KlassikWoche 31/2020

Aber jetzt sind Ferien – fast…

von Axel Brüggemann

27. Juli 2020

Die Vorwürfe an Intendant Peter Spuhler in Karlsruhe, Palaver über das Theater der Zukunft, die Nominierungen des Opus Klassik.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche, 

ja, eigent­lich wollte ich schon im Urlaub sein – und ich danke allen, die mir letzte Woche so nett schöne Ferien gewünscht haben. Warum es nun doch erst diese Woche losgeht, darüber mehr in diesem News­letter.

CHOLERIK IN KARLS­RUHE 

In der letzten Woche haben wir berichtet, dass Karls­ruhes Inten­dant, , trotz massiver Despo­tismus-Vorwürfe im Amt bleiben soll. Die Politik in hofft auf erneute Media­tionen (die schon jetzt unglaub­lich viel Geld verschlungen haben). In meinem Post­fach haben auch diese Woche die Nach­richten von enttäuschten und geschockten Mitar­bei­tern in Karls­ruhe nicht abge­nommen. Beson­ders scho­ckiert waren viele über den Schul­ter­schluss von Regio­nal­presse und Inten­danz. Darüber, dass der Chef­re­dak­teur der Rhein-Neckar-Zeitung, Klaus Welzel, in einem Kommentar (Print­aus­gabe) schrieb: „Wer Peter Spuhler nur etwas kennen­ge­lernt hat, kann sich vorstellen, wie sehr ihm diese Zerreiß­probe zu Herzen geht – eine Zerreiß­probe, übri­gens, die von einigen Medien im Ländle gera­dezu genüss­lich beför­dert wurde.“ Thea­ter­mit­ar­beiter empfanden diese Einschät­zung als Affront. Mir war lange nicht klar, worum es in diesem Konflikt eigent­lich geht – was sind die konkreten Vorwürfe gegen Spuhler, was bedeutet „despo­ti­scher Führungs­stil“? Einen ersten Einblick gibt der Blog des Thea­ters.

Inzwi­schen wurden auch Vorwürfe wegen sexu­eller Über­griffe erhoben, in der Regel aber richtet sich der Ärger der Theater-Ange­stellten gegen Spuh­lers Führungs­stil. Unter dem, was der Inten­dant „Theater-Leiden­schaft“ nennt, soll er seine Mitar­beiter in Konfe­renzen belei­digen, sie will­kür­lich des Raumes verweisen, effekt­voll Schrift­stücke in der Luft zerreißen, er ist ein Kontroll-Freak, der niemandem anderen Entschei­dungen zutraut, einer, der keine fest­ge­schrie­benen Arbeits­zeiten akzep­tiert, der „zu wenig Herz­blut“ schreit, wenn ein Mitar­beiter am Ende ist – und der seiner Wut, seiner Unge­duld und seinem Jähzorn gern durch Tritte an die Wand freien Lauf lässt. Spuhler unter­teilt die Welt in Freunde oder Feinde. All das hat wohl zu einer erschre­ckend hohen Zahl von Burnout-Fällen in Karls­ruhe und zu sehr kurz­fris­tigen Arbeits­ver­hält­nissen geführt. Nimmt man die andere Posi­tion ein, so Empfindet Spuhler sich wahr­schein­lich als leiden­schaft­li­chen Kämpfer für die Kunst, und es gibt sicher­lich auch Menschen, die Eben­falls glauben, dass künst­le­ri­sche Perfek­tion bedin­gungs­lose Leiden­schaft verlangt – und damit auch derar­tiges Verhalten legi­ti­miert. Die Frage aber ist, ob all das in eine Betrieb, der sich allabend­lich den Huma­nismus auf die Fahnen schreibt, und dazu noch Aushän­ge­schild staat­li­cher Kultur­ar­beit ist, wirk­lich nötig ist. Als moderne aufge­klärte Kultur-Lieb­haber wissen wir längst, dass mensch­liche Größe, Kolle­gia­lität und Team­geist großes Theater nicht verhin­dern – im Gegen­teil. Es gibt Dinge, von denen wir uns einfach verab­schieden können – und Despo­tismus in der Kunst ist sicher­lich eine davon.

SCHLIEßT DIE BÜHNEN FÜR EIN PALAVER

Span­nend, weil provo­kant kompro­misslos, fand ich diese Woche den Zwischenruf von Autor und Regis­seur Björn Bicker, der auf der Seite des BR unter anderem fest­stellte: „Als die Theater wegen der Pandemie schließen mussten, hatte man kurz die Hoff­nung, die Thea­ter­leute würden diese verord­nete Zwangs­pause dazu nutzen, um den Blick auf sich selbst zu richten. Was für ein Theater wollen wir eigent­lich unter welchen Bedin­gungen machen? Statt­dessen sind viele Theater schlag­artig in eine noch nervö­sere Hyper­ak­ti­vität verfallen als zuvor. Eine schier unend­liche Anzahl von digi­talen Formaten wurde produ­ziert. Mit dem trau­rigen Gestus der Unbe­irr­baren wurde die eigene Verzweif­lung durch die Breit­band­kabel des World Wide Web gejagt.

Statt­dessen wünscht sich Bicker: „Wir schließen den Betrieb für eine Weile und richten statt­dessen runde Tische ein, mit Abstand, in Stadien, auf Plätzen und Straßen. Auf Bühnen. Wir bilden achtsam Betei­li­gungs­gre­mien aus der Zivil­ge­sell­schaft, die die Viel­falt der Städte abbilden und denken gemeinsam darüber nach, für wen und für was unsere Theater in Zukunft gut sein sollen. Man könnte Wünsche formu­lieren, Träume bespre­chen, Pläne machen. Ein großes Palaver. Und natür­lich wären die Erfah­rungen und das Wissen der Profis unab­dingbar.“ Das Palaver eröffnet hat unter anderem der Inten­dant der , Mathis Huber, der in einem Essay unter anderem fordert: „Und das errei­chen wir nicht mit einer büro­kra­ti­sierten Kunst­ver­wal­tung, mit Tarif­re­ge­lungen, Kollek­tiv­ver­trägen und Jammern über angeb­lich verpatzte Kultur­po­litik. Gerne nehmen wir immer so viel öffent­li­ches Geld wie möglich, schließ­lich leisten wir ja auch noch nebenbei aller­hand Umweg­ren­ta­bles, für die Stand­ort­qua­lität und so weiter und so fort. Aber vor allem wollen wir als Veran­stal­te­rinnen Frei­räume und flexible Rahmen­be­din­gungen, in denen wir unsere Krea­ti­vität fließen lassen können, um Künst­le­rinnen und Publikum zusam­men­zu­bringen. So oft und so intensiv wie möglich.

RETTE SICH, WER KANN 

In der letzten Woche gab der (form­erly known als ) die dies­jäh­rigen 450 Nomi­nie­rungen bekannt. Allein für den Titel „Sängerin des Jahres“ wurden an die 30 Damen nomi­niert (manche gleich für unter­schied­liche Alben). Von einigen der Sänge­rinnen hatte der OPUS offen­sicht­lich nicht einmal ein Foto für die Website. Von (welch Über­ra­schung!) bis Nuria Rial reicht die Band­breite. Das Problem: Der Opus defi­niert die Einrei­chung (Grund­lage sind zwei „heraus­ra­gende Rezen­sionen“) bereits als Nomi­nie­rung. Das Ziel ist leicht durch­schaubar: Möglichst viele Nomi­nierte sollten ihre Nomi­nie­rung teilen und ein wenig ihres Glanzes auf den Preis abfärben lassen. Kurz gesagt: Der OPUS zeichnet schon lange nicht mehr die Sänge­rinnen aus, sondern die Sänge­rinnen geben dem OPUS Glanz. Zumal am Ende nach wie vor die Labels selber die Preis­trä­ge­rinnen unter­ein­ander ausscha­chern werden – und am Ende spricht noch das mit, welcher Star in der TV-Gala auftreten wird (und deshalb auch bedacht werden muss). Viel­leicht wäre es ein gutes Projekt für 2021, zur Abwechs­lung mal einen seriösen, euro­päi­schen Klassik-Preis auf die Beine zu stellen? Wer wäre dabei? 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Letzte Woche haben wir berichtet, dass der Sänger Bernd Weikl seinen Kommentar zu Corona bei YouTube gelöscht hat – inzwi­schen steht die korri­gierte Version zur Verfü­gung. Weikl berück­sich­tigt hier die wissen­schaft­li­chen Erkennt­nisse zu Aero­solen. +++ Der Diri­gent erklärt der Schwä­bi­schen Zeitung, warum es den Orches­tern in den schlechter geht als jenen in Europa: „Wir sind in in einem viel größeren Maße abhängig vom Karten­ver­kauf als in Europa. Das hat zur Folge, dass beispiels­weise das Nash­ville Symphony Orchestra die ganze nächste Saison abge­sagt hat. Chor und Orchester der Metro­po­litan Opera haben seit April kein Gehalt mehr erhalten. Da sind wir mit dem Pitts­burgh Symphony Orchestra schon wesent­lich besser dran, weil wir das finan­zi­elle Defizit zumin­dest teil­weise durch Spon­soren, Stif­tungen und Spender auffangen können.“ +++ Wie absurd die Aufgabe eines Diri­genten sein kann, haben wir in gesehen, als ein Kammer­or­chester mit dem Sieg­fried-Idyll diri­gierte. Das Tokyo Symphony Orchestra zieht das ganze nur von der anderen Seite auf: Da Diri­gent nicht nach reisen kann, soll er das Orchester virtuell diri­gieren. +++ Den Kollegen Markus Thiel haben wir an dieser Stelle schon öfter zitiert – immer wieder hat er die Nase ganz weit vorn. Dieses Mal lehnt er sich in Sachen aus dem Fenster und ist ziem­lich sicher: Sir wird Nach­folger von – oder doch Fanz Welser-Möst? +++ – war was? Der Tenor wird im Rahmen des Öster­rei­chi­schen Musik­thea­ter­preises mit dem Sonder­preis für sein Lebens­werk ausge­zeichnet. +++ Der Beitrag des ZDF über die sorgte in Wagner-Kreisen für Aufre­gung. Der Direktor des Richard-Wagner-Museums im Haus Wahn­fried, Dr. Sven Fried­rich, etwa echauf­fierte sich bei Face­book: „Leider bediente die Bericht­erstat­tung erwar­tungs­gemäß wieder mal nur dumme, ober­fläch­liche Klischees.“ 

HAUS­AUF­GABE FÜR DIE FERIEN

Der Grund, warum ich den im letzten News­letter ange­kün­digten Urlaub diese Woche doch nicht ange­treten bin, war eine Schnaps-Idee, die zu einer ernst­haften Sache geworden ist. Als ich gelesen habe, dass Wagner-Tenor , statt nach Bayreuth zu kommen, eigene -Fest­spiele in seinem Garten macht, fand ich das so opti­mis­tisch und char­mant, dass ich über­legt habe, wie man diese Künstler-Initia­tive begleiten kann: Mit Klassik Radio war ein Partner gefunden, dazu das alte Team der Bayreu­ther Kino-Über­tra­gungen – alle waren leiden­schaft­lich an Bord. Dummer­weise habe ich es vor Ort nicht geschafft, so wie verspro­chen, den Link zur Vinke-Walküre und dem Vorpro­gramm auf der CRESCENDO-Face­book-Seite einzu­binden. Aber jetzt ist alles online – genießen Sie die Show (oder reser­vieren Sie ein Ticket für Vinkes Garten in der Nähe von ). Wenn Sie dann noch Ferien haben, können Sie gleich weiter hören: In einem ausführ­li­chen Gespräch redet der Harfe­nist über seine Jugend, über Extrem­sport und fragt, ob Orchester nicht zu satt geworden sind.

So, und nun ist aber wirk­lich eine Woche Pause: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de