KlassikWoche 28/2021

Fest­spiele, Verhöre und der Kreuz­dirk

von Axel Brüggemann

12. Juli 2021

Klassik im Fernsehen, der Festspielsommer, das Konzerthaus München, der Ring von Brigitte Fassbaender

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit dem Finale für Karls­ruhes Inten­danten Peter Spuhler, einer Debatte über Klassik im Fern­sehen und mit aktu­ellen Updates aus den Fest­spiel­städten.

KARLS­RUHE: RAUS­WURF VOR DER SOMMER­PAUSE 

Damit hat niemand mehr gerechnet: Eigent­lich war die Ära von Karls­ruhes Inten­dant Peter Spuhler schon Geschichte. Nach Vorwürfen über chole­ri­sche Anfälle, die auch an dieser Stelle schon früh erhoben wurden, sollte sein Vertrag nach der Sommer­pause nicht verlän­gert werden. Nun wurde Spuhler kurz vor der Sommer­pause doch noch raus­ge­worfen. Der Verwal­tungsrat habe den 56-Jährigen in einer Sonder­sit­zung mit sofor­tiger Wirkung abbe­rufen, teilte das -würt­tem­ber­gi­sche Kunst­mi­nis­te­rium mit. Die Entschei­dung fiel einstimmig. Über die Gründe wird Still­schweigen bewahrt, aber man kann sich denken, dass dieser Schritt etwas mit der Kritik an Spuh­lers Führungs­stil zu tun hat, ihm wurden „Kontroll­zwang, bestän­diges Miss­trauen und chole­ri­sche Ausfälle“ vorge­worfen.

Man könnte diese Entschei­dung als weiteren Schritt im Kampf gegen Inten­danten-Willkür an Thea­tern verstehen, doch ausge­rechnet jetzt berichtet das öster­rei­chi­sche Magazin „Profil“ darüber, dass Wutaus­brüche, Angst und sexu­elle Grenz­über­schrei­tungen auch an kleinen Thea­tern gang und gäbe seien: „Die Inten­dantin droht einer jungen Schau­spie­lerin, dass ihr Vertrag nur dann verlän­gert werde, wenn sie einem Regis­seur gefalle, der als chole­risch gilt. Ein älterer Drama­turg versucht eine Nach­wuchs­schau­spie­lerin in seiner Wohnung zu küssen. Eine Frau muss eine Verge­wal­ti­gungs­szene spielen; der Regis­seur zeigt dem männ­li­chen Haupt­dar­steller, wie er ihr an die Brüste greifen muss, damit es möglichst brutal aussieht.“ Es gibt noch viel zu tun! 

KLASSIK IM FERN­SEHEN – AUS AKTU­ELLEM ANLASS

Okay, ich wische mir jetzt den Schaum vom Mund und versuche die Sache noch einmal eini­ger­maßen sach­lich zu thema­ti­sieren. Viel­leicht mit der Frage­stel­lung, wie Klassik im Fern­sehen denn aussehen könnte. In den letzten Wochen gab es aller­hand, was die Leute beschäf­tigt hat: Seit einigen Wochen rätselt die Klassik-Gemeinde, ob die siebte Beet­hoven-Sinfonie von in der großen Beet­hoven-Euro­pa­reise auf ein Live-Fake aus war. Debat­tiert wird auch das ziem­lich verquere Konzept des Deut­schen Symphonie-Orches­ters , das mit die „Alpen­sin­fonie“ von aufge­nommen hat und Rein­hold Messner dazu wirres Berg­steiger-Garn stri­cken ließ. Nun verkün­dete das , dass es Thomas Gott­schalk als Mode­rator des absägt und durch Désirée Nosbusch ersetzt. Ende der Woche sendete das ZDF dann im Haupt­pro­gramm noch das Eröff­nungs­kon­zert von „Klassik am Odeons­platz“ mit den Münchner Phil­har­mo­ni­kern und (der für einge­sprungen war), hier irri­tierten sowohl Bild­regie als auch das Programm. Viele Gründe, sich noch einmal grund­sätz­liche Gedanken über die Musik im Fern­sehen zu machen.

Ich hatte mir nur kurz Gedanken über die Personal-Rochade beim OPUS gemacht (basie­rend auf einer inof­fi­zi­ellen Umfrage auf meinem Insta-Profil, auf dem 18 Prozent die Wahl von Désirée Nosbusch „genial“ fanden und 82 Prozent eher für „na ja“ stimmten). Span­nend fand ich die Kommen­tare auf meiner Face­book-Wall. „Immerhin war Gott­schalk noch am nächsten an Beet­hoven und Co dran, kraft seines Alters“, schmun­zelte da einer und ergänzte „Desiree geht jegli­cher Humor ab. Warum nicht Sarah Willis? wäre auch eine char­mante Mode­ra­torin.“ Ein anderer brachte Chris­toph Waltz ins Spiel, lustig auch der Vorschlag einer Doppel­mo­de­ra­tion von und Walter Stein­meier. Ein anderer kommen­tierte, dass die Diskus­sion um Namen nach­ge­ordnet sei, denn „Der OPUS ist wie auch schon sein Vorgänger kein wirk­lich konsis­tenter Preis. Die Jury nicht unab­hängig, es wird gemau­schelt und geschmei­chelt und nach Proporz verteilt. Die künst­le­ri­sche Leis­tung ist nur ein Teil­aspekt bei der Zutei­lung. So stinkt der Fisch vom Kopf. Und letzt­lich schlägt das auch auf die Verlei­hung und die damit verbun­dene Sendung durch. Nach dem Schei­tern des Echo wurde eine Chance verpasst sich wirk­lich auf ehrliche Beine zu stellen.

Und zur Über­tra­gung des Konzertes vom Odeons­platz schrieb jemand: „Die Bild­regie und ‑qualität war sehr schräg. Viel­leicht mussten sie wegen der Party­zelte über’m Orchester mit den Bildern impro­vi­sieren? Die Diri­gen­ten­ka­mera war sehr selten zu sehen, und wenn dann waren die Hände meist unten abge­schnitten. Ausge­leuchtet war dieses Motiv auch nicht wirk­lich. Vom Programm noch gar nicht zu spre­chen. Eiei­ei­ei­eiei.“ Wie gesagt: Es ist viel­leicht Zeit für eine ausführ­li­chere Debatte über die Klassik im Fern­sehen (wir behalten das mal im Hinter­kopf). Als Lektüre für Grund­le­gendes fügte der letzte Kommen­tator übri­gens noch den Link zu einem Spiegel-Inter­view mit Theodor W. Adorno hinzu, der bereits 1968 sagte: „Musik im Fern­sehen ist Brim­bo­rium“ – ach, wäre es heute doch wenigs­tens noch das!

KRITIK AM KULTU­RELLEN BREXIT

Wütend ist die briti­sche Mezzo­so­pra­nistin, Dame Sarah Connolly: Sie glaubt nicht, dass Groß­bri­tan­niens Kultur­mi­nister Oliver Dowden die Nöte der Künst­le­rinnen und Künstler im Zusam­men­hang mit dem Brexit ernst nimmt. Es hätte im letzten halben Jahr keine Bewe­gung bei wich­tigen Themen wie Visa und Arbeits­er­laub­nissen gegeben. Immer öfter würden es briti­sche Musiker schwerer haben, an euro­päi­schen Häusern unter­zu­kommen, dabei seien sie gerade auf die 83 Opern­häuser in ange­wiesen – im UK gäbe es nur fünf vergleich­bare Häuser, erklärte Connolly, und die Häuser in Europa seien die Basis für eine Karriere. 

ES GEHT LOS: DER FEST­SPIEL­SOMMER 

Ich wurde letzte Woche korri­giert, dass der Fest­spiel­sommer natür­lich nicht erst mit den Bregenzer Fest­spielen losgeht und dass er nicht nur aus und bestünde – klaro! Wir haben an dieser Stelle ja auch immer wieder über die Festi­vals in oder berichtet. Aber gerade bei den „Großen“ wird es jetzt span­nend. Die haben Gewiss­heit über die Auslas­tungs­zahlen und konnten den Online-Verkauf starten. Das Fest­spiel­haus meldete: „Nur rund zwei­ein­halb Stunden hat es gedauert, dann waren alle frei verfüg­baren Karten im Vorver­kauf für die Bayreu­ther Fest­spiele vergriffen. Wer jetzt noch Eintritts­karten sucht, der muss hoffen, dass geor­derte Tickets wieder zurück­ge­geben werden.

Klassik Viral – ein Podcast von CRESCENDO
Wie schafft man es, sich von Corona nicht unter­kriegen zu lassen?
Arnt Cobbers fragt nach. Bei Lina Tur Bonet und Julius Berger.

Wer glücklos bleibt, kann sich auch für den „Flie­genden Holländer“ im Kino entscheiden, die Über­tra­gung am 25. Juli (bei der wir uns im Vorpro­gramm sehen) ist inzwi­schen auch fixiert. Ansonsten wird in Bayreuth fleißig geprobt: Man kann Rhein-Nixen im Fest­spiel­teich sehen und s „Walküren“-Projekt nimmt auch Form an. Kleines Schman­kerl am Rande: Bayreuths „Ring“-Wotan, , wirbt in Öster­reichs Boule­vard-Zeitung, der „Kronen Zeitung“, für das Wagner Festival „Götter­klang trifft Donau­gold“ in Tulln. In der YouTube-Über­set­zung wird daraus aller­dings, dass „Günther Kreuz­dirk“ in „Tulm“ „Götter­kern trifft Donau­gold“ aufführt. Apropos: Nirgends gelten derart klare Sicher­heits­stan­dards wie in Bayreuth, regel­mä­ßige PCR-Tests und Masken­pflicht – das gilt natür­lich auch für oft wütend demons­trie­rende Wotane! Die kämpfen derweil mit Umbe­set­zungen durch die Corona-Reise­be­stim­mungen: Das Jugend­or­chester, das ORF Radio-Sympho­nie­or­chester und der springen für das (CBSO) und den CBSO Chorus ein.

„GO“ FÜR MÜNCHENS KONZERT­SAAL

Der Haus­halts­aus­schuss des Baye­ri­schen Land­tags hat grünes Licht für weitere Planungen des „Konzert­haus “ gegeben. Als Standort wurde das Werks­viertel direkt am Münchner Ostbahnhof ausge­wählt. Der Große Saal mit bis zu 1.900 Sitz­plätzen wird die neue Heimat für das . Und dessen Chef, , schickte sofort eine Jubel-Video­bot­schaft. Dass die Planung durch den Bau an der Münchner Isar­phil­har­monie (das Inte­rims-Zuhause der ) gestoppt werden könnte, war kein Grund zur Sorge. Georg Randl­k­ofer, Vorstands­vor­sit­zender der Stif­tung Neues Konzert­haus München, sagte dem BR: „Die Isar­phil­har­monie ist ein Provi­so­rium, schon von den Bauma­te­ria­lien her. Sie wird zehn Jahre lang benö­tigt und dann muss man eine Über­gangs­lö­sung finden.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Am 10. Juli hatte im Passi­ons­spiel­haus Erl „Das Rhein­gold“ Première (siehe Foto), der Auftakt zum „Ring“ von Sängerin und Regis­seurin . Vorab erklärte sie dem Merkur auf die Frage, wie lange sie nach­ge­dacht habe, bevor sie den „Ring“ annahm: „Gar nicht. ‚Danke! Ein Traum geht in Erfül­lung!‘ Das war meine Reak­tion. Ich war dann nur über­rascht, dass ich mir das zuge­traut habe. Den „Ring“ empfinde ich als Krönung und Abrun­dung meines Regie-Lebens – auch wenn es noch viele andere Projekte in den kommenden Jahren für mich zu tun gibt. Aber wenn ich den hinter mir habe, dann kann ich langsam zur Ruhe kommen.“ +++ Was die Geigerin in einem hörens­werten Feature im SWR über den Musiker als poli­ti­schen Geist sagt, könnte man auch als Total­an­griff auf den Pianisten Igor Levit verstehen: Jeder Mensch habe seine Gründe, sich poli­tisch auszu­drü­cken, und sie finde, das sollte nicht dafür da sein, den eigenen Namen berühmter zu machen. Künstler und Künst­le­rinnen sollten schauen, eine eigene Sprache zu spre­chen – auch in der Politik.

Die Marseil­laise gehört zu den berühm­testen Melo­dien der Welt. Warum ist ihr Urheber nirgendwo vermerkt? Und was hat Serge Gains­bourg mit dem Fall zu tun? Hören Sie die aktu­elle Episode von Hidden Secrets of Clas­sical Music auf CRESCENDO​.de

+++ Vor einigen Wochen hatten wir an dieser Stelle bereits über das Karrie­re­ende von berichtet, nun sprach sie mit dem BR und sagte: „Es ist extrem wichtig, dass man heraus­findet: Was brauche ich, was tut mir gut, wo kann ich mich wohl­fühlen?“ Großen Respekt bekam sie dafür im Netz, auch von Kolle­ginnen wie , die Kulman würdigte und bestä­tigte, wie wichtig es sei, im Einklang mit sich selber zu leben. +++ Nürn­bergs Gene­ral­mu­sik­di­rek­torin Joana Mall­witz erwartet ein Kind. Das wurde vom Staats­theater Nürn­berg bestä­tigt. Deswegen wird die 35-jährige inter­na­tional gefragte Diri­gentin vermut­lich von September bis Anfang Januar eine beruf­liche Pause einlegen.

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Dieses Mal kann ich mich endlich mal zurück­lehnen und wieder mal Clemens Nicol die Arbeit über­lassen. In seinem legen­dären Format „Das Verhör“ für den BR versucht er, Lisa Bati­a­sh­vili ding­fest zu machen – ob das Geigen sie nicht manchmal lang­weile. Ansehen!

Ach, und dann noch ein Lese­tipp, der uns zu denken geben sollte. Ausge­rechnet im „Neuen Deutsch­land“ macht sich Kevin Clarke Gedanken über die Frage, wem die Kultur gehört – gerade Frank­reich mit seinen Privat­mä­zenen ist ihm dabei ein Dorn im Auge.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

 

Fotos: dpa, Marcus Schlaf / BR, Screen­shot Face­book, bloo­mi­mages für cukro­wicz nach­baur archi­tekten zt gmbh (auch Titel), Xiomara Bender/​