KlassikWoche 27/2020
»Grundsätzlich verstehen wir Sie«
von Axel Brüggemann
29. Juni 2020
Kritik am Intendanten Bernd Loebe von der Oper Frankfurt, das Urteil gegen Kirill Serebrennikow, der Hickhack um das Eröffnungskonzert von Christian Thielemann bei den Bayreuther Festspielen.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit viel Wut von Agenturen und Künstlern über einige Theater, Orchester und Intendanten. Es geht um Entschädigungszahlungen. Aber es gibt auch hoffnungsvolle Beispiele. Außerdem geht es um die Neuordnung des Rechtemarktes und um das endlose Hick-Hack der Bayreuther Festspiele.
BRIEF VON BERND LOEBE
In den letzten Wochen haben mich besonders viele Mails und Nachrichten von Agenturen und Künstlern erreicht – es ging um den Umgang mit Honoraren für abgesagte Vorstellungen. Immer wieder stand dabei die Oper Frankfurt von Intendant Bernd Loebe in der Kritik. Es sei das einzige Haus, an dem gar keine Ausfallhonorare gezahlt würden – mit Verweis auf die Vorgaben der Stadt Frankfurt. Ich konnte das nicht glauben und habe bei Loebe nachgefragt. Hier seine Antwort: „Grundsätzlich verstehen wir das Bedürfnis der freiberuflichen Künstler nach Kulanzzahlungen für abgesagte Vorstellungen und die ungeheure Zumutung, im schlimmsten Fall mehrere Monate ohne Einkommen leben zu müssen. Die Oper Frankfurt versucht, möglichst viele Produktionen bzw. Vorstellungen zu verschieben oder alternative Rollenangebote zu machen, also den Vertrag zu einem späteren Zeitpunkt alternativ einzulösen. In den meisten Fällen ist es auf diese Weise gelungen, zu guten Lösungen zu finden. Diese Überlegungen sind natürlich sehr komplex und benötigen Zeit. Unser Träger, die Stadt Frankfurt, hat uns im Grundsatz dazu verpflichtet, keine Kulanzzahlungen zu leisten. Denn noch ist vollkommen unklar, wie mit dem zu erwartenden Defizit der Spielzeit und den weggefallenen Steuereinnahmen der Stadt hinsichtlich der Subventionen umgegangen werden wird.“
Ein Brief, der das Unverständnis der Betroffenen nicht wirklich ausgeräumt hat (auf weitere Nachfrage schwieg Loebe auch). Dabei steht Bernd Loebe als Vorsitzender der Deutschen Opernkonferenz eigentlich in einer besonderen Verantwortung, und Formulierungen wie „Grundsätzlich verstehen wir das Bedürfnis…“ oder sein Begriff der „Kulanzzahlungen“ für tatsächlich abgeschlossene Verträge irritieren viele Künstler – ebenso übrigens wie die anhaltende Selbstgefälligkeit in den Interviews von Monika Grütters! Das „Verschieben“ von Engagements ist für viele Künstler keine Lösung, denn den Freiberuflern fehlt das Geld JETZT und nicht später (dann sind sie in der Regel eh ausgebucht). Zahlreiche andere Intendanten haben vorgemacht, dass sie durchaus politischen Druck ausüben können und für die politische Freigabe von Mitteln für selbstständige Künstler kämpfen (München oder Berlin). Ist Loebe dafür zu schwach oder die Frankfurter Politik zu stark?
EINE FRAGE DES CHARAKTERS
Die vielen Mails der letzten Wochen haben dazu geführt, dass ich mich auch auf meiner Facebook-Seite umgehört habe: Wie gehen andere Intendanten und Häuser mit der Situation um? Eine Agentin schrieb mir: „Die Reaktionen der einzelnen Opernhäuser sind sehr unterschiedlich. Von direkten persönlichen Anschreiben der Intendanten mit zwar bescheidenen, aber immerhin finanziellen Angeboten für die annullierten Verträge bis zwei Zeilen Mitteilungen einer Assistentin mit keinerlei Angebot irgendeiner Entschädigung, bis zu gar keiner Nachricht, dass man den abgeschlossenen Vertrag nicht einhalten kann.“ Tenor Michael Schade schrieb: „Mein Terminkalender sieht aus wie eine zerbombte Stadt nach dem Krieg. Ich weiß, dass es für mich noch verhältnismäßig gut geht, umso wichtiger ist, dass wir gemeinsam für die Künstler kämpfen, bei denen das noch nicht der Fall ist. Dafür baue ich gerade meinen ‚Schade Kultursalon‘, das Hauskonzert, auf.“
Ein anderer renommierter Künstler schrieb, dass die Wiener Staatsoper ca. 31 Prozent der ursprünglichen Gage zahlen würde. In Anbetracht vieler anderer Häuser sei das durchaus anzuerkennen, vielen Künstlern allerdings sei das – im Angesicht der Existenzsicherung – zu wenig. Es ginge um die Ungleichbehandlung freier und fester Künstler – letztere würden immerhin 80 Prozent ihrer Bezüge behalten. Einige hätten den nötigen „Auflösungsvertrag“ bei der Wiener Staatsoper nicht unterschrieben und erwägen rechtliche Schritte. Im Hessischen Staatsorchester werden immerhin 50 Prozent Ausfallgage bezahlt, ebenso wie am Gärtnerplatztheater in München. Hier berichteten Sänger von harten Kämpfen der Theaterleitung mit der Politik der Stadt. Sehr gut sei die Situation an vielen Schweizer Häusern, wo 80 Prozent Ausfallgage und 100 Prozent für den verschobenen Termin gezahlt würden. Die Essener Philharmoniker hätten Aushilfen bis Saisonende Honorare in voller Höhe ausgezahlt. Eine Wagner-Sängerin berichtet von perfiden Vorschlägen einiger Häuser, die 50 Prozent Ausfallhonorar nach Unterschrift eines Auflösungsvertrages zahlen, die Künstler aber gleichzeitig verpflichten, bei einem Folgetermin für nur 50 Prozent der Gage aufzutreten (an dem sie in der Regel ja schon verbucht sind). Mehr Informationen über den Umgang von Häusern mit Sängern hat der Sänger Johannes Martin Kränzle zusammengetragen. Äußerst lesenswert auch der aktuelle Artikel des Kollegen MarKus Thiel im Merkur, der unter anderem die Pläne des Sängers Günther Groissböck erklärt, eine schlagkräftige Gewerkschaft freier Sänger zu gründen.
AUDIOVISUELLE MARKTORDNUNG
Es kommt Bewegung in den Streaming- und Rechtemarkt der Klassik. Die Deutsche Grammophon startet mit DG-Premium ein Portal, auf dem sie ihre Künstler exklusiv vorstellt und präsentiert – über einen weiteren Ausbau des Video-Streamings wird angeblich ebenfalls nachgedacht. Schon jetzt hat sich die Plattform neue Formate gesichert, wie am kommenden Sonntag die Übertragung von gleich neun Klavier-Uraufführungen Dimitri Schostakowitschs durch Yulianna Avdeeva, Dmitry Masleev und Daniil Trifonov in Kooperation mit den Schostakowitsch Tagen in Gohrisch von Intendant Tobias Niederschlag. Orchester wie die Wiener Philharmoniker arbeiten längst intensiv mit dem Streaming-Dienst Idagio als Medienpartner zusammen (Idagio hat in der Corona-Zeit erfolgreich die Bezahl-Plattform Global Concerthall für audiovisuelle Inhalte gestartet, und ist damit ebenfalls ein neuer, ernst zu nehmender Player auf diesem Feld), und die Berliner Philharmoniker haben es sich gut in ihrer Digital Concert-Hall eingerichtet. Was all diese Plattformen auszeichnet: Sie setzen auf neue erzählerische Formate, sind flexibel, erreichen das Publikum direkt und ohne Dünkel und stellen sich mit einer Absage an die rot geplüschte Klischee-Klassik für ein modernes Publikum auf. Damit werden sie immer gefährlicher für einstige Platzhirsche wie die Unitel, die mit ihrer anachronistischen Verwertungs-Gemeinschaft mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (sowohl mit ZDF und arte, als auch mit ORF) und mit vielen Hierarchien zwischen Künstlern und Nutzern wie aus der Zeit gefallen erscheint. Dass hier ein Umdenkprozess massiv verpennt wurde, scheint inzwischen auch vielen Künstlern klar zu werden, die begriffen haben, dass die audio-visuellen Zukunftsperspektiven nicht mehr im Biedermeier des linearen Fernsehens liegen. Sie wenden sich vom alten Markt ab und dem neuen Markt zu. Welche Dienste sich am Ende durchsetzen, ist noch unklar. Sicher ist, dass der Umbruch längst begonnen hat.
PERSONALIEN DER WOCHE
Das Schauspiel-Ensemble am Staatstheater Nürnberg wurde vorübergehend in Quarantäne geschickt, nachdem die Verwandte eines Schauspielers an einer Feier teilgenommen hatte und danach Corona-Positiv getestet wurde. +++ Im Bühnenstreit in Halle wurde Stefan Rosinski nun vorzeitig und mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer der Bühnen Halle freigestellt. Zuvor hatte es nicht nur Zoff mit Regisseur und Opernchef Florian Lutz, sondern auch mit Dirigentin Ariane Matiakh gegeben. Hier eine Chronik der Ereignisse. +++ Vor zwei Wochen haben wir hier die Instagram-Seite #operaisracist vorgestellt – inzwischen sprengt sie die 10.000er-Marke und setzt große Häuser mit ihren Berichten vom rassistischen Kulturalltag allmählich unter Druck. +++ Wir haben die Verhandlungen an dieser Stelle kontinuierlich begleitet. Nun wurde ein Urteil gesprochen: Ein russisches Gericht hat Regisseur Kirill Serebrennikow zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der 50 Jahre alte Künstler wurde wegen Veruntreuung von Fördergeldern schuldig gesprochen. Ein politisches Zeichen, aber immerhin: Der Künstler muss nicht in Haft.
+++ Der Regisseur Selcuk Cara will 2021 Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände aufführen. Für diesen Zweck hat Cara die Oper bearbeitet, und zwar „so heftig, dass jeder begreift, dass wir nicht Wagner feiern, sondern dass wir uns über die Oper mit dem Ort auseinandersetzen“, sagt Selec SWR2. Nun ja, wenn es sein muss! +++ Daniel Froschauer und Michael Bladerer wurden als Vorstand und Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker bestätigt. +++ Macht er‘s? Macht er‘s nicht? An dieser Stelle haben wir vor zwei Wochen von Überlegungen berichtet, dass die Bayreuther Festspiele ein Konzert mit Christian Thielemann am 25. Juli (dem traditionellen Eröffnungstag der Festspiele) planen, das vom BR im Radio übertragen werden soll. Letzte Woche hieß es dann: Man habe sich inzwischen gegen diese Idee entschieden. Aber gestern schrieb die Bayreuther Sonntagszeitung in ihrer Printausgabe: „Auf Nachfrage der Sonntagszeitung, ob das so sein wird (ob das Konzert stattfindet), wurde auf eine baldige Meldung verwiesen.“ Was für ein Hick-Hack! Klarheit sieht anders aus! Und Kreativität wohl auch, denn ziemlich sicher scheint, dass der BR den alten Harry-Kupfer-„Ring“ überträgt (warum ausgerechnet den? Das hat – Mal wieder – mit dem Markt zu tun (siehe oben): Die Rechte für den Frank-Castorf-„Ring“ liegen jedenfalls bei der Deutschen Grammophon).
UNGERECHTIGKEITEN?
Berlin hat das Singen in geschlossenen Räumen vorübergehend verboten – mit Ausnahme von Schulen. Das empört FAZ-Mann Jan Brachmann. Überhaupt reißt die Empörungswelle in der Kunst einfach nicht ab: Volle Flugzeuge gegen leere Theatersäle, oder – wie gerade auf der FB-Seite eines Dramaturgen: der mit Menschen gefüllte Bremer Marktplatz, angeblich, nachdem Werder die Relegation geschafft hat, und die Frage, warum das in Theatern nicht sein dürfe. Es stellte sich schnell heraus: Das Bild war von der letzten Meisterfeier! Sänger entpuppen sich in bester Knoff-Hoff-Show-Manier mit ihren Kerzen-Experimenten als Virologen, andere als Freiheitskämpfer, die von „Berufsverbot“ schwadronieren. Bei allem Verständnis für unsere (und ich schließe mich da ein!) Situation. Aber es ist nicht so schwer, zurück nach Bergamo zu schauen, hinüber in die USA, nach Brasilien oder Indien um zu verstehen: Corona ist ein heimtückisches Virus, und seine bislang weitgehend erfolgreiche Bekämpfung bei uns hat auch etwas mit Verantwortung, Klugheit und Besonnenheit zu tun. Es wird ein mühsamer und langer Weg, die Kultur, die als erste betroffen war und wohl als letzte wieder öffnen wird, langsam hochzufahren. Eine Pause, in der es sich anbieten würde, perspektivische Fragen zu stellen: Welche Strukturen laufen falsch in unserem Orchester- und Bühnensystem, und wie können wir sie nachhaltig verbessern? Warum fehlt Musikern derzeit sowohl die gesellschaftliche, als auch die politische Lobby? Sicher ist, dass wir all das mit andauerndem Lamento, mit übertriebenen Verweisen auf „Berufsverbot“ und den immer gleichen Bildern nicht verändern. Aber womit? Und wann fangen wir endlich damit an?
Halten Sie die Ohren steif, Ihr
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