Konstantin Wecker

München – Isar – Sommer – Prater­insel

von Barbara Schulz

14. September 2021

Konstantin Wecker zählt zu den erfolgreichsten Liedermachern. „Nein, ich hör nicht auf zu träumen von der herrschaftsfreien Welt“, lautet sein Credo.

zählt zu den erfolg­reichsten Lieder­ma­chern. „Nein, ich hör nicht auf zu träumen von der herr­schafts­freien Welt“, lautet sein Credo. Am 4. Juni 2021 beginnt er im Circus Krone seine Tournee mit dem neuen Programm „Utopia. Eine Konzert­reise“. Zu hören gibt es neue Lieder, Wecker-Klas­siker sowie Texte und Gedanken von Dich­tern der Räte­re­pu­blik wie den Anar­chisten und Anti­mi­li­ta­risten Erich Mühsam und Gustav Land­auer. Geboren und aufge­wachsen ist Wecker in . Und hier wohnt er auch heute noch.

Sie gilt als Stadt der Schönen und Reichen, der Bussi-Bussi-Gesell­schaft, der unan­ständig hohen Mieten. Und doch liebt man sie: für ihre entspannte Eleganz, für ihren lässigen Hedo­nismus, und dafür, dass sie sich immer noch ein biss­chen schwer tut, den Weg aus der gemüt­li­chen Tradi­tion in die Moderne zu finden.

München – ein groß­ar­tiges Lebens­ge­fühl

Isar, Sommer, Prater­insel – in diesen drei Worten und Orten steckt die ganze Liebe, die der Münchner Lieder­ma­cher Konstantin Wecker (Titel­foto des Beitrags: © Thomas Karsten) für seine Stadt empfindet. Weil sie Sinn­bild sind für die Seele dieser Stadt – und für ein groß­ar­tiges Lebens­ge­fühl.

Wo, wenn nicht nahe der Isar, sollte ein Spazier­gang mit Konstantin Wecker in München beginnen? Tatsäch­lich treffen wir uns am Mari­an­nen­platz, wo er aufge­wachsen ist, mitten im Lehel – der „echte“ Münchner, also auch Wecker, sagt „Lechel“, was richtig ist, darum streitet man sich bis heute –, einem inzwi­schen recht gedie­genen Stadt­viertel. Einst eher ein Ort für Hand­werker und Gering­ver­diener, wurde das Lehel zwar bereits 1724 einge­meindet, behielt seinen ursprüng­li­chen Charakter aber lange bei. „Wir haben wie auf einem Dorf gelebt – völlig autark. Es gab ja alles. Heute ist es ein Zweit­wohn­sitz­viertel reicher Anwälte. Nicht mehr lebendig wie damals“, beklagt Konstantin Wecker.

Die Isar an der Münchner Praterinsel
Isar, Sommer, Prater­insel – Erin­ne­rungen von Konstantin Wecker an seine Kind­heit in München

Und ja, die präch­tigen Stuck­fas­saden der Grün­der­zeit, die Jugend­stil­bauten, die schi­cken, aber nicht hippen Restau­rants und Cafés lassen keinen Zweifel zu: Hier, zwischen Isar, Altstadt und Engli­schem Garten stehen wir in einer der vornehmsten und teuersten Wohn­ge­genden Münchens. Die Nähe zur Innen­stadt, zur glamou­rösen Maxi­mi­lian- und zur noblen Prinz­re­gen­ten­straße, die beide abschnitt­weise zum Lehel gehören, hat eben seinen Preis.

Die Lukaskirche auf dem Münchner Mariannenplatz
Der „Münchner Dom der Protes­tanten“: die Lukas­kirche auf dem Mari­an­nen­platz

Selbst die Lukas­kirche, erbaut 1893 bis 1896 nach Plänen von Albert Schmidt, die den Mari­an­nen­platz domi­niert, ist von einer so auslan­denden Opulenz und Größe, wie man sie von evan­ge­li­schen Gottes­häu­sern eigent­lich nicht kennt. Kein Wunder, dass sie – als einzige, fast voll­ständig erhal­tene evan­ge­li­sche Pfarr­kirche des Histo­rismus in München – als „Münchner Dom der Protes­tanten“ gilt.

Konstantin Wecker mit seinem Vater
Singen und Traviata sein: Konstantin Wecker mit seinem Vater, dem Maler und Kunst­pro­fessor Alex­ander Wecker-Berg­heim

„Isar, Sommer, Prater­insel – das ist meine Kind­heits­er­in­ne­rung“, fasst Wecker zusammen. Neben der anderen Kind­heits­er­in­ne­rung, die er fast ein biss­chen stolz nach­schiebt: „Vater, Singen, Traviata sein“ – lange Zeit habe er mit seinem Vater die großen Liebes­du­ette der italie­ni­schen Oper gesungen. „Zwar hatte mein Vater beruf­lich nie was mit dem Singen im Sinn, aber er hatte eine wunder­schöne Stimme. Hört man sich jedoch die Aufnahmen an, die meine Mutter immer machte, ist inter­es­sant, dass ich meinen Vater schon als 11‑, 12-Jähriger musi­ka­lisch mitge­zogen hab«. Was ihm fehlte, war die über­ra­gende Musi­ka­lität, die musi­ka­li­sche Emotio­na­lität. Er war kein Pava­rotti. Aber er hat jeden Tag solfeg­giert und geübt und gesungen. Berühmt zu werden, war ihm gar nicht so wichtig, und seine Angst vor der Bühne war auch keine Voraus­set­zung für eine Karriere. Aber er war ja ein sehr begabter Maler und hatte da seine schönen Erfolge.“

Mit einem Bakunin-Buch in die Schule

„Aber ja, für mich bestand meine ganze Kind­heit aus Sommer!“, erzählt Wecker. Und alles sei fußläufig gewesen: die Volks­schule in der Herrn­straße, das Wilhelms­gym­na­sium in der Thiersch­straße, Münchens ältestes und wohl schönstes Gymna­sium, das bis heute als Élite-Schule bekannt ist. Wecker besuchte es nicht bis zum Ende: „Ich wurde gegangen. Ich hatte einen anti­au­to­ri­tären Vater, der 1914, also zur Zeit der schwarzen Pädagogik, geboren war. Meine Mutter war ein wenig strenger. Vor allem aber waren beide beken­nende Anti­fa­schisten – es war so ein Segen, in dieses Eltern­haus geboren zu werden. Von daher habe ich die auto­ri­täre Struktur des Gymna­siums und die vielen Nazis, die zu der Zeit noch unter­rich­teten, nicht ausge­halten. Ich bin damals mit einem Bakunin-Buch in die Schule gegangen – gelesen hatte ich noch nicht viel darin, aber ich wusste, Anar­chie würde sie scho­cken. Und so war es ja auch.“

Konstantin Wecker und seine Mutter
Konstantin Wecker mit seiner Mutter Doro­thea 2005, ein Jahr vor ihrem Tod 2006

Dass er dennoch des Öfteren von zu Hause abge­hauen ist, hatte demnach auch nichts mit seinen Eltern zu tun, sondern mit eben jenem auto­ri­tären System der Schule. „Ich wollte als freier Dichter leben, schon mit 14. Mit 12 hatte ich ja bereits ange­fangen zu schreiben – was ich im Übrigen meiner Mama zu verdanken habe. Die hat Gedichte geliebt und sie auch immer vorge­tragen; nicht um mich zu belehren, sondern weil sie es so schön fand. Bei der Haus­ar­beit hat sie einfach Gedichte zitiert. Und so habe ich in der Biblio­thek meiner Eltern gestö­bert, die ganzen Roman­tiker gelesen und schließ­lich selbst ange­fangen zu schreiben wie sie. In der Pubertät kamen dann Trakl und die Expres­sio­nisten in mein Leben, Georg Heym und der Dada­ismus. Lite­ratur und Musik war also das, was mich bis zu meinem 18. Lebens­jahr getragen hat.“

Doch noch ein Blick zurück auf die frühe Kind­heit: „Sommer, das war der Blick auf die Lukas­kirche, die immer mit ihrem herben Glocken­schlag dräute – dank ihr brauchten wir zu Hause nie eine Uhr. Dann in der Bade­hose aus dem vierten Stock runter und über die damals quasi unbe­fah­rene Steins­dorf­straße, rüber zur Prater­insel und in die Isar, in der mich meine Mama das Schwimmen gelehrt hat.“

Die Isar an der Münchner Praterinsel
Die Sand­bänke in der Isar an der Prater­insel

Offi­ziell, wie unser Treffen nun mal ist, sind zum Glück weder Bade­hose noch ‑anzug als Dress­code gefor­dert, aber ansonsten hat der heiße Sommertag durchaus das Zeug, ausge­spro­chen „wecke­resk“ zu werden, sprich: München so zu erleben, wie Wecker es als Kind erlebt bzw. gefühlt hat. Denn schon liegt sie vor uns, die Prater­insel, einst von Fran­zis­ka­ner­mön­chen als Garten und zur Erho­lung ange­legt und neben der Muse­ums­insel eine von zwei befes­tigten und bebauten Fluss­in­seln in der Isar. Eine bewegte Geschichte hat sie hinter sich. Vergnü­gungs­park, Sitz der Essig- und Schnaps­fa­brik Riemer­schmid und diverser Kultur-Insti­tu­tionen, Kneipen und Gast­stätten ist es bis heute der Standort des Alpinen Museums und des Deut­schen Alpen­ver­eins sowie des Minis­te­riums für Unter­richt und Kultus des Frei­staats . Wer viel Geld für ein großes Event locker machen will, kann eine der groß­ar­tigen Loca­tions in der ehema­ligen Schnaps­fa­brik anmieten und sich von Fein­kost Käfer verwöhnen lassen.

Panta rhei – alles im Fluss

Weil aber München einfach München ist, schlen­dern wir vorbei an jungen und alten Lebens­künst­lern, die sich in Liege­stühlen der Sonne entge­gen­rä­keln. „Ja, die Isar war schon prägend für mein Leben“, sagt Wecker, und dass er das nicht nur physisch, sondern auch in über­tra­gendem Sinn des Panta rhei meine: Alles ist im Fluss.

Ein Kleinod des Jugendstils: das Müllersche Volksbad in München
Eines der schönsten Bade­häuser Europas: das Müllersche Volksbad

Und so bleiben wir am Wasser, gehen die Isar entlang, lassen den Gasteig, das Kultur­zen­trum, hinter uns und das nur einen Katzen­sprung entfernte Müllersche Volksbad – auch dort war Wecker regel­mäßig –, eines der schönsten Bade­häuser Europas, erbaut in reinstem Jugend­stil, in Rich­tung Engli­scher Garten. Heißt: Eisbach, (eine Ablei­tung der Isar). Und Chine­si­scher Turm. Er sei immer gern am „Turm“, „aber im Moment hat das ein wenig an Leich­tig­keit verloren“, meint Wecker mit Blick auf die Einschrän­kungen durch Covid-19.

das Tivoli-Kraftwerk am Münchner Eisbach
Das Tivoli Kraft­werk am Eisbach in Hirschau, das für die Loko­mo­ti­ven­fa­brik Maffei den Strom lieferte

Aber der Eisbach … Da ist es halt wieder, das Wasser. „Von der Hirschau in Rich­tung Isar, da kommt eine Schleuse an der Isar. In die fließt der Eisbach. Und genau da waren früher die „Nackerten“. Ich war auch dabei. Das war „mein Isar-Erleben“. Und ist es irgendwie immer noch: „Nicht nur im Sommer. Schon im März oder auch im Winter – kaltes Wasser ist eine Grun­d­es­senz des Lebens. Also am besten sein Zeug an der Schleuse liegen lassen und zum Hilton hoch. Dann die große Runde bis zur Schleuse schwimmen. Heute muss man dafür nicht mehr nackt sein.“

Konstantin Wecker mit der Chansonsängerin Schwabinger Gisela
Konstantin Wecker mit der Chan­son­sän­gerin Schwa­binger Gisela

Wir verlassen den Engli­schen Garten und machen uns schließ­lich dorthin auf den Weg, wo alles seinen Anfang nahm. Natür­lich gab es da vorher Gisela, jene legen­däre Chan­son­sän­gerin mit der gleich­na­migen Kneipe in der Occam­straße 8, in der heute das Vereins­heim ansässig ist, eines der bekann­testen Münchner Klein­kunst­lo­kale. Sie war später auch Geschäfts­füh­rerin im „Kaffee Giesing“, das Wecker 1984 eröff­nete – damals „schrill, schick und szenig“, wie der Münchner Merkur schrieb. „So schließen sich Kreise“, lächelt Wecker. Dann die Kult­kneipen „Chez Margot“ in der Norden­dstraße, das „Fendstüberl“ in der Fend­straße, der „Mari­en­käfer“ in der Geor­gen­straße, die alte „Schwa­binger 7“, liebe­voll Schwasi genannt, das alte „Domicile“ in der Sieges­straße und viele andere Kneipen mehr.

Konstantin Wecker mit dem Freund und Gönner Dieter Hildebrandt
Eine Begeg­nung, die prägend war für Konstantin Wecker: der Freund und Gönner Dieter Hilde­brandt
(Foto: © dpa_​N. Bach­mann)

Aber „reine“ Wecker-Konzert fand in der Münchner „Lach- und Schieß­ge­sell­schaft“ statt. Sammy Drechsel und Dieter Hilde­brandt hatten die kurz „Lach und Schieß“ genannte Bühne in der Schwa­binger Ursu­la­straße 1956 als poli­ti­sches Kaba­rett gegründet. Sie bzw. seine Begeg­nung mit Dieter Hilde­brandt und Sammy Drechsel war es auch, die Weckers Karriere geprägt hat. Dass er erzählt, sein späterer Freund Sammy hätte ihn u.U. mehr wegen seiner knackigen Figur als geeignet für den „FC Schmiere“ (Fußball­club der L&S, bei dem die Beleg­schaft promi­nente Gäste einlud) einge­schätzt und ihn deshalb singen lassen, ist die eine Geschichte. Die andere: „Hilde­brandt war nicht nur ein Freund, er war auch mein Gönner und nahm mich immer zum ‚Schei­ben­wi­scher« mit. Über­haupt war ich am Anfang meiner Karriere mehr mit Kaba­ret­tisten zusammen, obwohl ich ja gar keiner bin. Es war die poli­ti­sche Haltung, die mir wichtig war.“ Ob das erste Konzert ausver­kauft war? Wecker lächelt: „Als ich damals in dem Saal stand, dachte ich: Wenn du hier mal vor verkauftem Haus spielst, dann hast du’s geschafft.“ Das hat er, denn heute füllt er den Gasteig und den Circus Krone, vermut­lich gut und gern auch zwei Mal.

Jedes Wort muss verstanden werden.

Konstantin Wecker un Joachim Kaiser
Die Herkunft aus der klas­si­schen Musik lässt sich nicht verleugnen: Konstantin Wecker 1982 mit

„Dabei war ich musi­ka­lisch gar nicht kompa­tibel mit der Musik von damals. Ich hatte ein Cello dabei, dafür aber kein Schlag­zeug – das Publikum hätte meinen Text nicht mehr verstanden.“ Und dann sagt er diesen klas­si­schen Wecker-Satz, den er vor allem jungen Lieder­ma­chern mit auf den Weg gibt: „Wenn ihr an das glaubt, was ihr singt, müsst ihr deut­lich singen. Das ist wich­tiger, als schön zu singen.“ Er wollte und will, dass jedes Wort verstanden wird: „Ich singe vertonte Gedichte – jedes noch so kleine nicht verstan­dene Wort wäre vergeudet.“ Aber natür­lich habe damals jeder gemerkt, dass er aus der klas­si­schen Ecke kommt. Die Polit-Szene, vor allem natür­lich die marxis­ti­schen Gruppen, warfen ihm vor, Cello sei ein bour­geoises Instru­ment. „,Und die Gitarre nicht?«, habe ich gefragt. ‚Wo man den König ange­schleimt hat mit Gitarren- und Lauten­lie­dern.«“ Er hat sich durch­ge­setzt. Und mehr als das. Schmun­zelnd sagt er aber auch: „Ich glaube, viele sind damals nicht wegen, sondern trotz meiner Musik gekommen.“

Circus Krone
Der Circus Krone – eine Konstante in Konstantin Weckers Lauf­bahn und Ausgangs­punkt seiner neuen Tournee „Utopia“

Auf alle Fälle kamen genug, um Hallen zu füllen. Und als die Rede auf den Circus Krone kommt, gerät Wecker gera­dezu ins Schwärmen: „Es war atem­be­rau­bend, das erste Konzert im Krone. Volles Haus! Ich bin ihm mein Leben lang schon als Künstler verbunden und werde dort auch mit „Utopia – Eine Konzert­reise“ starten. Der Circus Krone ist immer mein Auftrittsort gewesen und irgendwie schon Teil meines Lebens. Immerhin habe ich dort zu meinem 50., zum 60. und zum 70. Geburtstag konzer­tiert.“ Leider lassen Zeit und Hitze einen Spazier­gang in die Mars­straße im Stadt­teil Neuhausen nicht zu. 

Konstantin Wecker mit Joan Baez im Olympiastadion
Konstantin Wecker 1984 im Olym­pia­sta­dion mit der Sängerin und Bürger­recht­lerin Joan Baez

Auch ist Schwa­bing hinsicht­lich seiner Sozia­li­sa­tion als Künstler und Mensch natür­lich viel wich­tiger, und so bleiben wir erst mal: „Die Oma war in Schwa­bing – fast schon ein Tages­aus­flug vom Lehel aus, wenn wir mit der Tram in die Para­dies­straße gefahren sind. Wirk­lich kennen­ge­lernt hab ich es jedoch erst als junger Mann – bei den Schwa­binger Krawallen. Da wurde es zu dem Viertel, das ich gern gehabt habt.“ Dass er hier seine ersten Versuche mit der Gitarre gemacht habe, erzählt er, mit 18 seine ersten Gedichte für Gitarre vertont habe, weil mit Klavier in all den Kneipen gar keine Chance für einen Auftritt bestanden hätte. Dass er dabei aber auch nur ein leid­lich guter Gitar­rist gewesen sei. „Das war die Zeit von Franz Josef Degen­hardt und seinen Schmud­del­kin­dern und von Georg Kreisler, dessen Musik ich damals kennen­ge­lernt habe. Da wurde mir bewusst, dass man auf dem Klavier alles viel besser machen kann – und Klavier­spielen kann ich ja im Gegen­satz zur Gitarre. Und so hab ich eine andere Chan­son­sän­gerin in der Nähe der Herrn­straße in einer wunder­baren Schwu­lenbar – damals natür­lich noch verboten, aber das war ja das Reiz­volle daran – auf dem Flügel zu den alten Fried­rich-Hollaender- und Bert-Brecht-Liedern begleitet.“ Und: Da hat er auch seine ersten eigenen Lieder gesungen. Oder im kultigen „Song Parnasse“ in der Nähe vom Max-Weber-Platz. Dort aller­dings noch mit Gitarre. Die Gage waren zwei, drei Bier – und das war schon gut bezahlt. Viel gelernt habe er in dieser Zeit, sagt Wecker, vor allem über die Lieder der 20er-Jahre. „Die lassen mich bis heute nicht los – und die Dichter der Räte­re­pu­blik wie Erich Mühsam und Gustav Land­auer sind jetzt auch Thema in meiner Utopia-Tour neben einigen von Mascha Kaléko.“

Der Dianatempel im Münchner Hofgarten
Der Diana­tempel im Münchner Hofgarten mit seinen Muschel-verzierten Wand­brunnen und der Bavaria-Statue auf dem Dach

Inzwi­schen sind wir im Hofgarten ange­kommen. Ange­legt 1615 trennt er mit der riesigen Anlage der Resi­denz die Münchner Altstadt zur Maxvor­stadt ab. Zwischen den Arkaden, mit denen seinen neuen Garten zur Ludwig­straße einhegen ließ, der -Hofkirche und der Baye­ri­schen Staats­kanzlei an der Ostseite, liegt nicht nur einer der schönsten Renais­sance-Gärten, dort hat sich auch einer der schönsten Rück­zugs­orte Münchens entwi­ckelt. Im Sommer wie im Winter wird hier Boule gespielt, Touristen wie Einhei­mi­sche sitzen auf den Bänken, die vor allem rund um den mittigen Pavillon im Sommer Schatten oder ganz­jährig einfach nur Ruhe suchen. Wer im Tambosi vor dem Lokal auf der Odeons­platz­seite keinen Platz mehr bekommt, weil der Blick auf die Feld­herrn­halle und die mäch­tige Thea­ti­ner­kirche Sankt Kajetan einfach zu schön ist – ja, mehr München geht nicht –, sitzt beschau­li­cher auf der Rück­seite an den Arkaden. Oder, wenn man zwischen der echten und der selbst ernannten Promi­nenz einen Tisch ergat­tern kann, in der wohl bekann­testen Bar, im Schumann’s an der Nord­seite des Gartens. The one and only Barkeeper Deutsch­lands ist tatsäch­lich oft selbst anwe­send.

Franz Schu­bert – der Zieh­vater des Lieder­ma­cher­tums

der Herkulessaal in der Münchner Residenz
Auch ein Auftrittsort von Konstantin Wecker: der Herku­les­saal der Münchner Resi­denz

„Auch hier habe ich schon gespielt“, sagt Konstantin Wecker und zeigt in Rich­tung Süden, hin zum Herku­les­saal, im nörd­li­chen Gebäude der Resi­denz. Hier finden vorwie­gend klas­si­sche Konzerte statt, inso­fern sieht sich Wecker hier gar nicht so falsch aufge­hoben: „Lite­ratur und Musik war das, was mich bis zu meinem 18. Lebens­jahr getragen hat. Mich hat nichts anderes inter­es­siert.“ Letzt­lich sei auch mit seinen soge­nannten Kunst­lie­dern der Zieh­vater seines Lieder­ma­cher­tums. Hier sei die größte Lyrik der deut­schen Lite­ratur von einem genialen Musiker vertont worden. „Als die Beatles heraus­kamen, hab ich ziem­lich arro­gant gesagt, hört euch lieber das Beet­hoven-Violin­kon­zert an. Ich fand die zunächst lang­weilig.“ Und nicht zuletzt hatte Wecker ja auch ein paar Semester Gesang an der „Hoch­schule für Musik und Theater“ an der Arcis­straße studiert. „Klas­si­scher Sänger aber wollte ich nicht werden. Ich hatte ja damals schon meine ersten Lieder und wollte mich eigent­lich fürs Diri­gen­ten­stu­dium vorbe­reiten.“

Die Sankt-Anna-Kirche in München
Blick in die Sankt-Anna-Straße zur Sankt-Anna-Kirche

Zudem habe er „schon vor dem Stimm­bruch unglaub­lich viel Musik inha­liert“. Zunächst natür­lich mit seinem Vater. Mit seinem Musik­lehrer, der viele Aufnahmen von ihm mit der Knaben­stimme gemacht habe – Schu­bert, Mozart und auch Haydn. Schließ­lich in der Sankt-Anna-Kirche – „ich war ja katho­lisch“ –, wo er viel an der Orgel aufge­nommen habe. „Und auch zu Hause gab es nur Schel­lack-Platten mit der Callas und der Tebaldi – die haben mich damals inter­es­siert, ich war ja Sopran. Später dann die Tenöre: Caruso, Benia­mino Gigli, vor allem aber Jussi Björ­ling. Er ist derje­nige, der bis heute in meiner Seele alles anrührt, was man anrühren kann.“ Ja, so einer ist schon gut aufge­hoben im Herku­les­saal. Auch wenn die Moderne in der Musik nie das Seine war: „Ich habe ja auch ange­fangen, Kompo­si­tion zu studieren. Und sofort wieder aufge­hört, als ich gemerkt habe, dass jeder Ansatz einer Melodie verboten war. Ich bin aber Melo­diker. Und so beschloss ich also: Wenn die große Kunst so auszu­sehen hat, dann werde ich halt Klein­mu­siker.“ Ein paar Mal sei er auch zu den Donau­eschinger Musik­tagen (Festival für zeit­ge­nös­si­sche Musik), um sich das anzu­hören. Wahn­sinnig rational sei das gewesen. „Auch Adorno, den ich eigent­lich unglaub­lich schätze als Denker und aufrechten Mann, hat ja gefor­dert, Musik müsse rational sein. Verständ­lich aus dem irra­tio­nalen Erlebnis der Nazi-Zeit. Aber ich konnte damit nicht viel anfangen.“

Das größte Kompli­ment

Konstantin Wecker und Carl Orff
„Du bist koa Mozart, du bist koa Schu­bert – du bist der Wecker.“ – zu Konstantin Wecker
(Foto: © Gassner_​Carl Orff Stif­tung)

Umso mehr bewun­derte Wecker Carl Orff, auch, weil der den Mut hatte, melo­diös zu kompo­nieren. Entspre­chend hat er bereits Anfang der 80er-Jahre von Orff inspi­rierte Kammer­musik gemacht. „Ich wollte in meinem Leben drei Meister kennen­lernen, die mich beein­flusst haben“, erzählt er. Henry Miller und Erich Fromm habe er nicht geschafft, weil sie zu früh gestorben seien. Carl Orff aber durfte er am nahe­ge­le­genen Ammersee besu­chen. Er selbst hätte sich nie getraut, ihm zu schreiben. Das über­nahm ein Freund von ihm. Und er wurde einge­laden. „Orff hatte sich richtig beschäf­tigt mit mir, bevor ich ihn besucht habe, hatte Lieder und Gedichte von mir gehört und gelesen. Er bat mich in den Arbeits­raum, in dem der Flügel stand, und dort kam es zu einem unglaub­lich schönen Erlebnis: Er war ja unglaub­lich bescheiden und wollte nicht hören, dass man ihn bewun­dert – was ich natür­lich getan habe. Er unter­brach mich und sagte nur: ‚Jetzt spui, Bua.« Und ich spielte ‚Wenn der Sommer nicht mehr weit ist«. Da ging er um mich herum – er war schon sehr alt – und meinte: ‚Komisch Klavier spielst du, das hab ich noch gar nicht gehört so.« Aber es war nicht abwer­tend, eher so ‚Donner­wetter, so was gibt’s auch.« Und dann kam es: ‚Du bist koa Mozart, du bist koa Schu­bert – du bist der Wecker.« Das war das größte Kompli­ment, das ich je in meinem Leben bekommen hab.

Die Jesuitenkirche St. Michael in München
Die Jesui­ten­kirche St. Michael in der Münchner Fußgän­ger­zone

Wir laufen weiter durch die Resi­denz­straße in Rich­tung Mari­en­platz, also dem Zentrum Münchens, vorbei am Natio­nal­theater am Max-Joseph-Platz, während Wecker erzählt. Schließ­lich schlägt er noch einen kleinen Abste­cher vor: zur Micha­els­kirche, der Jesui­ten­kirche in der Fußgän­ger­zone. Über­haupt gehe er gern in Kirchen, auch während der Tour­neen seien sie ein wunder­barer Rück­zugsort für ihn. „Aber hier in der Micha­els­kirche ist auch mein erster musi­ka­li­scher Ort. Mein Klavier­lehrer war hier Kirchen­mu­siker. Er war wirk­lich gut, weil er mich so frei unter­richtet hat, was beson­ders wichtig war für mich, weil ich ja schon sehr früh ange­fangen habe zu impro­vi­sieren.“

Die Wirtschaft Osterwaldgarten am Englischen Garten in München
Ein Abschieds­trunk im Oster­wald­garten am Engli­schen Garten
(Alle München-Fotos: © rrr)

Und während wir den Rückweg antreten in Rich­tung Schwa­bing, um im Oster­wald­garten, eine der gemüt­lichsten Wirt­schaften der Stadt direkt am Engli­schen Garten, noch ein Bier zu trinken, erin­nert er sich und lacht: „Der Klavier­lehrer sagte einmal: ‚Ach, der Mendels­sohn, typi­scher Jude halt, klaut alles, was er kann.« Als Kind hab ich das so hinge­nommen. Erst viel später ist mir aufge­fallen, dass er halt auch ein Nazi war. Aber das war einfach die Zeit …“

Weitere Infor­ma­tionen und Konzert­ter­mine: www​.wecker​.de

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Fotos: flyupmike / Pixabay