Walentyn Sylwestrow, Nikolai Kapustin, Mychajlo Werbyzkyj u.a.
Die zehn wichtigsten Komponisten der Ukraine
von Ruth Renée Reif
15. April 2022
Die zehn wichtigsten Komponisten der Ukraine – eine schwierige Wahl. So ist diese Auswahl vor allem der Versuch, einen Überblick zu vermitteln durch die Jahrhunderte wechselvoller Geschichte.
Semen Stepanowytsch Hulak-Artemowskyj (geboren 1813 in Horodyschtsche und gestorben 1873 in Moskau)
Semen Hulak-Artemowskyj war ein Schüler von Michail Glinka, der ihn mit nach St. Petersburg nahm. Am Mariinski-Theater feierte Hulak-Artemowskyj über 20 Jahre lang Erfolge als Bassbariton. 1851 schrieb er die Oper Die ukrainische Hochzeit.
1861⁄62 folgte die komische Oper Die Saporoger an der Donau, die mit ihm in der Hauptrolle am Mariinski-Theater zur Uraufführung kam. Sie wird als erste ukrainische Nationaloper angesehen.
Mychajlo Mychajlowytsch Werbyzkyj (geboren 1815 in Jawornik Ruski und gestorben 1870 in Młyny)
Mychajlo Werbyzkyj war Priester und Komponist. Er schrieb geistliche Musik und Chormusik zu Texten von Taras Schewtschenko, Markijan Schaschkewytsch und Jurij Fedkowytsch.
Werbyzkyjs Melodie zu Pawlo Tschubynskyjs Gedicht Noch ist die Ukraine nicht gestorben wurde zur Grundlage der heutigen Nationalhymne der Ukraine.
Mykola Witalijowytsch Lyssenko (geboren 1842 in Grinki und gestorben 1912 in Kiew)
Mykola Lyssenko gilt als Begründer der modernen ukrainischen Musikkultur und als Klassiker der ukrainischen Musik. Er komponierte Lieder, Romanzen, Kantaten, Chorwerke sowie eine Reihe von Opern nach Erzählungen von Nikolai Gogol. Die Oper Taras Bulba mit einem Libretto von Mychajlo Staryzkyj nach einer Gogol-Erzählung über den Befreiungskampf des ukrainischen Volkes gegen die polnische Herrschaft gefiel Peter Tschaikowski so gut, dass er sie in Moskau aufführen wollte. Lyssenko stellte jedoch die Bedingung, dass die Aufführung in ukrainischer Sprache erfolgen solle.
1885 komponierte er zu einem Text von Oleksandr Konyskyj den patriotischen Choral Gebet für die Ukraine. Anlass war die Unterdrückung der ukrainischen Sprache durch das Russische Reich. Erneut Bedeutung erlangte der Choral im ukrainischen Unabhängigkeitskrieg von 1917 bis 1920. Und 2001 wurde er zum 10. Jubiläum der Unabhängigkeit der Ukraine aufgeführt.
Borys Mykolajowytsch Ljatoschynskyj (geboren 1894 in Schytomyr und gestorben 1968 in Kiew)
Borys Ljatoschynskyj war ein Schüler des russisch-sowjetischen Komponisten Reinhold Glière, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Seine Werke basieren auf der russischen Schule der Jahrhundertwende. Zugleich nahm er Einflüsse französischer Impressionisten auf.
Er komponierte die Opern Der goldene Ring und Der Kommandeur über Mykola Shchors, der als Kommandeur der ukrainischen Rebellen im Kampf gegen die galizische Armee starb. Zudem schrieb er Sinfonien, Lieder und Chorwerke zu Gedichten von Taras Schewtschenko und Alexander Puschkin.
Stefanija Iwaniwna Turkewytsch-Lukijanawytsch (geboren 1898 in Lemberg und gestorben 1977 in Cambridge)
Stefanija Turkewytsch-Lukijanawytsch war eine Schülerin von Wassyl Barwinskyj, einem neoromantischen Komponisten, der 1948 in ein Straflager nach Moldawien deportiert wurde. Turkewytsch-Lukijanawytsch emigrierte 1946 auf der Flucht vor der Roten Armee nach Großbritannien.
Sie komponierte die Ballettmusik Das Mädchen mit den verdorrten Händen, die Oper Mavka nach der Feerie Das Waldlied der Dichterin Lessja Ukrajinka sowie Kinderopern, Sinfonien, liturgische Musik und Klammermusik.
Julij Sergejewitsch Mejtus (geboren 1903 in Jelisawetgrad und gestorben 1997 in Kiew)
Julij Mejtus zählt zu den bedeutendstem ukrainischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er schrieb rund 18 Opern, Orchesterwerke, Chorzyklen, Kantaten und Lieder. Seine Oper Die junge Garde war 1947 die erste Oper nach dem Zweiten Weltkrieg.
Als Vorlage diente Mejtus der gleichnamige Roman des sowjetischen Schriftstellers Alexander Fadejew über den Kampf einer jugendlichen Partisanengruppe während der deutschen Okkupation 1942 im Donezkbecken. In den 1950er-Jahren folgten die Opern Morgenrot über der Dwina, Nördliches Morgengrauen und Das gestohlene Glück.
Nikolai Girschewitsch Kapustin (geboren 1937 in Gorlowka und gestorben 2020 in Moskau)
Nikolai Kapustin begann seine Laufbahn als Jazzpianist, ehe er zur klassischen Musik kam. Doch er sah sich nie als Jazzmusiker. „Ich habe nie versucht, ein wahrer Jazzpianist zu sein, aber ich musste es sein, um des Komponierens willen“, erklärte er. „Alle Improvisation meinerseits ist natürlich niedergeschrieben, und sie ist dadurch viel besser geworden.“
Kapustins Schaffen, das rund 20 Klaviersonaten sowie Klavierkonzerte und weitere Instrumentalkonzerte umfasst, blieb in der Ukraine lange Zeit unbekannt. Erst als der Pianist Steven Osborne 2000 ein Album mit seinem Werk veröffentlichte, begann seine internationale Bekanntheit.
Weitere Informationen zum Werk Nikolai Kapustins unter: CRESCENDO.DE
Walentyn Wassylowytsch Sylwestrow (geboren 1937 in Kiew)
Walentyn Sylwestrow ist heute der bekannteste Komponist der Ukraine. Lange Zeit stand er mit seinen Werken nur am Rande der ukrainischen Musikszene. Als Schüler von Borys Ljatoschynskyj wandte er sich zunächst der Avantgarde zu, ehe er in den 1970er-Jahren zu seinem „metaphysischen Stil“ fand und sich mit der Vorstellung einer „Metamusik“ auf die Suche nach einem „universalen Stil“ begab. 1992 entstand mit der Sinfonie für Klavier und Orchester Metamusik ein Schlüsselwerk seines Schaffens.
2014 anlässlich der völkerrechtswidrig Annexion der Krim durch Russland und den sezessionistischen Bewegungen im Osten der Ukraine, die in einem bewaffneten Konflikt eskalierten, komponierte Sylwestrow sein Gebet für die Ukraine. Vor dem russischen Angriffskrieg 2022 floh er aus Kiew nach Berlin.
Myroslaw Mychajlowytsch Skoryk (geboren 1938 in Lwów und gestorben 2020 in Kiew)
Myroslaw Skoryk gehörte zur sogenannten Neuen Folklorewelle. Insbesondere der Anschluss der Karpatoukraine als Oblast Transkarpatien an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik hatte auch das Interesse an der farbenreichen Karpatenfolklore erweckt.
Skoryk komponierte 1964 die Musik zu dem Film Feuerpferde, der auf einem Roman des Schriftstellers Mychajlo Kozjubynskyj basierte und in einem Dorf in den Karpaten spielt. 1972 entstand sein Karpatenkonzert für großes Orchester. Dass seine Komposition Melody, die er 1981 auch in dem Kriegsfilm High Pass über eine zwischen Kommunisten und ukrainischen Nationalisten gespaltene karpatische Bauernfamilie verwendete, vom Publikum so geliebt wurde, beglückte ihn. Als Ausdruck der ukrainischen Seele, die darin singe, wird Melody gesehen.
Jewhen Fedorowytsch Stankowytsch (geboren 1942 in Swaljawa)
Jewhen Stankowytsch war ein Schüler von Borys Ljatoschynskyj und Myroslaw Skoryk. Er schrieb die Musik zu rund 100 Filmen, komponierte Sinfonien, Vokalmusik sowie Ballette und Opern.
Seine Oper Wenn der Farn blüht über die Entstehung der Saporoger Kosakengemeinschaft im 15. Jahrhundert und deren Untergang im 17. Jahrhundert wurde 1978 unmittelbar vor der Uraufführung von den sowjetischen Behörden verboten und erst 2011 in Kiew zur Uraufführung gebracht. Die szenische Uraufführung erfolgte 2017 an der Oper von Lwiw.
Weitere Informationen zum Werk von Jewhen Stankowytsch auf seiner Website unter: stankovych.org.ua
Quellen: Wikipedia, „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ (Bärenreiter), Sigrid Neef „Handbuch der russischen und sowjetischen Oper“, „Welt der Musik“ (Propyläen) Loseblattsammlung Komponisten der Gegenwart (edition text + kritik).