KlassikWoche 46/2022

Im Osten nichts Neues

von Axel Brüggemann

14. November 2022

Teodor Currentzis als Propaganda-Symbol in Russland, die Anfeindungen von Oksana Lyniv in der Ukraine, die Frage nach einem Intendanten-Wechsel bei den Salzburger Festspielen.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute, aus gege­benem Anlass noch einmal mit zwei Blicken gen Osten, auf unsere Bühnen, in die vorweih­nacht­li­chen Kinos und: zu einem wunder­baren Chor-Ereignis. 

Im Osten nichts Neues I

Lange haben wir nichts von ihm gehört, jetzt sorgt Ex-Bruck­ner­haus-Chef mal wieder in Russ­land für Schlag­zeilen. 2009 hatte Frey Putin den Orden des Semper­Opern­balls über­reicht, danach hatte er den Cellisten, Putin-Freund und Panama-Milli­arden-Verste­cker Sergei Roldugin in Linz beschäf­tigt, hatte Russ­land-Touren mit öster­rei­chi­schen Wirt­schafts­ka­pi­tänen orga­ni­siert und wurde schließ­lich zum Inten­danten in Putins Lieb­lingsort, Sotschi, ernannt. Nach Kriegs­aus­bruch brach ein Groß­teil des Semper­opern-Komi­tees zusammen, Frey hielt sich zum Teil in Deutsch­land auf – doch nun scheint er sich endgültig für eine Seite entschieden zu haben.

Die Russi­schen Klassik-News berichten, Frey habe gemeinsam mit Putin-Freund und musi­cAe­terna-Vorstand, dem Gouver­neur von St. Peters­burg Alex­ander Beglov, ein Inter­na­tio­nales Kultur­zen­trum Tschai­kowski-Strauss in St. Peters­burg gegründet. Offenbar wird groß gedacht, man wolle den Pawlowski-Bahnhof rekon­stru­ieren, in dem Johann Strauss einst diri­giert hat, heißt es im Bericht. Deut­lich wird: Russ­lands Kultur-Propa­ganda versucht (wie mit den Touren von musi­cAe­terna) auch weiterhin ein Bild abzu­geben, dass der Kultur­aus­tausch mit Europa intakt sei – allein: Hans-Joachim Frey ist in Europa schon lange verbrannt, kein ernst zu nehmender Reprä­sen­tant Deutsch­lands, die Semper­oper hat sich längst von ihm distan­ziert. Er ist haupt­säch­lich Diener eines Herren:

Perso­na­lien der Woche I

Inten­dantin verlässt die Bregenzer Fest­spiele 2024, um an die Staats­oper nach Berlin zu gehen. Nun ist die Bewer­bungs­frist für ihre Nach­folge verstri­chen: 21 Personen haben sich um den Job am Bodensee beworben. +++ Chris­tian Höppner, Gene­ral­se­kretär des Deut­schen Musik­rates, ist wütend über die Abschaf­fungs-Debatte der Rund­funk­or­chester durch WDR-Chef (wir haben letzte Woche berichtet, hier mein Kommentar): „Tom Buhrow hat mit seinen Äuße­rungen die Kultur im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk zum Abschuss frei gegeben – und das ausge­rechnet als derzei­tiger Vorsit­zender der ARD, denn in dieser Funk­tion öffent­lich als ‚Privat­mensch‘ über das Kern­ge­biet der eigenen Arbeit zu spre­chen, wie Buhrow es verstanden wissen wollte, ist schlichtweg unmög­lich“, sagte Höppner nun.

Kompo­nist setzt sich in einem lesens­werten Essay damit ausein­ander, wie Gegen­warts-Kompo­nis­tInnen, die von den Orches­tern jahre­lang igno­riert wurden, mit der aktu­ellen Orchester-Debatte umgehen sollen. +++ Der Streit zwischen MET-Chef und Anna Netrebkos Manager Miguel Esteban eska­liert weiter. Gelb hatte erklärt, dass er Netrebko nicht in New York enga­giere, weil sie – anders als der Sänger Jewgeni Nikitin – „über eine mehr­jäh­rige Periode gezeigt habe, dass sie eng mit und Wladimir Putin verbunden war.“ Esteban konterte nun, dass Netrebko sich sehr wohl vom Angriffs­krieg distan­ziert habe und dass Gergiev (aus dessen Dunst­kreis auch Nikitin kommt) kein Poli­tiker sei. +++ Herbert Blom­stedt, 95, wurde mit dem Bundes­ver­dienst­orden geehrt. Sach­sens Minis­ter­prä­si­dent Michael Kret­schmer über­reichte ihm die Auszeich­nung in Leipzig

Im Osten nichts Neues II 

Dieses Foto (oben) ist die wohl beste Anti-Werbung für Curr­entzis« Verdi-Requiem in Baden-Baden und Dort­mund mit musi­cAe­terna: das gleiche Stück mit glei­chem Orchester (und einigen glei­chen Solisten) wurde gerade in St. Peters­burg geprobt und aufge­führt (gesponsort von der VTB Bank) und beklatscht von Gazprom-Chef Alexei Miller (rechts außen). Der Post, den Kompo­nist und Jour­na­list auf seiner Face­book-Seite geteilt hat, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass Curr­entzis in Russ­land als Propa­ganda-Symbol dient, was auch deut­lich wurde, als VTB-Chef Andrei Kostin in einem Zeitungs­in­ter­view die Treue des Diri­genten zu Russ­land bekräf­tigte. Kann man die Auffüh­rung des Requiems in Dort­mund und Baden-Baden unter diesen Umständen wirk­lich als Zeichen des Wider­standes gegen den Krieg verkaufen? Wie hat der Angriff Russ­lands auf die Ukraine die Kultur verän­dert? In der aktu­ellen Ausgabe meines Podcasts (hier zum Player für alle Podcast-Formate) gehe ich dieser Frage gemeinsam mit der ukrai­ni­schen Diri­gentin und dem Inten­danten des Fest­spiel­hauses in Baden-Baden, Bene­dikt Stampa, nach. Lyniv wird in ihrer Heimat, der Ukraine, ange­feindet, weil sie weiterhin Tschai­kowski aufführen will und sagt: „Die Kultur ist ein leichtes Opfer. Niemand würde auf die Idee kommen, das Peri­oden­system nicht mehr anzu­wenden, nur weil es von einem Russen erfunden wurde. Mit der Kultur verhält sich das anders. Aber wir dürfen Tschai­kowski nicht zum Opfer des Krieges machen.“

Baden-Baden-Inten­dant Bene­dikt Stampa sagt, juris­tisch spräche nichts gegen die Einla­dung von und musi­cAe­terna, „andere Orchester bekommen derzeit kaum ein Visum“. Er halte die öffent­liche Debatte in der Sache für wichtig: „Kultur muss über diese Dinge disku­tieren.“ Derweil antwortet das Konzert­haus Dort­mund seinen Curr­entzis-kriti­schen Kunden: „Die Art und Weise, wie musi­cAe­terna finan­ziert wird, empfinden wir im Übrigen als durchaus proble­ma­tisch. Aller­dings lässt sich dies nicht inner­halb eines Jahres ‚abschüt­teln‘ (…). Anders als Teodor Curr­entzis werden wir musi­cAe­terna – solang sich diese Voraus­set­zungen nicht ändern – erst einmal nicht wieder einladen.“ Das Verdi-Requiem am 25. November wolle man dennoch durch­führen, „mone­täre Gründe haben uns zu dieser Entschei­dung übri­gens nicht bewogen“, fügt das Konzert­haus hinzu, „das Konzert ist für unser Haus defi­zitär“. Es scheint, dass die Götter­däm­me­rung begonnen hat. Span­nend, ob bei den kommenden Salz­burger Fest­spielen trotz aller Kritik an der VTB- und Gazprom-Nähe von musi­cAe­terna ähnlich trotzig wie letzten Sommer an Diri­gent und Ensemble fest­halten wird. Im Dezember wird er sein Programm vorstellen.

https://​www​.youtube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​l​9​j​0​P​2​5​s​YLU

Inten­dan­ten­wechsel in Salz­burg?

Probleme von ganz anderer Seite bekommen die und Markus Hinter­häuser. „So schlimm und unehr­lich wie hat es sonst prak­tisch niemand getrieben“, sagt der Tenor und meinte (wir haben bereits letzte Woche berichtet): die Zahlungs­moral der Fest­spiele in Corona-Zeiten. Nun wurde eine Muster­klage einge­reicht. Tief blicken ließ Ablinger-Sper­r­hacke, als er die Frage, ob er nach der Klage je wieder in Salz­burg auftreten wird, so beant­wor­tete: „Mit Sicher­heit, weil dort eine neue Fest­spiel­füh­rung instal­liert werden wird. Ich würde nicht darauf wetten, dass es mit der derzei­tigen noch lange weiter­geht, wenn die eine Muster­klage am Hals hat sowie eine parla­men­ta­ri­sche Anfrage.“

Mehr Geld für die Bundes-Kultur

Der Kultur­haus­halt des Bundes für 2023 wurde um 94 Millionen Euro ange­hoben. Damit stehen erst­mals rund 2,39 Milli­arden Euro für die Kultur- und Medi­en­po­litik des Bundes zur Verfü­gung. Kultur­staats­mi­nis­terin sagt: „Mit diesem deut­li­chen Zuwachs im Kultur- und Medi­en­etat des Bundes haben wir ein starkes Funda­ment geschaffen, um die Viel­falt der Kultur unseres Landes und die kultu­relle Teil­habe für die ganze Gesell­schaft zu ermög­li­chen und zu stärken.“

Roth plant unter anderem einen Kultur­pass von 200 Euro für 18-Jährige. Aber ist mehr Geld für den Bund wirk­lich die Lösung? Die meisten in Schief­lage befind­li­chen Häuser werden von Spar-Ländern und bank­rotten Gemeinden getragen. Claudia Roth rettet viel­leicht Leucht­türme, aber die einma­lige deut­sche Kultur­land­schaft ist derweil eher in den Städten in Gefahr. Dort braucht es mehr Geld, und dort braucht es: Mut zur Trans­for­ma­tion. 

Auf unseren Bühnen

Kunstrichterberatung

Beson­ders gelun­gene Première der letzten Woche war offen­sicht­lich Wagners Meis­ter­singer mit Regis­seur und Diri­gent an der Oper in Frank­furt. Erath kümmert sich weniger um Wagners Anti­se­mi­tismus, sondern um die Frage der wahren Liebe und der Kunst. Zum Nach­spiel leuchtet über dem Volk das Wort „Germania“ auf, schreibt Jan Brach­mann in der FAZ, „bis die drei ersten Buch­staben verlö­schen. Wenn man also, „was deutsch und echt“, aus der bunten Viel­falt streicht, bleibt ‚mania‘ übrig. Wahn­sinn, diese toll­kühne Insze­nie­rung!

In unseren Kinos

Während der aktu­elle Zauber­flöten-Spiel­film mit einer Mischung aus Harry Potter und Schule der magi­schen Tiere eher als Giga-Flopp aufge­nommen wird (Rolando Villazón hat auch eine Rolle über­nommen), feiert Manuel Brug in der Welt den Film Tenor des Regis­seurs Claude Zidi Jr.: „Es ist aber auch zu rührend: Der samt­äu­gige, eigent­lich ganz brave Rapper Antoine kommt aus der migran­tisch durch­setzten Banlieue mit seiner Sushi-Liefer­tüte ins Herz von Paris – in die Opèra. Dort gibt es ein kleines Battle, man lässt ihn seine Außen­sei­ter­rolle sofort spüren.“ 

Perso­na­lien der Woche II

Morgen, am 15. November, wird 80 Jahre alt. Die New York Times hat Baren­boim bereits jetzt in einem großen Text gefeiert, sein Haus, die Staats­oper in Berlin, feiert ihn seit Wochen, indem es jeden Tag ein neues Bild mit Baren­boim auf seine Social-Media-Kanäle stellt. Krank­heits­be­dingt musste Baren­boim die Geburts­tags­fei­er­lich­keiten absagen. +++ Pianist hat einen Groß­teil seiner Karriere seinen Twitter-Akti­vi­täten zu verdanken. Nun hat er, aus Protest gegen Elon Musk, den Nach­rich­ten­dienst verlassen, die Stim­mung in diesem Sozialen Netz­werk sei „uner­träg­lich geworden“, sagte Levit. CRESCENDO errei­chen Sie weiterhin mit aktu­ellen News auf Insta­gram. +++ Thea­ter­wis­sen­schaftler und Kritiker Fabian Burstein hat ein Buch mit dem Titel Erobe­rung des Elfen­bein­turms geschrieben, in dem es um die Rück­ge­win­nung des Publi­kums in schweren Zeiten geht. In der ORF-Sendung Kultur­montag stellt er seine Thesen vor. +++ Seit über 50 Jahren erin­nert das Hamburger Brahms-Museum an den Kompo­nisten. Jetzt präsen­tiert es sich nach Reno­vie­rung mit einer über­ar­bei­teten Ausstel­lung, Udo Badelt hat sie für den Tages­spiegel besucht

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur, viel­leicht hier: In einem Konzert in Rom diri­gierte der Multi­in­stru­men­ta­list Jacob Collier das Publikum – und wie! Wer in einem Chor singt, wird aus dem Staunen nicht mehr heraus­kommen. Nur mit den Händen zeigt Collier an, was die Masse singen soll – gerauscht kommt eine chro­ma­ti­sche Hymne. Musik als schönes Wunder, zu sehen auf Insta­gram!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Monika Rittershaus