KlassikWoche 30/2021

Von Berlin bis Bayreuth: Wenn Götter abtreten

von Axel Brüggemann

26. Juli 2021

Der komische Abgang von Barrie Kosky an der Komischen Oper, die Absage von Günther Groissböck als Wotan bei den Bayreuther Festspielen.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

Heute mit komi­schen Entwick­lungen an der Komi­schen Oper, Wotans kurz­fris­tigem Abschied und einem Blick auf den „Holländer“. 

KOMISCH, KOMI­SCHE OPER!

Die Komi­sche Oper in steht vor einer span­nenden Zukunft: großer Umbau und neue Inten­danz. Der geniale Master­mind verlässt das Haus, will es, wie er es formu­lierte, „der nächsten Gene­ra­tion über­geben“. Aber das scheint nicht so recht zu klappen. Zu sehen am Faktum, dass die Komi­sche Oper keine neue Chef­di­ri­gentin oder Chef­di­ri­genten findet als Nach­folger von … (na, kennen Sie den amtie­renden Chef Ainārs Rubiķis nicht? … eben: Das zeigt die Bedeu­tung der Musik am Haus!) Das Problem: Kosky über­gibt sein Amt an die amtie­rende Geschäfts­füh­rerin Susanne Moser und Opern­di­rektor Philip Bröking unter der Auflage: Er will weiter insze­nieren.

Und darin scheint nun auch das Problem zu liegen. Die neue Inten­danz kassiert Absagen, weil der Eindruck entsteht, ein neuer musi­ka­li­scher Chef wird nur enga­giert, um bestehende Pläne zu erfüllen, der eigene Gestal­tungs­spiel­raum ist eher klein. Die Zeiten, dass an der Komi­schen Oper mal wieder die Musik im Vorder­grund stehen könnte und damit ein neuer entdeckt werden kann, scheinen derzeit auf jeden Fall klein. Abzu­treten ist eigent­lich der größte Auftritt eines Künst­lers – hier muss der geniale Barrie Kosky viel­leicht noch ein wenig üben.

WOTANS ABSCHIED UND ANDERE BAYREU­THEN­SIEN

Szenenfoto zu Dmitri Tcherniakovs Inszenierung des Fliegenden Holländers

Tja – das war’s: Seit Monaten redet von kaum etwas anderem als von seinem Wotan-Debüt in . Nun hat er die Rolle zurück­ge­geben. Stolz twit­terte und postete er in den letzten Wochen seine viele Enga­ge­ments rund um die Bayreu­ther „Walküre“. Schuld an seiner Form­krise sei – was sonst? – Corona: Der Sänger fühle sich nicht in Best­form, und weniger wolle er auf der Bühne der Fest­spiele nicht ablie­fern. Die Erkenntnis kam aller­dings relativ spät, Groiss­böck schmiss den Speer fünf Tage vor Première hin. Egal, beim Tullner Festival „Götter­klang trifft Donau­gold“, für das er in der Kronen Zeitung bereits mit Bildern vom Bayreu­ther Fest­spiel­haus geworben hatte, wird er sicher­lich wieder ein Gott sein. Bei einer Pres­se­kon­fe­renz gab nun auch bekannt, wie der „Parsifal“ 2023 aussehen wird: VR-Forscher und Regis­seur Jay Scheib wird die Insze­nie­rung über­nehmen und dabei auch Augmented-Reality-Brillen benutzen, durch die im Fest­spiel­haus das Virtu­elle und das Reale mitein­ander verschmelzen. singt die Titel­partie, den Gurn­emanz, Jeka­te­rina Sement­schuk die Kundry.

Und die „Holländer“-Première? Regis­seur erzählt eine frei erfun­dene Vorge­schichte: Daland hat eine Affäre mit der Mutter des Hollän­ders und lässt sie fallen. Die Mutter wird vom Dorf geächtet und nimmt sich das Leben. Der Rest (also die Oper) ist die Rache des Hollän­ders: Er kehrt zurück in sein Dorf, verführt Dalands Tochter Senta, knallt aller­hand Leute ab und wird am Ende selber erschossen – von Sentas Amme Mary, die inzwi­schen die Neue von Daland ist. Kann man so erzählen, aber bitte nicht derart lang­weilig, derart „stehtheater“haft. Bei (dem ein ähnli­ches Szenario zuzu­muten ist) wäre all das viel­leicht wirk­lich span­nend und bis ins Detail auser­zählt. Tcher­niakov aber reitet seine einzige Idee schnell tot. Ansonsten war es ein Abend der Frauen: diri­giert kluge Details (man hört die alten Spinn­räder förm­lich quiet­schen), schafft aber nicht immer den großen Bogen und vernach­läs­sigt das Volks­tüm­liche eines Webers. Die Rich­tung aber ist span­nend, und man glaubt hier an die „Werk­statt“ Bayreuth. Außerdem ist da noch die Sopra­nistin . Viele haben ihr die Dramatik einer Senta nicht zuge­traut, und, ja: Manchmal kratzt sie tatsäch­lich am Rand ihrer Möglich­keiten. Das ist viel­leicht nicht immer gesund, klingt aber faszi­nie­rend und nach jenem Frei­heits­kampf, für den die Senta nun einmal steht (und den füllt Grigo­rian auch mit ihrem adoles­zenten Dauer­tanzen auch körper­lich aus). Stan­ding Ovations im Publikum. 

ORGEL ZU VERKAUFEN

Die zum Verkauf stehende Orgel der Laeiszhalle

Es ist ein Schnäpp­chen! Auf jeden Fall der Ankaufs­preis: Die Stadt will die Orgel aus der Laeiszhalle verkaufen, zu einem „symbo­li­schen Preis“, wie es in einer Anzeige der Stadt heißt. Aber Vorsicht, wenn Sie sich schon freuen: Erwartet wird, dass die Orgel wieder aufge­baut wird, ihre Klang­sub­stanz erhalten wird und sie regel­mäßig in Gottes­diensten und/​oder Konzerten erklingt. Also lieber zweimal nach­denken, bevor Sie zuschlagen! 

MÖRBI­SCHER KLAD­DE­RA­DATSCH

Bühne der Seefestspiele Mörbisch

Eigent­lich steht die „West Side Story“ in Mörbisch auf dem Programm, das rich­tige Spek­takel aber spielt sich hinter der Bühne ab: Zwar ist Peter Edel­mann noch bis 2022 als Inten­dant unter Vertrag, die Arbeit aber hat der 2020 ernannte Gene­ral­inten­dant Alfons Haider, und der will die Première der „Lustigen Witwe“ im nächsten Jahr kurzer­hand absagen und statt­dessen das Musical „The King and I“ zeigen. Das Problem: Die Verträge für die „Witwe“ sind bereits unter­schrieben, eine Absage wäre teuer – und zahlen müsste am Ende wohl der Steu­er­zahler. 

Eine vorzei­tige Vertrags­auf­lö­sung komme für Edel­mann nicht infrage, ließ er in der Zeitung „Die Presse“ wissen. „Für mich ist nur sehr wichtig, meinen Vertrag bis August 2022 zu erfüllen.“ Sein Vertrag besage eindeutig, dass er dem Gene­ral­inten­danten nicht unter­stellt sei. Edel­manns Fazit: „Die Brand­mark ‚Operette Mörbisch‘ ist tot.“ Ein unan­ge­nehmes Macht­spiel auf dem Rücken vieler Künst­le­rinnen und Künstler: eine Schande!

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Der Tod von Alfred Biolek hat auf vielen Ebenen Anlass zur Rück­schau gegeben. Auch für Klassik-Fans gibt es eine inter­es­sante Trou­vaille: Die Sendung Boule­vard Bio von 1997, in der es um den Mythos Bayreuth geht. Special-Guest: Wolf­gang Wagner. +++ Letzte Woche haben wir den 70. Geburtstag von verpennt – zum Glück hat die FAZ dran gedacht. Henry Hübchen hat dem Mann, „dessen Schreib­tisch die Bühne ist“, ein Ständ­chen gesungen. Hätte ich auch gern: beson­ders darüber, wie Castorf mich in seinem Pariser Stamm­lokal einmal einen Abend lang mit Weiß­wein abge­füllt hat, um mir seinen „Ring“ zu erklären. Den Wein habe ich ihm am späten Ende unseres Plau­sches vor dem Restau­rant beim Tschüss-Sagen, dann auch wieder „vor die Füße gelegt“. Was Castorf später einmal zum Satz brachte: „Sie hatten für meinen Ring aber ooch janz schön wat schlu­cken, wa?“ Ich liebe den Mann, der es versteht, irgendwie alle an ihre Grenzen zu bringen. Happy Birthday nach­träg­lich! +++

Der Vertrag von als Chef­di­ri­gent des Konzert­haus­or­ches­ters Berlin wurde nun bis 2023 verlän­gert. +++ Diri­gent eröff­nete die mit Arrigo Boitos absurd wuchernder Oper „Nerone“ und schaffte es klug, denn Kitsch zu umgehen und allüberall Substanz, musik­his­to­ri­sche Zitate und Sach­lich­keit im Mythi­schen aufzustö. Hörens­wert! +++ Letzte Woche war die Wupper über die Ufer getreten und hatte Teile des Wupper­taler Opern­hauses unter Wasser gesetzt. Insge­samt sollen etwa drei Millionen Liter Wasser in das Gebäude gedrungen sein. Der Schaden wird auf zehn Millionen Euro geschätzt.

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, zum Teufel, wo bleibt es denn? Ich habe es in dieser Woche überall gespürt: Wer am Guten im Menschen zwei­felt, sollte sich mal – so wie ich in diesen Tagen – die Bänder reißen und Gips tragen: überall Hilfs­be­reit­schaft! Beson­ders faszi­nie­rend war die Schnei­derei der , die sofort sah, dass ich mit Gips in keinen Smoking passe und mir inner­halb einer halben Stunde „Smoking-Shorts“ für die Mode­ra­tion der Kino­über­tra­gung vom „Flie­genden Holländer“ geschnei­dert hat! Danke! Ach ja, und dann ist er nun auch endlich da: der erste Einblick in meinen neuen Film „WAGNER, Bayreuth und der Rest der Welt“: ein Blick hinter die Kulissen der Bayreu­ther Fest­spiele und eine Welt­reise von über Tel Aviv, , und mit der Frage: Was macht die „Welt­re­li­gion Wagner“ so span­nend für Christen, Moslems und Juden, für Kommu­nisten und Kapi­ta­listen, Inter­na­tio­na­listen und Natio­na­listen? Hier, wie gesagt: ein erster Einblick:

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Jan Windszus Photo­graphy (Komi­sche Oper) / Bayreu­ther Fest­spiele / Stadt Hamburg / Fest­spiele Mörbisch / Privat