Martha Argerich
Die Unbezähmbare
von Ruth Renée Reif
4. Juni 2021
Martha Argerich entfesselt Klangorgien. Als Kraftwerk der Gefühle, argentinischer Wirbelsturm und Löwin am Klavier wird sie bezeichnet. Am 5. Juni 2021 feiert sie ihren 80. Geburtstag.
Martha Argerich besitzt ein umwerfendes pianistisches Können. Mit ihrem kraftvoll-feurigen Spiel, das sich durch höchste Präzision auszeichnet, bezaubert sie ihr Publikum. Sie wird verehrt und geliebt. „Ich möchte eine leicht spinnerte alte Dame werden, aber nicht zu sehr“, hatte sie als junge Frau einmal gesagt.
María Martha Argerich wurde als Tochter einer Diplomatenfamilie in Buenos Aires geboren. Mütterlicherseits hat sie russisch-jüdische und väterlicherseits katalanische Vorfahren. Im Kindergarten entdeckte man ihr pianistisches Talent, dessen Weiterentwicklung ihre Mutter in die Hand nahm. Mit fünf Jahren brachte Juanita Argerich ihre Tochter zum Unterricht bei Vincenzo Scaramuzza.
1955 ging sie als argentinische Diplomatin nach Wien, und hier traf Martha Argerich den Lehrer, der ihr entsprach und es ihr ermöglichte, ihren Weg und sich als Künstlerin zu finden. Internationale Aufmerksamkeit erlangte sie, als sie 1957 den ersten Preis beim Busoni-Wettbewerb in Bozen und den ersten Preis beim Internationalen Musikwettbewerb in Genf gewann. Schlag auf Schlag folgten die Konzertangebote. Alle wollten sie spielen hören. Die Kritiker feierten sie als Genie. Sie bewunderten die Intensität ihres Klangs, ihre stilistische Perfektion, ihre physische Kraft und ihren präzisen, feinen Anschlag.
Im September 1960 aber sagte Martha Argerich nach einem letzten Auftritt in München alle weiteren Konzerte ab und kehrte dem Podium den Rücken. Sie befand sich in einer Krise, wie es nach der Darstellung ihres Biografen Olivier Bellamy deren viele in ihrem Leben gab. „Martha hat alles getan, ihre Karriere zu ruinieren, aber es ist ihr nie gelungen“, zitiert er einen ihrer Agenten.
Mit dem ersten Preis beim begehrten Chopin-Wettbewerb in Warschau 1964 kehrte sie wieder auf die Bühne zurück. Es folgten Auftritte in Europa, den USA sowie ihre erste Japantournee. Zahlreiche Musikerkollegen säumen Martha Argerichs Weg.
Mit Musikerkollegen auf der Bühne und im Studio
Claudio Abbado lernte sie bei einem Aufenthalt in Salzburg kennen, als sie bei Gulda Unterricht nahm. Abbado war damals noch Pianist und wollte ebenfalls von Gulda unterrichtet werden. Mit ihm am Pult der Berliner Philharmoniker nahm sie 1967 das Dritte Klavierkonzert von Sergei Prokofjew auf, das als „Interpretationslegende“ gefeiert wurde. 1994 überredete Abbado sie, Tschaikowskis Erste Klavierkonzert, das sie seit über zehn Jahren nicht mehr gespielt hatte, erneut aufzunehmen.
Dem Cellisten Mischa Maisky begegnete Argerich 1975 beim Ivry Gitlis Festival in Südfrankreich. Gitlis habe dem Publikum erzählt, dass er gerade aus der Sowjetunion gekommen sei, ihn aufs Podium gezogen und gebeten, etwas zu spielen, erinnert sich Maisky. Seither teilen die beiden die Bühne. „Sie ist flexibel, tolerant, offen für viele Ideen und oft auch philosophisch“, beschreibt Maisky sie. 2008 begaben sich Argerich und Maisky auf eine Geburtstagstournee.
Mit dem Geiger Gidon Kremer bildete Argerich wiederholt ein Duo. Auch Kremers 70. Geburtstag feierten sie 2017 gemeinsam in der Berliner Philharmonie.
Mit dem Pianisten Sergei Babayan nahm sie 2018 das Album „Prokofjew for Two“ auf.
Der 2020 verstorbene Geiger Ivry Gitlis, dessen Freigeist Argerich schätzte, besuchte sie, wenn die Nacht bereits hereingebrochen war, in ihrem Haus im 16. Pariser Arrondissement.
Anlässlich des Geburtstags von Martha Argerich erscheint das Album „Claude Debussy“ mit der Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim. Seit über 70 Jahren kennen sie einander, und seit rund zehn Jahren treten sie gemeinsam auf: Daniel Barenboim und Martha Argerich. „Ich habe sie die ganze Zeit geliebt, in jeder Hinsicht“, sagt Barenboim und betont die Freude über das gemeinsame Musizieren.
„Claude Debussy“, Martha Argerich, Michael Barenboim, Kian Soltani, Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim (DG)
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Am 11. Juni 2021 kommt die DVD-Box „Martha Argerich“ heraus. Sie enthält sechs DVDs. Auf den ersten beiden gibt es den Dokumentarfilm Bloody Daughter zu sehen, den Stéphanie Argerich über ihre Mutter drehte. Die übrigen vier DVDs enthalten u.a. Konzertaufnahmen von Martha Argerich mit Daniel Barenboim, Guy Braunsein und Claudio Abbado.
„Martha Argerich“ (EuroArts)
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