Martin Stark

Mythi­sche Bilder

von Ruth Renée Reif

19. Dezember 2020

Martin Stark illustriert Richard Wagners Ring-Tetralogie auf vier Bilderbogen und lässt die Verwobenheit der Handlung sowie das Überlagern von Zeit und Raum sichtbar werden.

Schwarz ist Nibel­heim, das unter­ir­di­sche Reich von König Albe­rich. Tief unten hockt der König der Nibe­lungen mit der von seinem Bruder Mime geschmie­deten Tarn­kappe auf dem Kopf und dem goldenen Ring, der die Welt­herr­schaft bedeutet, am Finger. Von ihm spinnt sich das Schick­sals­seil zu den Riesen Fasolt und Fafner und zur Burg Walhall, die sich Wotan, der Oberste der Götter, zur Festi­gung seiner Macht von ihnen erbauen ließ.

Als bild­ge­waltig werden Insze­nie­rungen von Richard Wagners Ring-Tetra­logie häufig beschrieben. Und anders scheint das umfang­reiche Werk mit all den in ihm verar­bei­teten Rück­schauen, Zukunfts­vi­sionen und Utopien szenisch nicht zu bewäl­tigen. Martin Stark findet für seine in der von Cosima Schneider heraus­ge­ge­benen Reihe Bücher­gilde Bilder­bogen erschie­nenen Illus­tra­tionen einen Weg, sich von dem Ballast philo­so­phi­scher, meta­phy­si­scher und poli­ti­scher Deutungen zu befreien.

Martin Stark: Bilderbogen zu Rheingold
Ausschnitt aus dem Bilder­bogen von Martin Stark zu Rhein­gold mit der von den Riesen Fasolt und Fafner erbauten Burg Walhall

Martin Stark konzen­triert sich auf das Spiel und die entschei­denden Wendungen der Hand­lung. Indem er seine Zeich­nungen durch den formalen Filter von Linie, Form und Farben hindurch­gehen lässt, gelangt er zu einer arche­ty­pi­schen Darstel­lung. In der Beschrän­kung auf die Farbe Gold und schwarze Zeich­nungen auf matt­weißem Grund sowie der Rück­füh­rung alles Darge­stellten, einschließ­lich der Figuren, Tiere und Pflanzen, auf einfache geome­tri­sche Formen nähert er sich dem mythi­schen Kern.

Die Publi­ka­tion im gold­be­zo­genen Schuber besteht aus vier großen Bilder­bogen zu den einzelnen Teilen der Tetra­logie mit dem jewei­ligen Text auf der Rück­seite sowie einem zusätz­li­chen Bilder­bogen mit den Personen und den Orches­ter­be­set­zungen auf der Rück­seite. Eine große Darstel­lung der Welt­esche, deren Wissen Wotan frevel­haft eroberte, indem er sie fällte, bringt die Tetra­logie in ihrer Gesamt­heit zur Anschauung.

Martin Stark: Ausschnitt aus einem Bilderbogen zu "Walküre"
Ausschnitt aus dem Bilder­bogen von Martin Stark zur Walküre mit dem Stamm der Welt­esche, in die Wotan einst das Schwert Nothung stieß

Der Bogen zur Götter­däm­me­rung, der als größter 96 mal 66 Zenti­meter misst, zeigt die Nornen, die das Schick­sals­seil werfen und die Zukunft künden. Als Wotan beschließt, das Unrecht zu tilgen und Walhall in Flammen aufgehen zu lassen, sobald Sieg­fried den Rhein­töch­tern das geraubte Gold zurück­ge­geben hat, reißt das Seil. Stark hat die Hand­lung des Schluss­teils in zwei einander gegen­über­lie­genden Bild­bahnen mit den Rhein­fluten in der Mitte ange­ordnet. Das Vorspiel und der erste Aufzug befinden sich auf der einen Seite, der mit Hagens Traum, in dem Albe­rich ihm erscheint, um ihn an seine Bestim­mung zu erin­nern und zu verhin­dern, dass die Rhein­töch­tern den Ring zurück­be­kommen, einset­zende zweite Aufzug sowie der dritte Aufzug auf der anderen.

Man muss den Bogen einmal wenden, um vom Beginn des Aufzugs an dessen Schluss zu gelangen, in dem Brünn­hilde in die für Sieg­frieds Leiche entfachten Flammen reitet, der Rhein aus den Ufern tritt, sodass die Rhein­töchter den Ring zurück­er­halten und Walhall vom Feuer verschlungen wird. Im Umwenden verweisen die Bilder auf den Anfang zurück: Das Rhein­gold befindet sich wieder in der Tiefe des Rheins. So gelingt es Stark mit seinen Illus­tra­tionen, die Verwo­ben­heit der Hand­lung sowie das Über­la­gern von Zeit und Raum darzu­stellen.