KlassikWoche 26/2023

Richtet Justus Frantz für Putin?

von Axel Brüggemann

26. Juni 2023

Gustavo Dudamel und seine Nähe zu Venezuelas Führung, die neue Intendantin der Semperoper, der Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute geht es um viele Perso­na­lien, um Zoff bei Jugend musi­ziert, wir ordnen Russ­land und seine Kultur und wundern uns über Justus Frantz.

Dudamel und El Sistema

Bereits 2015 habe ich in einem großen Essay für den Cicero über die Rolle der Kultur in bedenk­li­chen poli­ti­schen Systemen geschrieben – damals, nach der Anne­xion der Krim, ging es bereits um und . Aber noch ein Musiker stand in diesem Essay im Zentrum: der zukünf­tige Chef des New York Phil­har­monic Orchestra, . Er war sogar Sarg­träger bei der Beer­di­gung von Vene­zuelas ideo­lo­gi­schem Staats­chef Hugo Chávez. Die Pianistin hat immer wieder zu Recht auf die Nähe von zu Vene­zuelas Führung hinge­wiesen und auf die Propa­ganda-Wirkung von El Sistema. Dudamel bleibt diesem Schul­pro­gramm, das immer wieder auch mit Macht­miss­brauch asso­zi­iert wird, dennoch verbunden – auch heute. Norman Lebrecht berichtet, dass Dudamel seine Zusam­men­ar­beit bei einem Vene­zuela-Besuch gerade erneuert hat – bezahlt wird all das vom Sponsor Banca­miga. 

Russ­land im Umbruch

Während die Lage in Russ­land unüber­sicht­lich ist, hält die Kultur Linie. Der Tschai­kowski-Wett­be­werb, zu dem Vladimir Putin persön­lich einlädt, tut sich schwer, eine inter­na­tio­nale Jury zusam­men­zu­stellen. Unter anderem sind im Kriegs­jahr dabei: Yuri Bashmet, , der Kreml-Pianist , Vladimir Ovchin­nikov und natür­lich Putins Mann für die Panama-Milli­arden, der Cellist Sergei Roldugin. Aber auch der Ex Münchner Phil­har­mo­niker, Lorenz Nastu­rica-Hersch­co­wici, der sich (auch auf Grund von Nach­fragen unseres News­let­ters) als Putin-Sympa­thi­sant outete. Erschre­ckend: Auch Pianist Justus Frantz wird als deut­scher Juror beworben – ob ihm damit seine 80. Geburts­tags­feier beim Schleswig-Holstein Musik Festival vermas­selt wird?

Und was gibt es Neues in Sachen ? Ach Gott­chen: Mühsam ernährt sich das Eich­hörn­chen. Der SWR denkt noch immer darüber nach, ob Alexey Tikho­mirov bei den anste­henden Konzerten singen soll (ich hatte letzte Woche berichtet). Die Öffent­lich­keits­ar­beit von SWR-Orches­ter­chefin Sabrina Haane ist einfach desas­trös – es ist kaum vorstellbar, dass diese Frau nicht gemeinsam mit ihrem Chef­di­ri­genten den Hut nehmen muss. Immerhin dürfen im Konzert­haus Wien von inzwi­schen selbst nied­rige Team-Mitglieder wie Dávid Gajdos vom Audi­ence Deve­lo­p­ment dem russi­schen Diri­genten beim Auszug aus dem Audi­to­rium nicht in den Rücken schießen (meine Meinung über diesen ekligen Oppor­tu­nismus habe ich in einem privaten Face­book Kommentar bereits geschrieben). Ach ja, Curr­entzis ist auch künst­le­ri­scher Leiter des Diag­hilev Festi­vals – geför­dert von: der sank­tio­nierten Sber­bank, der Region Perm und und und … Der Bad Blog of Musick berichtet ausführ­lich über Curr­entzis‘ sank­tio­nierten Geld­geber in Perm und darüber, warum das mindes­tens so scho­ckie­rend ist wie die Finan­zie­rung von musi­cAe­terna. Leute – wann reicht es endlich?

Perso­na­lien der Woche I

Nora Schmid, Inten­dantin in Graz, nimmt Abschied und bereitet sich auf ihre neue Aufgabe als Chefin der Semper­oper in Dresden vor. „Ich bin kein Fan vom austausch­baren Kopro­duk­tion-Zirkus“, sagte sie der Kleinen Zeitung, „wo eine Produk­tion in verschie­denen Städten gezeigt wird. Manchmal habe ich das Gefühl, dadurch gibt es eine Verwäs­se­rung.“ Anne­katrin Fojuth, lange als Orches­ter­di­rek­torin an der Seite von an der Staats­oper in Berlin, wird derweil wohl Nach­fol­gerin von Adrian Jones als Orches­ter­di­rek­torin der Staats­ka­pelle in Dresden.

Der Aufsichtsrat der Theater und Phil­har­monie Essen (TUP) hat beschlossen: Marie Babette Nierenz, derzeit künst­le­ri­sche Leiterin der Phil­har­monie Essen, wird ab kommender Spiel­zeit die Posi­tion der Phil­har­monie-Inten­danz über­nehmen, die seit dem Ausscheiden von im Sommer 2022 vakant ist. Für das Aalto Ballett Essen treten Marek Tůma, aktuell stell­ver­tre­tender Inten­dant und Manager der Essener Compa­gnie, und Aalto-Ballett­meister Armen Hako­byan als Doppel­spitze ab der Spiel­zeit 2024/2025 die Nach­folge von Ballet­tin­ten­dant Ben Van Cauwen­bergh an. +++ Die Staats­oper Stutt­gart hat einen Sieger, was den Inte­rims­standort bei den Wagen­hallen betrifft. Zu sehen ist er hier. 

Mehr Kultur im Rund­funk

Die Rund­funk­räte haben Angst, dass Deutsch­lands öffent­lich-recht­liche Sender ihren Kultur­auf­trag vernach­läs­sigen. Man solle den Bedarf nicht nur „decken, sondern viel­mehr auch Bedarfe wecken und Viel­falt bieten“, fordern die Gremien laut FAZ. Das betreffe auch Themen, die nur Minder­heiten errei­chen. In der Debatte um eine Redu­zie­rung der Klang­körper fordern die Kultur­rund­funk­räte deren unbe­dingten Erhalt. Die Einzel­re­dak­tionen der Anstalten sollten bestehen bleiben und Lokal­re­dak­tionen in ihrer kultur­ver­mit­telnden Aufgabe gestärkt werden. Die Entschei­dungs­fin­dung der Sender müsse nach innen und außen trans­pa­renter werden. FDP-Poli­tiker Gerhart Baum sagte der Süddeut­schen Zeitung, es sei völlig unver­ständ­lich, dass die Axt ange­legt werden solle an die kultu­relle Viel­falt, die das Hörspiel biete. „Diese Kunst­form wird von den Inten­danten gleich­ge­setzt mit anderem, etwa mit Verbrau­cher­themen. Das ist aber etwas komplett anderes.“ Eine span­nende Debatte, die eine große Öffent­lich­keit braucht.

Unge­rech­tig­keit bei Jugend musi­ziert

In einem offenen Brief, der mir gesendet wurde, beschwert sich der Baye­ri­sche Landes­aus­schuss von Jugend musi­ziert über den jüngsten Wett­be­werb in Zwickau. Wolf­gang Graef und Andreas Burger befürchten, dass die Krite­rien der einzelnen Bundes­länder zu unter­schied­lich (und damit unfair) waren: „Etwa eine Woche vor der Austra­gung der Landes­wett­be­werbe stellte die Projekt­lei­tung fest, dass der Bundes­wett­be­werb perso­nell, logis­tisch, finan­ziell und termin­lich nicht mehr wie gewohnt durch­führbar wäre“, heißt es. „Sollten die Teil­neh­mer­zahlen nicht dras­tisch gesenkt werden, drohten Absagen von Bera­tungs­ge­sprä­chen, die Redu­zie­rung der Anzahl der Juroren/​Wertung oder gar die Durch­füh­rung von Wertungen per Video, insbe­son­dere in den Wertungen für Klavier.“

Bayern habe seine Wertungen ange­passt, aber „mit großer Enttäu­schung mussten wir fest­stellen, dass dem Aufruf zur Soli­da­rität nur einige wenige Bundes­länder folgten, andere änderten kaum etwas, wieder andere erwei­terten ihre Weiter­lei­tungen sogar teil­weise deut­lich (…), so dass der Bundes­wett­be­werb durch die Verläss­lich­keit einiger weniger zwar durch­führbar wurde, aber auf Kosten derer, die durch unsere Maßnahmen durchs Raster fielen. Das hat uns nicht nur geschmerzt, sondern verär­gert.“ Es gibt etwas aufzu­ar­beiten in Sachen Fair­ness in der musi­ka­li­schen Jugend­ar­beit. 

Perso­na­lien der Woche II

Max Wagner verlässt im Herbst den Gasteig in München. Der Kultur­ma­nager, seit 2016 mit der Geschäfts­füh­rung des Gasteig betraut, hat den Aufsichtsrat der städ­ti­schen Toch­ter­ge­sell­schaft um eine vorzei­tige Auflö­sung seines Vertrages als Geschäfts­führer gebeten. Hat Wagner die Nase voll von der ewigen Verzö­ge­rung der pannen­rei­chen Sanie­rung? Das will niemand offi­ziell bestä­tigen, aber auch nicht ausschließen. Münchens Denk­pause führt allmäh­lich zum brain-drain.

Zwei ehema­lige Inten­danten des Nord­harzer Städ­te­bund­thea­ters fordern von den kommu­nalen Trägern und dem Land Sachsen-Anhalt eine ausrei­chende Finan­zie­rung des Thea­ters samt Orchester. Sie beob­ach­teten „aus der Ferne mit großer Sorge, wie unge­wiss die Zukunft des tradi­ti­ons­rei­chen Drei­spar­ten­thea­ters aktuell ist“, schrieben und in einem am Freitag veröf­fent­lichten offenen Brief. Es müsse eine mittel- und lang­fris­tige Siche­rung für das Theater und die Harzer Sinfo­niker geschaffen werden. „Es steht hier unge­mein viel auf dem Spiel, was sich mit Geld nicht aufwiegen lässt.“ +++ Gabriele Schnaut ist tot. Und damit eine meiner größten Jugend-Erin­ne­rungen an die Oper: Schnaut als Isolde in Ruth Berg­haus« Mond-Tristan an der Staats­oper in Hamburg. Seither war ich ihrer mäch­tigen Stimme verfallen, ihrem allzu mensch­li­chen Charme. Eine Große ist gegangen. So schade. So traurig

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Ein wich­tiger Mozart-Brief an die Baronin von Wald­stätten wird verstei­gert. Der Kompo­nist wollte mit einer schnellen Heirat seine künf­tige Frau Constanze Weber vor Skandal bewahren. Ein Brief, der die Querelen des Kompo­nisten erklärt, steht am 6. Juli bei Christie’s zur Auktion. Erwartet werden bis zu 570.000 Euro. Etwas weniger schlüpfrig geht es im letzten Podcast von Alles klar, Klassik? vor der Sommer­pause zu. Ich bin in Lübeck und Doro ist allein zu Haus: Wir plau­dern über den Bauch­nabel der Klas­sik­szene, über Moti­va­tion und Frus­tra­tion. Doro hat ein Gespräch belauscht, und ich rede über Bewe­gung in der Frage um Teodor Curr­entzis. Außerdem blicken wir nach Wies­baden, bespre­chen unsere Pop-Hits des Sommers und reisen am Ende noch einmal zu den Fest­spielen. In Bayreuth heißt es dann: „Da basst die Brill’n.“

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: pa/dpa