dass Diri­gent – und vor allen Dingen sein Inten­dant – den Reporter einer öster­rei­chi­schen Klatsch­zei­tung Namens „News“ gefunden haben, der den letzten Schlamm der verlo­renen Schlacht noch druckt, ohne dass es jemanden inter­es­siert (kein Link hier!). Mir hat Sarah Wedl-Wilson erklärt, was denn nun wirk­lich passiert ist bei den Oster­fest­spielen – und dass Thie­le­mann durchaus hätte weiter­ma­chen können. Das ganze, fast zwei­stün­dige Gespräch, ist am 27. Juni übri­gens auf Klassik Radio und im Podcast Brüg­ge­manns Begeg­nungen zu hören.

Während irgend­eine Jour­na­listin Namens Katrin Sachse sich in der „Bunten“ irgend­etwas über den Gesund­heits­zu­stand von Katha­rina Wagner zusam­men­lügt (auch hier kein Link!, dafür aber der Verweis, dass Wagners „Lohen­grin“ noch zeigen will), ist es schön, dass in Bayreuth wenigs­tens das neue „Holger von Berg-Gedächtnis-Klo“ fertig­ge­stellt wurde (siehe Bild unten). Und noch schöner: Es könnte diesen Sommer, am 25. Juli, tatsäch­lich zur tradi­tio­nellen Bayreuth-Eröff­nung kommen. Denn dann soll – so ist zu hören – ein Konzert mit Chris­tian Thie­le­mann im Fest­spiel­haus statt­finden. An histo­ri­schem Ort, even­tuell ohne Publikum, quasi unsichtbar: Da passt es, dass der Baye­ri­sche Rund­funk das Konzert auch nur im Radio über­tragen will.

UND WAS WAR SONST NOCH GUT?

Ist das nicht absurd: Wir fliegen zum Mond, aber es gibt keine Möglich­keit, dass Musiker virtuell gemeinsam musi­zieren – immer gibt es eine Verzö­ge­rung? Zum News­letter der guten Nach­richten passt es, dass es bald eine Lösung geben könnte! +++ Enga­giert: Sänger und seine Frau Gabriela Scherer wollten Face­book eigent­lich schon verlassen: Jetzt haben sie eine groß­ar­tige Aktion begonnen. Auf der Seite Hear the Voice berichten Sänge­rinnen und Sänger emotional von ihrer Situa­tion in der Corona-Zeit. Exis­ten­zi­elle Hilfe­rufe an die Politik (wir werden das Projekt noch ausführ­lich begleiten). +++ Groß­artig: der Diri­gent ist offen­sicht­lich sogar gegen das Votum der Musiker in Hong­kong (60 Prozent sollen gegen ihn gestimmt haben) als Chef­di­ri­gent der Phil­har­mo­niker verlän­gert worden. +++ Toll auch die Nach­richt im briti­schen Guar­dian, dass es noch gar nicht so schlimm um die Klassik steht (weniger gut: Sir und andere Künstler glauben: Das Schlimmste steht uns noch erst bevor: Schlie­ßungen von Orches­tern und Orches­ter­struk­turen im Fahrt­wind der Wirt­schafts­krise).

+++ Gut ist auch, dass Chris­tian Thie­le­mann sich keinen Kopf mehr um den Neurechten Kultur­amts­leiter in Jörg Bernig, den er unter­stützt hat, zu machen braucht – denn der zieht seine Kandi­datur nun eh zurück. +++ Chris­tian Schwandt und Hans-Georg Wegner werden Kauf­män­ni­scher Geschäfts­führer und Gene­ral­inten­dant am Meck­len­bur­gi­schen Staats­theater. +++ Ist das nicht schön? Paris« neuer Inten­dant, Alex­ander Neef darf früher beginnen, weil sein Vorgänger Stéphane Lissner, der Schulden in Hundert­tau­sender-Höhe ange­häuft hatte, vorzeitig geht. +++ Wotan fährt im „Rhein­gold“ hinab nach Nibel­heim – Quatsch! Die und Donald Runnicles beweisen: Wotan findet die Kröte auf dem Park­deck! Krea­tiver Wagner-Start. Bravo! Aber wir wären nicht Brüg­ge­manns Klas­sik­Woche, wenn am Ende nicht doch noch ein – Tata­ta­tat­aaaaaa – Plagiat auftau­chen würde: Berlins Erda ist eine Copy-Paste-Erda von Frank Castorfs Bayreuth-Erda, oder? Schaut auf diesen Pelz (Rechts das Original an Nadine Weiss­mann, links die: Fälschung?)!

Nur positive Nachrichten über Corona-Helden wie Kai Adomeit, Benedikt Kristjánsson, Kit Armstrong, Markus Hinterhäuser und viele andere.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de