Am 28. September 2019 hat am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen Jan Dvořáks Oper „Frankenstein“ Premiere.
Liebender Außenseiter
von Ruth Renée Reif
2. Oktober 2019
Im Sommer 1816 hielten sich der romantische Schriftsteller Percy Bysshe Shelley und seine Partnerin Mary Wollstonecraft Shelley mit einem literarischen Freundeskreis in Lord Byrons Villa Diodati in Cologny am Genfersee auf. Zur Überbrückung einer Reihe von Regentagen eines Jahres ohne Sommer schlug der Hausherr das Erzählen von Geistergeschichten vor. Dabei beeindruckte vor allem Mary Shelley mit ihrer fantasievollen Schilderung eines schaurigen Monsters und seiner Entstehungsgeschichte. Im Jahr darauf brachte Shelley ihre Einfälle unter dem Titel „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ als Roman heraus.
Ausschnitt aus einem Gemälde von
Richard Rothwell aus dem Jahr 1840, das
Mary Shelley, die Verfasserin des Romans
„Frankenstein“ zeigt.
Darin enthüllt ein Nordpolforscher namens Robert Walton in Form von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen die Lebensgeschichte des Naturwissenschaftlers Viktor Frankenstein, der durch alchimistische Experimente das Geheimnis des Lebens zu ergründen versuchte. Besessen von der Idee, das Elixier des Lebens zu finden, gelingt es Frankenstein, aus Menschenknochen, die er aus Beinhäusern zusammengetragen hat, ein riesiges Skelett zusammenzusetzen. Damit formt er einen menschenähnlichen Körper und verleiht ihm Leben. Das hässliche Geschöpf begibt sich in die Welt auf der Suche nach Menschen und Liebe. Doch überall stößt es auf Abscheu, und so wird es zum bösen Dämon, der tötet, weil er nicht lieben darf. Am Ende hetzt er den Wissenschaftler durch viele Länder, bis dieser in der Arktis an Bord des Nordpolforschers Robert Walton landet. In den Armen Waltons stirbt Frankenstein, und der künstliche Mensch treibt einsam auf einer Eisscholle in die Polarnacht.
Begibt sich mit seiner Musik in „das
riesige unerforschte Delta zwischen
den Strömen der Neuen Musik und
der Populären Musik“: Jan Dvořák
Zum 200-jährigen Jubiläum von Mary Shelleys Roman 2018 schrieb Jan Dvořák ein Musiktheaterstück danach. Er stellt es in eine Reihe mit seiner 2013 entstandenen Oper „20 000 Meilen unter dem Meer“ nach Jules Vernes Science-Fiction-Roman, mit dem er eine „Archäologie der Moderne“ schaffen möchte. Beide Autoren Shelley und Verne seien Pioniere der Science-Fiction-Literatur, deren Visionen heute jedoch Wirklichkeit würden, erläutert Dvořák. Musikalisch begibt er sich mit Frankenstein, die er als „Gothic Opera“ bezeichnet, in „das riesige unerforschte Delta zwischen den Strömen der Neuen Musik und der Populären Musik“. Selbst aus der Rock- sowie Barock-Musik kommend, charakterisiert er seinen Stil als pathetisch und theatral. Zeitgenössischer Gesang müsse die Revolution des Singens durch die Popmusik reflektieren, betont er.
Szenenfoto aus Sebastian Schwabs
Inszenierung von Jan Dvořáks Oper
„Frankenstein“ am Musiktheater im
Revier Gelsenkirchen
(Foto: © Karl und Monika Forster)
Das von ihm selbst verfasste Libretto erzählt den Entwicklungsweg „von einem wehrlosen, riesenhaften Kleinkind zu einem liebenden Außenseiter und schließlich zum Mörder und intellektuell brillanten Gegner Frankensteins“ aus der Perspektive des Monsters nach. Es stelle implizit die Frage nach dem „Anderen“ und dessen Ausschluss aus der Gesellschaft, erklärt Dvořák. Darüber hinaus werde auf einer weiteren Ebene zwischen klassischem Operngesang und modernen Schauspieltechniken verhandelt. Das Monster singt nämlich nicht, sondern ist eine Sprechrolle. Da es etwas nicht kann, was alle anderen können, ist es ausgeschlossen aus der Gemeinschaft und „birgt zugleich den Keim von etwas gänzlich Neuem“.
Szenenfoto aus Sebastian Schwabs
Inszenierung von Jan Dvořáks Oper
„Frankenstein“ am Musiktheater im
Revier Gelsenkirchen
(Foto: © Karl und Monika Forster)
Nach der Uraufführung in Hamburg kommt das Stück unter der Regie von Sebastian Schwab im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen erneut auf die Bühne. Die Darstellung des Monsters (Foto oben: © Björn Hickmann), gebaut von Karin Tiefensee und Ingo Mewes, übernehmen die Puppenspielerinnen Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik, Eileen von Hoyningen Huene und Anastasia Starodubova. Viktor Frankenstein ist Piotr Prochera. Seine Verlobte Elisabeth Delacey wird alternierend von Bele Krumberger und Giulia Montanari dargestellt. Die musikalische Leitung hat Giuliano Betta.
Weitere Aufführungen gibt es am 3., 12., 20. und 27. Oktober, am 1. und 16. November, am 1. und 20. Dezember 2019 sowie am 5. Januar 2020.
Informationen und Karten: www.musiktheater-im-revier.de