KlassikWoche 34/2020

Wahn­sinn und Würst­chen

von Axel Brüggemann

17. August 2020

Die Nominierung toter Komponisten für den Opus Klassik, Covid-Infizierte im Mariinsky Ensemble, das Gegeneinander von Kultur-Institutionen in Wien.

Will­kommen zur neuen Klas­sik­Woche,

dieses Mal mit dem endgül­tigen Begräbnis von , mit Berichten von den Sommer­fes­ti­vals und klin­genden Fleisch­waren.

OPUS BEGRÄBT DIE TOTEN 

Grab_Hanns-u-Steffy-Eisler

Chris­tian Jost und Detlev Glanert, Ihr könnt aufatmen! Die Konkur­renz auf der Opus-Nomi­nierten-Liste wird kleiner! Man habe, so steht es auf der Face­book-Seite des , bemerkt, dass etwas falsch gelaufen sei: „Es wurden in diesem Jahr in verschie­denen Kate­go­rien Werke der beiden verstor­benen Kompo­nisten Hanns Eisler und einge­reicht.“ Und weiter: „Nachdem uns dies auffiel, haben wir die beiden Kompo­nisten umge­hend von der Liste entfernt.“ Na ja, lieber Opus, die Namen standen schon über einen Monat auf Eurer Seite – aufge­fallen ist es Euch dann ausge­rechnet letzten Montag, kurz nach Veröf­fent­li­chung unseres kleinen News­let­ters mit der Über­schrift „Opus nomi­niert Tote“. So etwas kriegt sonst nur Kollege Heinz Sichrovsky nicht mit (sorry, dieser Insider für Leute, die ihre NEWS noch per Brief­taube beziehen, musste einfach sein). Kann ja mal passieren! Aber wenn Ihr schon dabei seid: Eisler und Korn­gold standen nicht nur auf der PDF-Liste Eurer Home­page, sondern auch bei Face­book und in dem kleinen Film, den Ihr zusammen geschnitten habt (und da stehen sie noch immer). Ist übri­gens nirgendwo irgend­je­mandem aufge­fallen – das spricht ja für einen echten Experten-Preis! Und dann noch das aktu­elle Gemunkel von Meinungs­ver­schie­den­heiten zwischen den Major- und den Inde­pen­dent-Labels. Angeb­lich haben die Großen den Klassik XXL geka­pert (die eins­tige Vor-Veran­stal­tung der Inde­pen­dent Labels). Erst vor zwei Jahren hat der Opus den Reset-Button gedrückt – und schon jetzt läuft es wieder wie immer! 

CORONA IM MARI­INSKY-ENSEMBLE

So richtig ist der Impf­stoff von in Russ­land wohl noch nicht ange­kommen. Sonst müssten uns die Covid-Fälle im Mari­insky Ensemble nicht weiter beun­ru­higen. spricht Pi-mal-Daumen von „zwei oder drei Fällen“, ein Infor­mant von Slipped Disk berichtet dagegen von 16 Namen von infi­zierten Mitar­bei­tern, 34 weitere Mitar­beiter sollen Symptome zeigen und auf einen zweiten Test warten. Inzwi­schen wurde immerhin eine Ballett-Auffüh­rung bei den Weißen Nächten abge­sagt. 

WIENER CORONA-GERANGEL

In diesen Zeiten liegen die Nerven überall blank! Span­nend wird das beson­ders in der Wiener Konstel­la­tion: Sowohl Alber­tina-Chef Klaus Albrecht Schröder als auch Staats­opern-Inten­dant Bogdan Roščić haben gern Recht. Das macht sie streitbar, aber auch inter­es­sant! Nachdem Schröder im öster­rei­chi­schen Kurier einen Aufsatz über seinen Blick auf Corona verfasst hatte (These: Theater herun­ter­fahren, bis Corona vorbei ist), griff Roščić ihn mit bewährt ruppiger Gegen­rede („Meinungs­müll“) an. Schröder vereine „Hybris, Ahnungs­lo­sig­keit und Perfidie in einer Drei­ecks­kom­po­si­tion, wie sie andere Tief­lader auf der Deponie des Corona-Meinungs­mülls einfach nicht zu bieten haben“, schrieb der Staats­opern­in­ten­dant.

Ob das Gegen­ein­ander der Kultur-Insti­tu­tionen in Tagen wie diesen ziel­füh­rend ist, darf hinter­fragt werden. Letzt­lich erntet man oft jenen Ton, den man selber sät. Auch auf der Face­book-Seite der Wiener Staats­oper eska­lieren die Ausfäl­lig­keiten. Unter dem Bild des neuen Logos (s.o.) kulmi­nierte die Kritik der User: „Kein Geld für den Grafiker?“ – „Der Stil des neuen Direk­tors? Uih!“ Die Admi­nis­tra­toren mussten die Neti­quette-Reiß­leine ziehen. Immerhin wird in Wien noch um die Oper gestritten!

GELD UND WERTE

Eldar Aliev war ein Bass mit großem Poten­zial: Paris, Madrid, und La Scala, dazu Aufnahmen bei DECCA. Dann rutschte er ab: 15 Jahre schlug er sich in einem Bauwagen und auf Bänken in durch – als Obdach­loser. Nun ist er gestorben, mit 49 Jahren. Wenige Tage zuvor kündigte der Direktor der Scala, Domi­nique Meyer, an: Das gesamte Ensemble müsse auf zehn Prozent seines Gehaltes verzichten – nur so könne man diese schwere Zeit gemeinsam bewäl­tigen. Die Thea­ter­welt ist merk­würdig: Auf der einen Seite zahlt sie Spit­zen­gagen von 20.000 oder mehr Euro pro Auftritt, finan­ziert selten allein durch Tickets, sondern immer auch mit Steuern. Gleich­zeitig bekommt eine Sängerin an Stadt­thea­tern viel­leicht gerade einmal 1.800 Euro monat­lich. Es gibt kaum eine andere Branche mit derart hohen Gagen und derart prekären Ange­stell­ten­ver­hält­nissen wie die Klassik. Zeit für mehr Gerech­tig­keit: Es wäre falsch, alle Künstler gleich für Corona zahlen zu lassen – das Gefüge muss grund­le­gend verän­dert werden, um gerade in den nächsten Jahren der klammen Kassen glaub­haft zu bleiben!

VON DEN FESTI­VALS

Einlas­serin I bittet also auch den Mann und die Frau, die Masken wieder aufzu­setzen. Die Frau sagt, sie habe ein Attest und müsse keine Maske aufsetzen. Einlas­serin I ist verblüfft und weist darauf hin, dass der Herr neben ihr eben­falls keine Maske trage. Die Frau sagt, ihr Mann habe eben­falls ein Attest. Einlas­serin I zieht sich offenbar zu Bera­tungs­zwe­cken zurück.“ – so beschreibt Judith von Stern­burg in der Frank­furter Rund­schau ihre Salz­burg-Erfah­rungen und berichtet von einer perfekten Auflö­sung dieser knif­fe­ligen Corona-Situa­tion. Wenig Glück hatte das Festival bei seinem Auftakt: Nach knapp 15 Minuten musste das Eröff­nungs­kon­zert wegen starken Gewit­ters abge­sagt werden. Die Urauf­füh­rung von Konstantia Gourzis Grafenegg-Kompo­si­tion blieb un-ur-aufge­führt. Doch das Festival hofft auf viele weitere, gemüt­li­chere Konzert­abende. So langsam in Schwung kommt auch das : , , und treten hier auf. Statt 1.900 Personen sind im Konzert­saal des KKL nur 950 zuge­lassen. Inter­es­sant ist, dass auch hier die Karten nicht auto­ma­tisch reißenden Absatz finden – zu groß, wahr­schein­lich die Angst des Publi­kums. Einzig die im Vorzimmer führungslos von Holger von Berg geführten haben die Segel früh­zeitig und für den gesamten Sommer gestri­chen, was nun auch die Künstler in Rage bringt: Das deutsch-öster­rei­chi­sche Sänger­paar Peter Seif­fert und Petra Maria Schnitzler befürchten harte Einbußen und kriti­sieren den Umgang mit Künst­lern in

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

bleibt Chef des Beet­hoven Orches­ters . Der Gene­ral­an­zeiger schreibt in der Print-Ausgabe: „Er wird bis 2027 verlän­gert. Im Rat zeichnet sich eine breite Mehr­heit für den Beschluss ab, der in der nächsten Sitzung am 1. September fallen soll. (…) Ein 13 Jahre alter, aber nie umge­setzter Rats­be­schluss, das Orchester um sechs auf 100 Stellen zu verklei­nern, wird nun gekippt.“ +++ Der Tenor Kurt Azes­berger ist während eines -Urlaubs auf einer Radtour in den Dolo­miten uner­wartet verstorben. Inter­na­tional bekannt wurde Kurt Azes­berger auf der Opern­bühne vor allem durch seine Verkör­pe­rung von Mozart­rollen, im Konzert­leben war er dank seiner unver­gleich­lich klaren Stimme ein gefragter Evan­ge­list in den Passionen von

DAS WURST­KLA­VIER

Manche Dinge muss man einfach unkom­men­tiert lassen, so wie das Wurst­kla­vier von Patrick. Klassik: eine Welt für geniale Freaks! 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de