KlassikWoche 25/2023

»Erwei­te­rung des Bühnen­raums«

von Axel Brüggemann

19. Juni 2023

Augmented Reality und audiovisuelle Angebote bei den Bayreuther Festspielen, die Schließung der Komischen Oper in der Berliner Behrenstraße, der Abschied von Riccardo Muti beim Chicago Symphony Orchestra.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche, 

heute reisen wir der Fest­spiel-Saison voraus: auf den Grünen Hügel, nach Schleswig-Holstein und haken aller­hand Perso­na­lien der Woche ab.

Katha­rina Wagner zu den Bayreu­ther Fest­spielen

Ich freue mich auf den Fest­spiel-Sommer, beson­ders natür­lich auf die Bayreu­ther Fest­spiele, wo dieses Mal schon am 24. Juli ein kosten­loses Open-Air auf dem Fest­spiel­hügel mit dem Fest­spiel­or­chester (unter ) und Künst­le­rInnen der Fest­spiele statt­findet (das ich mode­rieren darf). Auch das ist ein Thema in der aktu­ellen Podcast-Folge von Alles klar, Klassik? (hier für apple), in der zu vielen Themen antwortet.

Zum Parsifal mit Augmented Reality Brillen: „Regis­seur Jay Schaib und ich hatten ja durchaus mit einigen Brillen-Gegnern zu kämpfen. Es war nicht nur ein Kampf des Konser­va­tiven gegen das Inno­va­tive, es ging lange vor allen Dingen auch um finan­zi­elle Aspekte – unab­hängig von der Kunst. Am Anfang waren 2.000 Brillen geplant, aber inner­halb der Geschäfts­füh­rung gab es unter­schied­liche Meinungen. Auch in der Technik waren am Anfang einige Leute skep­tisch, die heute begeis­tert sind. Jetzt ist es erst einmal, wie es ist, und ich bin froh, dass Jay die Nerven behalten hat und den Weg gemeinsam mit uns gegangen ist. Für mich persön­lich zeigt sich, dass Augmented Reality in dieser Form bereits wesent­lich mehr ist als ein Spiel­zeug. Sie ist eine span­nende und ernst zu nehmende Erwei­te­rung des Bühnen­raums. Nun bin ich gespannt, wie die Leute darauf reagieren.“

Zur Öffnung der Bayreu­ther Fest­spiele: „Wir haben die Bayreu­ther Fest­spiele mit der Kinder­oper, den Open Airs, mit audio­vi­su­ellen Ange­boten und dieses Jahr mit dem Programm ‚Bayreuth for star­ters‘ in den letzten Jahren konti­nu­ier­lich geöffnet. Mir ist schon klar, dass die Preis­er­hö­hung bei den Fest­spielen sehr heftig ist. Man darf nicht vergessen, dass man sich Kunst auch leisten können muss. Deshalb bin ich froh, dass die Geschäfts­füh­rung mitge­gangen ist, bezahl­bare Karten für ein junges Publikum anzu­bieten. Aber unsere Gedanken gehen natür­lich schon weiter. Wir wollen auch die Zugäng­lich­keit für Menschen mit mobiler Einschrän­kung verbes­sern. Hier könnte die Digi­ta­li­sie­rung wieder inter­es­sant werden: Menschen, die nicht mehr von zu Hause weg können, können mit einer VR-Brille im Saal dabei sein. Es gibt derzeit viele Möglich­keiten, die wir uns anschauen.“ (Zum Anhören des Podcasts einfach auf das Bild unten klicken!)

Zur Struktur der Fest­spiele: „Mit ging es ja schon einmal um Fragen der Stif­tungs-Satzung. Die versucht man seit längerem zu über­ar­beiten. Es geht aber auch darum, den Stif­ter­willen nicht zu verletzen. Und klar gibt es Punkte, unab­hängig von den handelnden Personen, die drin­gend über­ar­beitet werden müssen. Wir müssen als Bayreu­ther Fest­spiele über­haupt wieder betriebs­fähig in der modernen Zeit werden. Wir haben einen Stel­len­plan, der ist quasi aus dem letzten Jahr­hun­dert. Da besteht drin­gender Hand­lungs­be­darf! Stellen wie Marke­ting oder Spon­so­ring sind gar nicht vorge­sehen. Diese Dinge müssen drin­gend umstruk­tu­riert werden. Es geht außerdem darum, dass wir Planungs­si­cher­heit haben, gerade nach der Kosten­stei­ge­rung durch die Tarif­er­hö­hungen. Das ist übri­gens kein Einzel­phä­nomen der Bayreu­ther Fest­spiele. Wir brau­chen da einfach die perspek­ti­vi­sche Sicher­heit, damit wir so weit voraus­planen können, dass wir auch weiterhin die span­nenden Künst­le­rinnen und Künstler nach Bayreuth holen können. “ 

Perso­na­lien der Woche I

Bei der Programm-Vorstel­lung der Berliner Phil­har­mo­niker sagte Chef­di­ri­gent : „Es ist für mich undenkbar, jetzt in Russ­land zu diri­gieren. Ob ich dann noch Chef der Berliner Phil­har­mo­niker bin, wenn sich das Blatt wendet? Ich hoffe, ich kann das noch erleben.“ +++ Das Staats­theater Augs­burg wird umfas­send saniert. Die Bauar­beiten schreiten voran, verzö­gern sich aber – und auch die Kosten für das Groß­pro­jekt sind explo­diert. Bis zur bauli­chen Fertig­stel­lung wird das Projekt insge­samt 340 Millionen Euro kosten – und damit fast doppelt so viel wie ursprüng­lich veran­schlagt. +++ Die Komi­sche Oper ist geschlossen. Die letzte Auffüh­rung im tradi­ti­ons­rei­chen Haus an der Behren­straße war Georg Fried­rich Händels Orato­rium Saul. Die Mitwir­kenden und Mitar­beiter kamen für ein großes Abschieds­foto auf die Bühne. „Wir sehen uns @schillertheater“ stand auf dem Trans­pa­rent.

Mit Konzerten vom 23. bis zum 25. Juni und der Auffüh­rung von Beet­ho­vens Missa solemnis beendet seine 13 Jahre lange Karriere als Musik­di­rektor des Chicago Symphony Orchestra. Am 27. Juni folgt ein Konzert im Mill­en­nium Park für die ganze Stadt Chicago. Aus Orches­t­er­kreisen hört man: Einige wünschen sich auch hier Klaus Mäkelä als Nach­folger. +++ Nach einem krank­heits­be­dingten Ausfall präsen­tieren die Bayreu­ther Fest­spiele zwei Umbe­set­zungen. Der Bass Dmitry Belos­selskiy sagte seine Teil­nahme ab. Dessen Partie des Land­grafen Hermann im Tann­häuser über­nimmt , für die Partie des Hagen in der Götter­däm­me­rung springt der Opern- und Konzert­sänger ein. 

Lang­samer Aufwärts­trend an der MET 

Es geht leicht bergauf an der MET in New York, aber von einem Durch­bruch kann noch nicht die Rede sein. Der Ticket­ver­kauf ist von 61 auf 66 Prozent gestiegen. Vor dem ersten COVID-Shut­down lag die Auslas­tung noch bei 75 Prozent. Das Haus in New York versucht derzeit einen Kurs­wechsel, weil Inten­dant (Gehalt: 1.094.327 Dollars) und Diri­gent (Gehalt: 1.195.702 Dollars) auch ein jüngeres Publikum anlo­cken will. Alte Verdi-Insze­nie­rungen laufen in New York inzwi­schen schlechter als neu beauf­tragte Opern. Ein Blick von Europa in die USA ist auch deshalb sinn­voll, weil wir es früher oder später mit ähnli­chen Phäno­menen zu tun haben werden. 

SWR prüft Auftritt von Alexey Tikho­mirov 

Der offene Brief von an hat für aller­hand inter­na­tio­nales Aufhor­chen gesorgt. Auch in Deutsch­land wurde nach­ge­fragt, unter anderem von der Süddeut­schen Zeitung, der vom SWR sehr spät geant­wortet wurde – und dann mit allge­meinem Wisch-Wasch. Auch ich habe noch einmal bei Orches­ter­chefin Sabrina Haane nach­ge­hakt und tatsäch­lich inner­halb von nur drei Tagen eine Antwort erhalten. Zum umstrit­tenen Auftritt des Sängers Alexey Tikho­mirov bei den Konzerten des SWR (unter anderem in der Elbphil­har­monie) heißt es: „Wir prüfen derzeit noch, inwie­weit sich aus dem Auftritt von Alexey Tikho­mirov bei der TV-Show am 9. Mai und dem Tragen des Sankt-Georgs-Bands eine eindeu­tige Unter­stüt­zung von Putins Politik ableiten lässt.“ Außerdem hatte Tikho­mirov auf seinen Social-Media-Kanälen nach der Zerstö­rung des Thea­ters in Mariupol die russi­sche Fahne „gehisst“.

Auf die Frage, warum der SWR die Debatte zwischen seinem Artist in Resi­dence, , und dem Chef­di­ri­genten nicht selber in Szene setzt, sondern Grubinger zum ORF gehen muss, um Curr­entzis zu kriti­sieren, heißt es: „Wie Sie sicher­lich wissen, ist für die inhalt­liche Programm­ge­stal­tung des SWR nicht das Orches­ter­ma­nage­ment, sondern die jewei­lige Redak­tion verant­wort­lich.“ Das ist für das redak­tio­nelle Programm des Senders natür­lich richtig, aber eine öffent­liche Diskus­sion um eine Frage, die derzeit gesell­schaft­lich kontro­vers debat­tiert wird, könnte natür­lich auch das Orchester selber insze­nieren. Grund­sätz­lich bleibt der SWR aber bei seiner Haltung gegen­über dem umstrit­tenen Chef­di­ri­genten, dessen musi­cAe­terna Orches­ter­di­rek­to­rium von putin­nahen Polit-Bonzen besetzt ist, das von der VTB Bank finan­ziert wird und auf Gazprom-Tour geht und in dem zahl­reiche prorus­si­sche Musiker musi­zieren. „Auch inner­halb eines Orches­ters werden bestimmte Themen kontro­vers disku­tiert“, heißt es in einer Antwort des Orches­ters, „und das ist auch gut so. Unser Vorgehen ist aber immer mit dem Orches­ter­vor­stand abge­stimmt, der der gewählte Reprä­sen­tant des gesamten Orches­ters ist.“

Perso­na­lien der Woche II

Wollte unser Freund und Aufmerk­sam­keits-Profes­sio­na­list Kai-Uwe Laufen­berg einfach nur seine fade Carmen-Insze­nie­rung besser verkaufen, als sein Staats­theater Wies­baden ange­kün­digt hatte, dass die letzten drei Auffüh­rungen von den letzten drei Kandi­daten um die GMD-Stelle, die einst im Streit mit Laufen­berg verlassen hatte, diri­giert würden? Das wäre ein merk­wür­diges Vorgehen, denn norma­ler­weise laufen derar­tige Bewer­bungen diskret ab, wie auch Guido Holze von der FAZ kommen­tiert. Inzwi­schen hat das Minis­te­rium wohl auch darauf gedrungen, die Bekannt­ma­chung von der Seite des Thea­ters zu entfernen.

Span­nendes und langes Inter­view mit von Fride­mann Leipold auf der Seite des BR: „Ich habe nie an diesen ganzen Star­kult geglaubt – für mich gehören Sterne an den Himmel … Aber wie gesagt, ich habe dadurch eine beson­dere Posi­tion erlangt, die ich sehr genieße.“ +++ Der Fran­zose wird ab der Saison 2025/2026 als Chef­di­ri­gent beim Tonkünstler-Orchester amtieren und den Posten von über­nehmen.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann? 

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Im Sommer natür­lich! Die Fest­spiele beginnen – endlich. An der Arena in Verona wird 100-jähriges Jubi­läum gefeiert, etwas umstritten mit der neuen italie­ni­schen Rechts-Regie­rung und – aber: Verona war auch für mich ein Erwe­ckungs­er­lebnis. Als Kind habe ich hier im Sommer­ur­laub mit meinem Sony Kasset­ten­re­corder heim­lich die großen Abende mitge­schnitten und zu Hause fest­ge­stellt, dass mehr Schwalben als hohe Cs zu hören waren. Auch in Salz­burg geht es bald wieder los: Markus Hinter­häu­sers erste Fest­spiele unter Salz­burger Regie­rungs­be­tei­li­gung der FPÖ. Der Arbeits­rechts­pro­zess ist erneut verschoben worden, teilt einer der Kläger, Sänger , mit. Dieses Mal angeb­lich, weil die von Salz­burg in letzter Minute nach­no­mi­nierten Zeugen am eigent­lich für heute geplanten Termin nicht zur Verfü­gung stehen. Nun soll am 11. September verhan­delt werden. Und dann geht es für mich persön­lich noch auf nach Schleswig-Holstein. Das Schleswig-Holstein Musik Festival ist eines der Fest­spiele, das am nächsten an den Menschen ist. Schon jetzt hat man hier mehr Karten als vor Corona verkauft! Im aktu­ellen Podcast erklärt Inten­dant , warum das so sein könnte: „Wir sind empa­thisch mit unserem Publikum.“

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de